Il Caravaggio © Charles Plumey
Musikfest Bremen: „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“
Wolfgang Amadeus Mozart „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“ (geistliches Singspiel) KV 35
Ensemble Il Caravaggio
Lila Dufy Sopran
Mathilde Ortscheidt Mezzosopran
Jordan Mouaïssia Tenor
Mathias Vidal Tenor
Camille Delaforge Leitung
Unser Lieben Frauen Kirche, Bremen, 19. August 2025
von Dr. Gerd Klingeberg
Oratorium? Oper? Oder schlicht „Geistliches Singspiel“? Da könnte man bei „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“ durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Eindeutig ist indes, dass das allenfalls selten aufgeführte Werk ein echter Mozart ist, nämlich die höchst erstaunliche Komposition eines gerade einmal 11-Jährigen!
Das wird bereits eingangs deutlich bei der Sinfonia, die das auf historischen Instrumenten spielende Ensemble Il Caravaggio, das sich vorwiegend dem Opernrepertoire des Barock und der Klassik widmet, unter der Leitung von Camille Delaforge mit schwungvoller Leichtigkeit anstimmt. Allerdings wohlweislich nicht allzu flott; dergleichen würde aufgrund des kirchentypisch langen Nachhalls im Raum die Transparenz des Höreindrucks nur schmälern.
Ein Disput allegorischer Figuren
Der Titel des Singspiels bezieht sich dabei nicht etwa auf das erste Gebot des Dekalogs, sondern auf das erstmalig bereits im Pentateuch (5. Ms 6) erwähnte, später von Jesus (Mt 22, Mk 12, Lk 10) bekräftigte „höchste Gebot“ der Gottesliebe. In Mozarts Opus stehen sich in einer Art Parabel die Mächte der Welt (Weltgeist) denen der Ewigkeit (verkörpert durch den Christgeist) gegenüber. Die Freuden des Lebens mögen attraktiv sein, führen aber letztlich zu ewiger Verdammnis. Mittendrin der „laue“ Christ, hin und her gerissen vom Disput beider Geister wie auch den Argumentationen der weiteren allegorischen Figuren Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Also ein durchaus zu allen Zeiten aktuelles Menschheitsthema.

Die ausgedehnten Rezitative sind vor allem anfangs schwer verständlich, nicht nur aufgrund der etwas antiquierten bis manieriert anmutenden Texte, sondern auch wegen der anderssprachlichen Akzente der Ausführenden. Vor allem der wohl recht kurzfristig eingesprungene Tenor Mathias Vidal (Christgeist) hängt stark an seinen Noten, wirkt ungeachtet seiner kraftvollen Intonation verspannt und artikuliert exaltiert theatral.
Dank des im Programm enthaltenen Librettos lässt sich der Wortlaut dennoch zumeist gut verfolgen; irritierend ist jedoch, das einzelne, teils längere Passagen im Programmablauf übersprungen werden.
Geschmeidige, volumenstarke Sopranstimmen
Sopranistin Lila Dufy, die sowohl die „Gerechtigkeit“ als auch den „Weltgeist“ verkörpert, wirkt zunächst stimmlich etwas eng, steigert sich indes enorm bei ihren äußerst anspruchsvollen Arien, die sie mit geschmeidig angegangenen Koloraturen bis in höchste Diskantlagen brillant darbietet. Wenn sie von den Freuden des Lebens, vom Lachen, Jauchzen und Scherzen schwärmt, dann ist der Kirchenraum fast schon zu klein für ihr dabei gesteigertes Stimmvolumen.

Mathilde Ortscheidt mimt mit leicht kehliger, warmtöniger Stimme die „Barmherzigkeit“. Ausnehmend kontrastreich und mit passend dramatischem Ausdruck präsentiert sie die Arie „Ein ergrimmter Löwe brüllet“, bei deren Mittelteil „Doch der Jäger will noch schlafen“ sie in ein geradezu lyrisches Legato wechselt.

Der effektvolle Gesang wird jeweils adäquat vom durchweg sicher und in bester Balance nuanciert agierenden Orchester untermalt. Das verdeutlicht auch immer wieder sehr gut, wie geschickt bereits der junge Mozart die Klangfarben der Instrumente kompositorisch einzusetzen wusste.
Klangschönes Tenorsolo-Posaunen-Duett
So auch bei der „Christ“-Arie, die Tenor Jordan Mouaïssia mit gefälligem Ernst und nachdenklichem Ausdruck vorträgt: Da es dabei um in die Seele dringende „Donnerworte“ und den „Posaunenschall“-Widerhall geht, setzt Mozart die Solo-Posaune quasi als zweite Singstimme ein, die mit der menschlichen Stimme wie ein klangschönes Frage-Antwort-Duett anmutet, zumal das Timbre des historischen Instruments ausnehmend gut mit dem des Sängers harmoniert.

Es braucht mitunter einige Momente, um dem ausgedehnten, nicht selten gestelzt anmutenden Text inhaltlich nachzuvollziehen. Manches ist von tiefstem Ernst („Du wirst von deinem Leben genaue Rechnung geben“), anderes lässt erleichtert schmunzeln, wie etwa die glücklicherweise längst überholte, aber damals aktuelle medizinische Sichtweise: „Manches Übel will zuweilen, eh’ es kann der Balsam heilen, erstlich Messer, Scher’ und Glut“ – die an Aderlässe und das Ausbrennen von Wunden in Feldscher-Manier erinnert.
Zu guter Letzt lässt sich das anfangs noch „laue, von dem Geist der Welt mit Schnee bedeckte Herz“ des Christen zum Guten bekehren, was von einem fulminant aufspielenden Orchester und dem noch einmal alles gebenden Solistenquartett mit überwältigendem Jubelgesang verkündigt wird.
Nach der reizvollen, an unterschiedlichsten Facetten reichen Aufführung – für die allermeisten Zuhörer dürfte es eine spannende Neuentdeckung gewesen sein – legen Ensemble und Solistenquartett zwei nicht minder schöne Mozart-Zugaben nach: das in berührendem Legato vorgetragene Terzett „Soave sia il vento“ (aus „Così fan tutte“) und ein von Witz und zungenbrecherischem Elan sprühendes „Pa-Pa-Pa-Pa-Papagena… Papageno!“ (aus der „Zauberflöte“).
Ein wahrhaft krönender Abschluss für ein gelungenes Konzert.
Dr. Gerd Klingeberg, 20. August 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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