Foto: Rätzke (c)
NDR Elbphilharmonie Orchester
NDR Chor
WDR Rundfunkchor
Annette Dasch Sopran
Gerhild Romberger Alt
Dirigent Thomas Hengelbrock
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 2 c-Moll für Sopran, Alt, Chor und Orchester „Auferstehungssinfonie“
Elbphilharmonie, 24. Februar 2017
von Leon Battran
Groß und glanzvoll, bedeutsam und existenziell ist Gustav Mahlers „Auferstehungssinfonie“. Ob man religiös ist oder nicht – sich dem spirituellen Bann dieser Musik zu entziehen, erscheint kaum möglich. Anderthalb Stunden lang haben das NDR Elbphilharmonie Orchester unter Thomas Hengelbrock mit dem NDR Chor, dem WDR Chor und den Solosängerinnen Annette Dasch und Gerhild Romberger alles gegeben und ein privilegiertes Konzertpublikum tief ergriffen und bewegt.
Ein Hauch von Ewigkeit – in der Hamburger Elbphilharmonie.
Schon bei ihrer Uraufführung 1895 in Berlin, kurz vor Weihnachten, soll sie für Tränen und Begeisterungstürme gesorgt haben, diese große besondere zweite Sinfonie Gustav Mahlers. Beethoven hat es vorgemacht mit seiner Neunten: am Schluss steht eine wichtige, klare Botschaft, die mithilfe von Chor und Sängern formuliert wird: bei Beethoven die Verbrüderung aller Menschen – bei Mahler ist es die christliche Idee der Auferstehung.
So opulent aufgestellt findet man das NDR Elbphilharmonie Orchester selten vor. Die Bühne ist so gerappelt voll, dass sich Chefdirigent Thomas Hengelbrock an dem Orgelpult ein wenig vorbeizwängen muss, um sich seinen Weg zur Bühnenmitte zu bahnen.
Und alle wollen heute Mahler spielen, haben darauf gewartet, sich dieser Herausforderung zu stellen. Das merkt man den Musikern deutlich an, und diese Lust färbt ab. Wow, haben die eine Power an diesem Abend! Dieser einmalige erste Allegro-Maestoso-Satz ist ein Auf und Ab, das den Interpreten einen emotionalen Spagat abverlangt, hier ist die volle Bandbreite des Orchesters zu erleben.
Die Streicher singen elegisch, steigern sich ins Dramatische und tremolieren energisch; die Posaunen dröhnen und die Basstuba röhrt und bläst einen beinahe aus dem Sitz. Man wird mitgenommen, dringt in immer neue klangliche Welten vor. Hier erscheint eine volkstümliche Melodie in den Holzbläsern, dort greift die Flöte, nur von den Harfen begleitet, traumhaft schön das Thema auf und gibt schließlich dem Konzertmeister den Stab in die Hand.
Und es wummst! Thomas Hengelbrock und sein Orchester sorgen für den musikalischen Urknall! Hier verbindet sich eine Naturgewalt mit hauchseidiger Zärtlichkeit und wird unmittelbar und hautnah erlebbar. Das ist hochspannend, fesselnd und bombastisch. Das ist großes Kino! Als der erste Satz vorbei ist, muss erst einmal die eine oder andere Violine ein wenig nachgestimmt werden…
Auch die folgenden Sätze sind absolut hörenswert. Das Andante moderato beginnt zunächst nur mit den Streichern: erst mit klassischer Eleganz, transparent und heiter, später kontrapunktisch verschachtelt. Es mag auch an Mahlers genialer Komposition liegen, dass die Streicher heute besonders gut klingen: ausdrucksstark und wie aus einem Guss. Die Figurationen fließen mit genau der richtigen Portion Schmalz.
Alle Daumen hoch! Das war Spitzenklasse, liebes NDR Elbphilharmonie Orchester!
Und dann verdunkelt sich der Saal, und Gerhild Romberger steht im Spotlight. „O Röschen rot!“, singt sie. „Der Mensch liegt in größter Not! |Der Mensch liegt in größter Pein! | Je lieber möcht‘ ich im Himmel sein!“ Damit sorgt sie für d e n Moment dieses Konzerts, der deshalb so kostbar ist, weil genau dieser Moment der Grund ist, aus dem man ins Konzert geht, weil man ihn in jedem Konzert sucht, jedoch nicht immer findet.
Dieser Satz ist mehr als ein bloßes Intermezzo; die Musik berührt, hält fest, nimmt gefangen. Sie entfaltet eine expressive Wirkung, die so stark ist, dass man vollständig darin abtaucht. Das Orchester ruht im sanftesten Piano, während die Altistin gleichermaßen zärtlich und kraftvoll intoniert – scheinbar ohne die kleinste Anstrengung. Dieses Solo geht mitten ins Herz. Man möchte schmelzen.
Jetzt wird es erst so richtig furios. Das Orchester grollt und braust aufrührerisch. Währenddessen beziehen die Chöre des NDR und WDR Aufstellung – im Rücken des Konzertpublikums im ersten Rang. Der Einsatz erfolgt a capella und im Pianissimo, überzeugt gleichwohl mit beeindruckender Festigkeit und Klarheit. Hinzu gesellen sich das Orchester und die Sopranistin Annette Dasch.
Annette Dasch ist eine fantastische Sängerin. Ihr Sopran ist reich an Farben mit glänzend glockenhellen Höhen und kraftvoll strahlendem Timbre in den tieferen Lagen. Ihr Vibrato kann so manches Knie weich werden lassen. Leider leider erwischt sie den ersten Vers ihres Solos intonatorisch nicht ganz so, wie sie wollte. Der zweite Anlauf ist aber umso grandioser und kann vollauf überzeugen. Traumhaft auch das Echo in der ersten Violine. Mitfühlen und staunen macht auch das Duett mit Gerhild Romberger.
Der Schluss ist so monumental und überwältigend, dass es einen einfach aus den Socken haut. Die Steigerung ist immens, es wird crescendiert, es wird acceleriert und so verlieren sich das Orchester und der Chor im Eifer des Gefechts kurzzeitig aus den Augen. Who cares? Man fängt sich ja schließlich wieder. Alle musikalisch-dramaturgische Spannung gipfelt in der Erlösung im Grande Finale: „Sterben werd‘ ich, um zu leben!“, verkünden die Sänger.
Mehr geht nicht!
Dann ist auf einmal alles vorüber. Im Großen Saal der Elbphilharmonie herrscht absolute Stille. Niemand sagt etwas, niemand applaudiert, niemand hustet. Beifall klatschen, den Mantel von der Garderobe abholen, anschließend zur U3-Station Baumwall laufen und die nächste Bahn heimwärts nehmen – das alles erscheint nach dieser schlichtweg unglaublichen Aufführung banal und ganz weit weg.
Vielleicht eine halbe Minute dauert es, bis die Leute wieder im Hier und Jetzt angekommen sind und Krach machen wie es sich nach einer so großartigen Aufführung gehört: anhaltendes begeistertes Beifallklatschen und Bravo-Rufe, Fußgetrampel und – die Auferstehungssinfonie zeigt Wirkung – natürlich Standing Ovations. Annette Dasch sieht jedoch ein bisschen unzufrieden aus. Dabei muss eine grandiose Aufführung doch gar nicht perfekt sein. Liebe Annette Dasch, auch Sie waren grandios!
Leon Battran, 26. Februar 2017,
für klassik-begeistert.de
Ich kann dieser Konzertkritik nur beipflichten! Wir hatten das unfassbare Glück, die zweite Aufführung von Mahlers 2. Sinfonie in der Elbphilharmonie am Sonntag, 26. Februar 2017, erleben zu dürfen und waren absolut begeistert. Womöglich das ultimative Konzerterlebnis überhaupt – in Gold nicht aufzuwiegen!
R. Stuckardt