William Garfield Walker und das Nova Orchester Wien (NOW!) © Vanja Pandurevic
Das Programm von William Garfield Walkers Konzert im Konzerthaus war so vielfältig wie sein Nova Orchester Wien: es erklangen Werke von Verdi, Debussy und Bruckner. Walker konnte sein stilistisches Einfühlungsvermögen zeigen, und unter seiner Leitung brillierte das Orchester sowohl mit romantischer als auch mit impressionistischer Musik.
Giuseppe Verdi
Ouvertüre zu “La forza del destino”
Claude Debussy
Prélude à l’aprés-midi d’un faune
Anton Bruckner
Symphonie Nr. 4 Es-Dur “Romantische”
Nova Orchester Wien (NOW!)
Dirigent: William Garfield Walker
Wiener Konzerthaus, Großer Saal, 27. September 2024
von Dr. Rudi Frühwirth
William Garfield Walker ist der Gründer des Nova Orchester Wien (NOW!), mit dem er nun im Großen Saal des Wiener Konzerthauses musiziert hat. Das Programm wirkte auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich, wurde aber sicher mit Bedacht zusammengestellt. Einerseits erlaubte es dem jungen, charismatischen Dirigenten, seine stilistische Vielfalt und sein musikalisches Einfühlungsvermögen in ganz konträren Werken zu zeigen; andererseits konnten die Musikerinnen und Musiker von NOW! ihr beeindruckendes Können im romantischen wie auch im impressionistischen Kontext unter Beweis stellen.
Der Abend begann mit der Ouvertüre zu Verdis Oper “La forza del destino”. Schon den ersten Takten zeigten die Blechbläser, dass sie mit Präzision und Klangfülle aufwarten können – ein Eindruck, der sich im Folgenden glänzend bestätigte. Das drängende Thema in den Streichern, die folgenden Soli der Holzbläser, das eindringliche Motiv, das sich ätherisch in die Höhe schwingt, das exzellent geblasene Solo der Klarinette und der temperamentvolle, ja knallige Schluss – das war ein höchst gelungener Beginn.
Das folgende “Prélude à l’aprés-midi d’un faune” war ein berauschendes Klangerlebnis. Das berühmte Flötensolo zu Beginn, beantwortet von Harfe und Horn, führt in eine mythische Welt, in dem ein Faun seinen morgendlichen erotischen Erlebnissen nachsinnt. Die vielfältige Harmonik, die zwar tonal klingt, aber kaum mehr den klassischen Regeln folgt, die hinreißend raffinierte Instrumentierung und die Freiheit der melodischen Erfindung zeichnen ein Arkadien ohne moralische Grenzen und Bedenken.
Wie Walker dank seiner suggestiven Schlagtechnik das pulsierende Atmen der Natur und die vielfältigen Geräusche des schwülen Nachmittags im Wald dem Orchester zu entlocken vermochte, gab Zeugnis vom intensiven Rapport zwischen dem Dirigenten und den Musikerinnen und Musikern. Erneut zeigten sich die Holzbläser und die Hörner in Bestform. Leider waren nicht alle im Publikum bereit, ihr Mobiltelefon abzuschalten, und so wurde der Nachmittag des Fauns von einigen unpassenden Piepstönen gestört.
Nach der Pause folgte dann die vierte Symphonie von Anton Bruckner, eine seiner beliebtesten und meistgespielten. Sie ist aber auch jene, die von Bruckner am öftesten überarbeitet wurde. Es gibt daher mindestens drei grundlegend verschiedenen Fassungen; dazu kommen noch etliche Überarbeitungen und Revisionen, sodass Simon Rattle vor einer Aufführung im vergangenen Sommer behaupten konnte, er habe vierzehn verschiedene Versionen der Symphonie gefunden. Walker wählte die zweite Fassung, erarbeitet von Benjamin Korstvedt für die Neue Anton Bruckner Gesamtausgabe, also am neuesten Stand der Forschung. Sie enthält das 1878 komponierten “Jagd-Scherzo” und das 1879-1880 neu komponierte Finale. Diese Fassung wird am häufigsten im Konzert gespielt und ist folglich dem Publikum am besten bekannt.
Die Vierte von Bruckner, die “Romantische”, ist – wie alle großen Symphonien des Meisters – ein Prüfstein für Orchester und Dirigenten. Im Orchester sind in erster Linie die Bläser gefordert, Holz wie Blech, und speziell in der Vierten, die Hörner. Als in Wien beheimatetes Orchester verwendet NOW! das Wiener Horn und die Wiener Oboe. Der exponierte Hornruf zu Beginn des ersten Satzes ist daher keine geringe Herausforderung an das Solohorn; sie wurde glänzend gemeistert. Auch im dritten Satz, dem Jagd-Scherzo, waren die Hörner makellos. Das dritte Thema, die Schlussgruppe, ist im ersten wie im letzten Satz dominiert von den Trompeten und Posaunen, die mich schon wie in der Ouvertüre durch Präzision und Klangfülle begeisterten. Auch die zahlreichen Solostellen von Klarinetten, Flöten und Oboen, gelangen durchwegs ausgezeichnet.
Der Dirigent muss die Klangmassen koordinieren, das Orchester durch die zahllosen dynamischen Abstufungen führen und durch geschickte Wahl und Adjustierung der Tempi die Spannung aufbauen, wieder zurücknehmen und so die Gesamtarchitektur des Werks hörbar machen. Es war beeindruckend zu sehen und zu hören, wie NOW! den Intentionen des Dirigenten bereitwillig folgte und seine musikalischen Vorstellungen umsetzte. Walker arbeitete die thematischen und dynamischen Kontraste überzeugend heraus. Manche Übergänge, wie zum Beispiel der vom Seitenthema des ersten Satzes zur Schlussgruppe, hätten allerdings etwas spannender ausfallen können. Im zweiten Thema des zweiten Satzes wiederum, einer langgezogenen Kantilene der Bratschen, hätte ich mir eine etwas “sprechendere” Artikulation der traurig-tröstlichen Melodie gewünscht.
Bei den von Walker gewählten Tempi muss ich leise Vorbehalte anmelden. Obwohl insgesamt durchaus angemessen, schienen sie mir doch ein wenig starr. Walker hat sicher gute Gründe, nur relativ wenig vom einmal gewählten Metrum abzuweichen. Dennoch hätten an etlichen Stellen die gewaltigen, für Bruckner so charakteristischen orchestralen Steigerungen mit etwas mehr Flexibilität noch eindrucksvoller ausfallen können.
Ungeachtet dessen verblieb mir ein höchst gelungener Gesamteindruck der Symphonie, nicht zuletzt dank dem perfekten Einvernehmen zwischen Dirigent und Orchester und dessen exzellenten solistischen wie kollektiven Leistungen.
Dr. Rudi Frühwirth, 30. September 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Wiener Kaiser Orchester, William Garfield Walker Musikverein Wien, Brahms Saal, 14. Juli 2024