Fotos: Nuron Mukumi © by Kawai Europa GmbH
Vor Kälte frierend treten wir den Weg zur Kölner Philharmonie an, erwarten wir doch ein schönes Konzert auf hohem musikalischen Niveau. Unsere Erwartungen werden bei weitem übertroffen. Auf dem Weg zurück ist für uns klar: Dieses Konzert war sensationell! Nuron Mukumi, den wir zum ersten Mal live hören, begeistert uns mit seinem nuancierten Klavierspiel. Das Staatliche Sinfonieorchester Litauen musiziert unter dem vorbildlichen Dirigat Gintaras Rinkevičius’ auf Weltklasseniveau und heizt mit seiner Tango-Zugabe so richtig ein.
Ludwig van Beethoven
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur, op. 73
Felix Mendelssohn Bartholdy
Sinfonie Nr. 4 A-Dur, op. 90 „Italienische“
Orchesterzugabe
Astor Piazzolla
Libertango (Bearbeitung für Orchester)
Nuron Mukumi (Klavier)
Staatliches Sinfonieorchester Litauen
Dirigent: Gintaras Rinkevičius
Kölner Philharmonie, 3. Dezember 2023
von Petra und Dr. Guido Grass
Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur galt schon unter den Zeitgenossen Beethovens als Virtuosenstück. Und in der Tat bietet es dem Solisten viele Gelegenheiten, sein Können unter Beweis zu stellen. Auch wenn Erzherzog Rudolph das Konzert in einer private Uraufführung aus der Taufe hob, war es kein geringerer als Carl Czerny der bei der öffentlichen Uraufführung am Klavier saß. Alle großen Pianisten, von Wilhelm Kempff und Emil Gilels bis Yefim Bronfman u.v.a.m., haben sich mit diesem Werk auseinandergesetzt.
Es sind große Fußstapfen, in die Nuron Mukumi tritt. Er ist in der Pianistenszene kein Unbekannter. Beim Franz Liszt-Wettbewerb 2009 wurde ihm der zweite Preis zugesprochen. Vom Interlaken Classics 2017 ging er sogar mit dem ersten Preis nach Hause. Wir hören ihn jedoch heute zum ersten Mal live.
Selbstsicher und sehr natürlich setzt er sich in weißem Hemd ans Klavier. Gleich mit dem ersten Ton des Orchesters im Kopfsatz ist der Solist mit einer Kadenz gefordert. Sogleich lässt sein Spiel aufhorchen. In seine perlenden Läufe lässt Dirigent Gintaras Rinkevičius die Tuttischläge des Staatlichen Sinfonieorchesters Litauen (LVSO) mit Wucht hineinfallen. Es entspannt sich ein selbstbewusster Dialog zwischen Orchester und Flügel, den Rinkevičius gut ausbalancierend moderiert. Mukumi beeindruckt nicht nur bei den kräftigen Oktavgriffen: Er zaubert selbst in schnellen Läufen einen herrlich weichen Ton hervor. Wenn er das Motiv, das einer Spieluhr entstammen könnte, ebenso klar wie sanft dem Flügel entlockt, sucht das ihresgleichen.
Kein Wunder, dass Rinkevičius vor Beginn des zweiten Satzes „Adagio un poco mosso“ seinem Solisten mit einem breiten Lächeln seine Zufriedenheit zeigt. Im zarten Legatissimo spielen die hohen Streicher das Hauptthema des zweiten Satzes, während Celli und Kontrabässe leise zupfend die Basslinie zeichnen. Mit super weichem und präzisem Anschlag trägt uns das Klavier weiter in die traumhafte Welt. Auch im Diskant bleibt der Ton auf dem Shigeru Kawai Flügel weich, sanft und dennoch voll. Pianist und Orchester atmen die gleiche Luft. Auch in der langen Trillerkette bleiben sie absolut synchron. Das lang gehaltenen B der Hörner markiert zugleich das Ende des zweiten und den Beginn des dritten Satzes. Wie die beiden Hornisten diesen Ton sempre pianissimo in sauberster Intonation und ohne jede Schwankung über 11 Takte halten, ist im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend.
Fortissimo setzt Mukumi die gegenläufigen Dreiklangmotive der linken und rechten Hand dagegen. Mit Verve treibt Rinkevičius das Orchester an und hält es doch zugleich stets unter sicherer Kontrolle. Mit federndem Rhythmus und lebendiger Dynamik gestalten sie das Rondo. Einmal mehr kann Mukumi im Duett mit der Ostinato schlagenden Pauke mit schnellen Läufen und sicheren Sprüngen sein Können unter Beweis stellen. Die letzten Takte des Konzerts gehören dem Orchester, das mit deutlichen Sforzati die Schlusspunkte setzt.
Das Publikum ist hingerissen vom Orchester, seinem Dirigenten und vor allem natürlich vom sympathischen Pianisten Nuron Mukumi
Sogar zwei Zugaben ringen sie ihm mit stehendem Applaus ab. Bei einem Walzer von Chopin (Walzer As-Dur, op. 42) und einer Etüde von Moszkowski kann Mukumi einmal mehr seine Virtuosität zeigen. Nach dem Konzert steht der junge Mann im Foyer, signiert und beantwortet liebenswürdig alle Fragen. Heute habe er zum ersten Mal auf einem Shigeru Kawai Flügel gespielt, er sei sehr glücklich und strahlt über das ganze Gesicht. Wir glühen auch vor Begeisterung und werden diesen aufstrebenden Pianisten im Auge behalten!
Rinkevičius und das LVSO nehmen uns mit auf die Reise in den Süden
Die „Italienische“ (Sinfonie Nr. 4 A-Dur, op. 90 von Felix Mendelssohn Bartholdy) nimmt uns mit auf die Reise. Der euphorische Kopfsatz sprudelt uns so freudig entgegen, da ist kein Halten bei den Violinen mehr. Rinkevičius behält das von ihm vor 35 Jahren gegründete Orchester jedoch jeder Zeit im Griff. Sein Dirigat zeigt vorbildlich, was er auch als Professor an der Musikfakultät in Vilnius lehrt: Die Kunst ein Zeichen zu geben, das unmissverständlich von allen verstanden wird. Keine Bewegung ist bei ihm überflüssig oder einfach Show: Er malt die gewünschten Klangfarben, Dynamiken und Phrasierungen klar und deutlich.
Besonders beeindruckt er uns, wie er im zweiten Satz „Andante con moto“ den Streichern quasi die Spur vorgibt, in denen sie sich noch bewegen dürfen. Sehr akkurat und gleichmäßig grundieren die tiefen Streicher im leisen Stakkato die melancholische Melodie der Holzbläser. So ergibt sich im zweiten Satz eine ganz andere Stimmung: getragen, ernst fortschreitend. Mit letzten gezupften Tönen der Kontrabässe und Celli erstirbt die Musik des zweiten Satzes.
Beinahe Attacca gibt Rinkevičius den Einsatz zum Menuettsatz. In großer Ruhe und Leichtigkeit lässt er das Orchester transparent erklingen. Und wieder beeindrucken uns die Hörner, wie sie mit weichem Anschlag und sauberer Intonation ihr charakteristisches Motiv leicht und leise spielen.
Die Kontraste und ihre Vielseitigkeit machen diese Sinfonie so beliebt und erfordern enorme Virtuosität, soll ihr Schlusssatz „Saltarello“ wirklich mit dem südländischen Feuer des Sprungtanzes daherkommen. Hier haben die Litauer dann unsere Erwartungen bei weitem übertroffen. Trotz rasantem Tempo bleiben alle Instrumentengruppen transparent hörbar, die Querflöten trillern klar, die Bläser stets auch in den Repetitionen sauber. Auch in den Streichern wird nichts, auch nicht Ansatzweise verschliffen. Rinkevičius weiß, was er seinem Orchester abverlangen kann. Und das liefert, und wie!
Mit großem Applaus erklatscht sich das Publikum eine Zugabe.
Mit ihrer Zugabe bringen Rinkevičius und das LVSO die Stimmung zum Kochen
Eigentlich kaum vorstellbar, dass dies noch steigerungsfähig ist. Völlig überraschend kommen zur Zugabe noch Percussion, Posaunen, eine Tuba und weitere Hörner auf die Bühne. Es folgt Astor Piazzollas „Libertango“ in einer für uns bisher ungehört unerhörten Orchesterfassung: sensationell gespielt vom Orchester und seinen Solisten, ergreifend das Trompetensolo. Das schnelle Tempo wird mit markantem Accelerando nochmals gesteigert. Hiernach ist kein Halten mehr: Der Saal kocht!
Nach dieser feurigen Zugabe wird uns auf dem Heimweg gar nicht mehr kalt. Wir sagen vielen Dank für dieses wunderschöne Geschenk am ersten Adventssonntag und wünschen weiterhin eine erfolgreiche Europatournee!
Petra und Dr. Guido Grass, 4. Dezember 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Hélène Grimaud, Klavier, LPO, Edward Gardner Kölner Philharmonie, 12. November 2023
CD-Rezension: Bruce Liu, Waves klassik-begeistert.de, 30. November 2023