Kurtheater Bad Wildbad Foto © Jean-Nico Schambourg
Es ist erstaunlich wie es den Organisatoren des Rossini Festivals in Bad Wildbad immer wieder gelingt, ihr Publikum mit musikalischen Überraschungen und Entdeckungen zu begeistern. Dieses Jahr ist es besonders die Grand Opéra “Pierre de Médicis” von Józef Poniatowski, einem Zeitgenossen Rossinis, die die Neugier der Opernfans anregt.
Und wer glaubt, der “Otello” von Rossini sei doch schon eigentlich den eingefleischten Fans des Festivals hinlänglich bekannt, der irrt sich gewaltig. Die hier präsentierte Fassung von 1819 aus Rom endet mit einem Happy End! Daneben erscheint die Programmierung von Rossinis “La Cenerentola” schon fast “banal”. Musikalisch erlebt man an den drei Abenden erstklassige Aufführungen.
Opern- und Musikfestival ROSSINI IN WILDBAD
24. – 26. Juli 2025
von Jean-Nico Schambourg
Erster Abend: Zwei Brüder kämpfen um eine geliebte Frau
Es ist eines der interessantesten nicht Rossini-Werke der letzten Jahre, das die Organisatoren des Rossini Festival in Bad Wildbad entdeckt haben und an diesem Abend einem begeisterten Publikum vorstellen: Die Grand Opéra in vier Akten PIERRE DE MÉDICIS von Józef Poniatowski (1816-1873).
Der Großneffe des polnischen Königs Stanislaus II. war nicht nur Diplomat, sondern auch Tenor und Komponist. Er war Schüler von Donizetti und Rossini, der ihn als “Fürsten-Kollegen” bezeichnete. Er schrieb mehrere Opern, die zu seinen Lebzeiten mit Erfolg in Italien und Paris aufgeführt wurden.

Seine Oper PIERRE DE MÉDICIS auf einen Text von Saint-Georges und Émilien Pacini erzählt die Geschichte des beiden Brüdern Pierre und Julien, die beide in dieselbe Frau verliebt sind. Pierre zieht von Florenz nach Pisa, nicht nur um die politische Macht von seinem Bruder zu übernehmen, sondern auch dessen Geliebte Laura. Deren Onkel Fra Antonio, Großinquisitor, sieht diese Verbindung mit Genugtuung, da er durch die Heirat erhofft, seinen Einfluss zu vergrößern.
Julien überzeugt Laura zur Flucht. Diese wird jedoch von Pierre und Fra Antonio entdeckt. Da Laura sich gegen die königliche Krone entscheidet, stecken beide sie ins Kloster. Julien will sie befreien. Im Kampfe wird Pierre schwer verletzt. Im Angesicht des Todes will er Julien helfen seine Braut vor dem Nonnenleben zu retten. Doch beide kommen zu spät: Fra Antonio triumphiert: Sie gehört jetzt Gott!
Die Uraufführung am 9. März 1860 an der Oper in Paris war ein riesiger Erfolg. Die zeitgenössischen Kritiker, u.a. Berlioz, überschütteten den Komponisten mit Lob. Auch mit heutigen Ohren kann man verstehen, was den Charme der Musik dieser Oper ausmacht. Poniatowski schrieb viele schöne Melodien und wusste auch die dramatischen Momente der Oper kompositorisch eindrucksvoll zu gestalten. Allerdings wird man fast nie das Gefühl los, die Musik schon anderswo gehört zu haben.
Natürlich ist die Musik dieser fast drei Stunden dauernden Grand Opéra beeinflusst von Rossini und erinnert an Rossini, mit dem Poniatowski in Freundschaft verbunden war. Aber auch Donizetti, Verdi, Meyerbeer, sogar Johann Strauß und manch anderer Komponist kommen dem Zuhörer beim Anhören des Werkes in den Sinn.
Der Titelheld wird an in Bad Wildbad von Patrick Kabongo mit fester Stimme und toller Höhe dargeboten. Seine Tenorstimme hat an bronzener Farbe gewonnen und erklingt jetzt männlicher und wärmer. Claudia Pavone singt die Laura mit brillanter Sopranstimme. Sie lässt sich nicht einschüchtern von den vielen dramatischen Spitzentönen, die ihre Rolle beinhaltet und die sie mit Bravour meistert.
Normalerweise hat der Bariton die Rolle des “Bösen” zu gestalten. Nicht so hier. César San Martin leiht seinen dunklen, warmen Bariton Julien, dem Geliebten Lauras, der mit seinem Kampf um seine Liebe gegen seinen königlichen Bruder nicht gewinnen kann. Die Bassstimme von Nathanaël Tavernier verfügt über viel Schwärze, um den unerbittlichen Großinquisitor zu zeichnen.
Die kleineren Rollen werden alle mit viel Können von den Stipendiaten der Rossini Akademie BelCanto gesungen, wobei vor allem der Tenor Anle Gou hervorzuheben ist. Unter der kompetenten und mitreißender Leitung von José Miguel Pérez-Sierra spielen und singen Orchester und Chor der Szymanowski-Philharmonie Krakau.
Zweiter Abend: Drei Schwestern zanken sich um einen Prinzen

Im kleinen charmanten Kurtheater steht LA CENERENTOLA von Gioachino Rossini auf dem Programm. Vom Begehrenden zum Ziel der Begierde wechselt Patrick Kabongo, der an diesem Abend als Prinz seine Kompetenz und Erfahrung in Rossini-Opern zur Schau stellen kann und mit brillanten Höhen die Liebe von Aschenputtel gewinnt. Diese wird von Polina Anikina mit sympathischer Ausstrahlung und warmer Mezzosopran-Stimme interpretiert.
Mit großartigen “Parlando” Qualitäten bringt Filippo Morace einen bösartigen Don Magnifico auf die Bühne. In dieser Hinsicht ist sein Duett mit dem Dandini von Emmanuel Franco sicherlich einer der musikalischen Höhepunkte des Abends. Letzterer besticht nebst seinen schauspielerischen Qualitäten auch mit einer klangvollen Baritonstimme. Den Alidoro singt Dogukan Özkan mit rundem Bass. Ellada Koller und Verena Kronbichler, beide Stipendiaten der Akademie BelCanto, singen mit viel Witz die Rollen der Clorinda und Tisbe.
Auch an diesem Abend leitet José Miguel Pérez-Sierra mit viel Engagement Orchester und Chor der Szymanowski-Philharmonie Krakau.
Viel Spielwitz und wenige, aber relevante Requisiten bestimmen Inszenierung und Bühnenbild von Jochen Schönleber, dem künstlerischen Leiter des Festivals, und sind perfekt an die kleine Bühne des Kurtheaters angepasst. Die Kostüme stammen von Claudia Möbius.
Dritter Abend: Otello und Desdemona legen ihren Ehestreit bei

Am Ende der Oper heiraten Otello und Desdemona und wenn sie nicht gestorben sind, dann …! Wer glaubt, es hier mit einem dieser unsäglichen neuen Regieeinfälle eines egozentrischen Regisseurs zu tun zu haben, ist auf dem Holzweg! Die Idee kommt von Rossini selbst.
Zum Beginn der römischen Karnevalsaison am 26. Dezember 1819 sollte am dortigen Teatro Argentina eine Rossini-Oper aufgeführt werden. Da sich das tragische Ende seiner Oper OTELLO nicht unbedingt für solch ein lustiges Event eignete und außerdem ein Femizid auf der Bühne im sehr konservativen päpstlichen Rom nicht akzeptabel war, schrieb Rossini die Geschichte des Mohren von Venedig einfach um.
Dabei änderte er allerdings nicht einfach die Musik am Schluss der Oper. Er nahm in der Partitur des ganzen Werkes verschiedene Änderungen vor, die das Happy End musikalisch rechtfertigen. War diese römische Fassung anfangs ein Erfolg, so konnte sie sich jedoch nie gegen die tragische Version durchsetzen und verschwand in den Tiefen der Vergessenheit. In Bad Wildbad erlebt man heuer die “moderne Erstaufführung der vollständigen Fassung für Rom”.
Hierzu hat Bad Wildbad keine Mühen und Kosten gescheut und den berühmten italienischen Tenor Francesco Meli für die Titelrolle engagiert. Dieser drückt die Wut und Eifersucht des farbigen Heerführers mit viel Autorität und tenoralem “Squillo” aus. In der Schlussszene singt er aber auch wunderbare weiche Melodiebögen, um die noch nicht erloschene Liebe zu Desdemona auszudrücken. Ein tolles musikalisches Portrait von einem Sänger der schon in Verdis Otello glänzte.
Desdemona wird von Diana Haller gesungen, die das Publikum von Bad Wildbad schon in etlichen vorherigen Aufführungen begeistert hat. So auch dieses Mal: Sie gestaltet die unglücklich Liebende mit viel musikalischem Gefühl, aber auch großer Virtuosität in den Koloraturen und ist dem Otello von Francesco Meli eine würdige Geliebte.
Die Rolle von Rodrigo wurde von Rossini für diese römische Fassung gekürzt. An diesem Abend ist dies kein großer Verlust, da die Rolle zwar sicher, aber doch ziemlich blutleer von Juan de Dios Mateos vorgetragen wird. Allein im Terzett des 2. Aktes mit Desdemona und Otello versprüht er vokales Feuer.
Stimmlichen Ausdruck besitzt die Bassstimme von Nathanaël Tavernier zur Genüge, um den unbarmherzigen Vater von Desdemona zu gestalten. In der kurzen Rolle des Jago lässt der junge Tenor Anle Gou Rolle aufhorchen.
Noch mehr allerdings gefällt die Emilia, die von Verena Kronbichler ausgezeichnet gesungen wird. Paolo Mascari vervollständigt als Doge die Besetzungsliste.
Orchester und Chor der Szymanowski-Philharmonie Krakau werden an diesem Abend kompetent und mit viel Ruhe von Nicola Pascoli geleitet.
Jean-Nico Schambourg, 27. Juli 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Opern- und Musikfestival Rossini in Wildbad Bad Wildbad 19. – 20. Juli 2024