Foto: © Orchester Wiener Akademie © Andrej Grilc
Es wird länger gestimmt als üblich. Ein Zeichen für historische Instrumente, die im Musikverein Wien bestens platziert sind. Akustik: göttlich! Beethovens „Egmont“ leuchtet unter Martin Haselböcks Dirigat und dem Orchester Wiener Akademie fast heilig. Bei der Fünften wird es eine Grenzerfahrung. Damit sprengt Beethoven die Möglichkeiten seiner Zeit.
Ludwig van Beethoven
„Egmont“, op. 84
Symphonie Nr. 5 c-Moll, op. 67
Orchester Wiener Akademie
Martin Haselböck, Dirigent
Thomas Hampson, Sprecher
Ekaterina Protsenko, Sopran
Musikverein Wien, Goldener Saal, 2. Juni 2024
von Jürgen Pathy
„So muss das von den Farben her klingen!“. Lob und Anerkennung aus dem Munde einiger, nachdem der letzte Ton verklungen ist. „Die Hörner sind auch toll“, strahlt man in den Gängen. Faszination pur, nachdem Martin Haselböck vor allem eines geliefert hat: Neue Einblicke, tiefgreifende Erkenntnisse, wie revolutionär das damals gewesen sein muss.
1808, die berühmte Fünfte. Beethoven sprengt die Ketten. Auf modernen Instrumenten fast schon ein Klacks. Auf historischen eine Demonstration dessen, wie weit der Revoluzzer eigentlich hinaus wollte. Das Blech glüht, die Streicher kämpfen mit der Radikalität und der Wildheit der Partitur. Nur im Andante finden sie zur Ruhe.
Vor mir dirigiert eine zierliche Asiatin mit. Durchgehend. Erster Satz, 2/4 Takt, Allegro con brio – mit Feuer und Schwung also. Zweiter Satz: Andante, 3/8 Takt. Erst im dritten Satz verliert sie den Mut. Zieht von dannen. Stehplatz, ganz hinten im Musikverein Wien. Den Platz an der Sonne, Parkett Reihe 24, habe ich nach der Pause aufgegeben. Freiheit – ein kostbares Gut. Die hat Beethoven vermutlich auch zu seinen Höhenflügen getrieben.
Der Tod als Ausweg
„Egmont“, Musik zu Goethes Trauerspiel. „Süßer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glück ungebeten, unerfleht am willigsten. Du lösest die Knoten der strengen Gedanken, vermischest alle Bilder der Freude und des Schmerzes; ungehindert fließt der Kreis innerer Harmonien, und eingehüllt in gefälligen Wahnsinn, versinken wir und hören auf zu sein.“
Worte, die tief gehen.
Mit Bruno Ganz oder Klaus Maria Brandauer kann Thomas Hampson sich als Sprecher zwar nicht messen. Das Mikrofon hätte man streichen können, gerade im Musikverein. Bietet der Orgelbalkon doch die perfekte Bühne und Akustik. Hinzu kommen Silben, die man einfach anders betonen muss. Aber Hand aufs Herz: Das Publikum hat den mittlerweile 68 Jahre alten Bariton, den Sir seiner Branche, tief ins Herz geschlossen.
Ausgiebiger Applaus für alle zum Ende. Haselböck, der nächste Saison Händel und Haydn „mit Originalklang beleuchten“ will. In Erinnerung an das Mozart Requiem, vor wenigen Monaten, definitiv eine Empfehlung auf historischen Instrumenten. Ekaterina Protsenko, die mit ihrer Stimme den Freiheitskampf erhellt. Und natürlich dem Orchester Wiener Akademie, das als aufschlussreiches Vehikel dieser Zeitreise dient.
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 4. Juni 2024,
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at