Foto: Christoph von Dohnányi © Brescia e Amisano
Philharmonie de Paris, Grande salle Pierre Boulez, 27. Oktober 2019
Orchestre de Paris
Dirigent, Christoph von Dohnányi
Flöte, Vicens Prats
Oboe, Alexandre Gattet
Joseph Haydn, Symphonie Nr. 12 E-Dur Hob. 1: 12
György Ligeti, Doppelkonzert für Flöte und Oboe
Johannes Brahms, Symphonie Nr. 3 F-Dur op. 90
von Lukas Baake
Es war die Rückkehr in ein neues Haus: Bereits 1998 bis 2000 stand Christoph von Dohnányi dem Orchestre de Paris als Chefdirigent vor. Nun kam der Maestro, dessen einmalige Karriere bereits mehr als ein halbes Jahrhundert andauert und den Dirigenten in fast jedes große Opern- und Konzerthaus der Welt geführt hat, für zwei Konzertabende in die Stadt der Lichter zurück. Auch wenn das Orchester dem Dirigenten wohlbekannt war, das imposante Gebäude der Pariser Philharmonie am nordöstlichen Rand der Stadt existierte zu Dohnányis Zeiten noch nicht.
Der Bau eines neuen, großen Konzertsaals, der den klassischen, aber etwas veralteten Salle Pleyel entlasten sollte, wurde am Ende der zweiten Amtszeit von Jacques Chirac gefasst; die Eröffnung folgte 2015. Dass die Eröffnung später stattfand als ursprünglich geplant, hing auch mit den für die Pariser Kulturpolitik typischen Intrigen zusammen: Während die 2014 gewählte Bürgermeisterin der Stadt Anne Hidalgo kurzerhand beschloss, die Finanzierung des Projekts kurz vor Fertigstellung einzufrieren, kam es kurz vor Bauschluss zu einem Zerwürfnis zwischen dem Star-Architekten Jean Nouvel und seinen Auftraggebern.
Trotz dieser Querelen können die ersten vier Jahre des Bestehens der Philharmonie durchaus als Erfolg bewertet werden: Die Konzerte sind gut besucht und die Kritiker sind voll des Lobes. Ein Umstand, der angesichts der Tatsache, dass das Gebäude Spielstätte zweier Klangkörper mit Weltrang ist, dem Ensemble Contemporain und dem Orchestre de Paris, nicht verwundert.
Die Eckdaten sehen wie folgt aus: 2400 Plätze bietet der Hauptsaal, der nach dem Ideengeber Pierre Boulez benannt ist. Die Baukosten betrugen 380 Millionen (ursprünglich geplant waren 200 Millionen). Zum Vergleich: Die Hamburger Elbphilharmonie kostete 866 Millionen und bietet im Hauptsaal 2100 Plätze. Der Hauptsaal orientiert sich an dem Scharoun’schen Weinberg der Berliner Philharmonie und zeichnet sich durch eine berückende und klare Akustik aus.
In ebenjener Philharmonie war es, wo Dohnányi durch das Konzertprogramm einmal mehr seine Vielseitigkeit zeigte und bewies, dass er es auf unnachahmliche Weise vermag, das Standardrepertoire der Klassik und Romantik mit neuer Musik des 20. Jahrhunderts zu verbinden.
Begonnen wurde mit der zwölften Symphonie von Haydn. Ein Werk, dass bereits die formale Eleganz und vollendete Leichtigkeit der späteren Symphonien Haydns atmet, allerdings, in Anlehnung an die Dreiteilung der Sinfonia der italienischen Oper, noch aus drei Sätzen besteht.
Es gelang den Musikern von Beginn an, durch präzise Phrasierung und ansprechende Dynamik die Energie des Werkes in den großen Saal zu transportieren. Besonders die Weiterführung und Bearbeitung der musikalischen Hauptgedanken im ersten Satz wurde überzeugend vorgetragen. Dabei ist vor allem das genaue und warme Spiel der Blechbläser hervorzuheben. Ebenso leidenschaftlich und musikalisch akkurat wurden das schmerzhafte und ernste Adagio des zweiten sowie das unbändige Presto des dritten Satzes interpretiert.
Der Dirigent besann sich auf seine auch noch im hohen Alter bestehende Präsenz. Ohne Taktstock, mit bloßen Händen, führte er die Musiker mit leichten, zurückhaltenden Bewegungen durch das Stück. Auch wenn das Alter (90 Jahre!) sichtlich seinen Tribut forderte – der Dirigent saß das gesamte Konzert über auf einem Hocker – konnte man den dynamischen Gesten und dem intimen Kontakt mit den Musikern immer noch die unbändige Leidenschaft Dohnányis anmerken.
Mit dem zweiten Stück sprang Dohnányi zweihundert Jahre in der Musikgeschichte nach vorne. Dabei hat der Dirigent ein besonderes Verhältnis zu Ligetis Doppelkonzert Flöte und Oboe: Schließlich war es Dohnányi selbst, der es 1972 im Rahmen der Berliner Festwochen uraufführte.
Es ist ein großartiges Werk, dass noch die auratische und enigmatische Atmosphäre von Ligetis Werk der späten fünfziger Jahre versprüht und gleichzeitig, ähnlich wie Ligetis Cellokonzert von 1966, das Verhältnis von Solist und Orchester neu vermisst. Dabei bot sich für die Solisten, Alexandre Gattet an der Oboe und den Flötisten Vicens Prats, die Möglichkeit, ihre Virtuosität sowie die umfangreichen Klangmöglichkeiten ihres Instruments zu präsentieren.
Ligeti gehört ohne Zweifel zu den wichtigsten Komponisten des vergangenen Jahrhunderts. Es kam einer Offenbarung gleich, seine komplexe, aufwendig instrumentierte und von mikrotonalen Elementen geprägte Komposition im Anschluss an die klassische Symphonie Haydns zu hören. Es ist bedauerlich, dass die Konzerthäuser dieser Welt immer noch von dem klassisch-romantischen Repertoire dominiert werden und sich Stücke, die nach 1945 entstanden sind, selten auf dem Programm stehen. Der begeisterte Applaus des Publikums im Anschluss an das Stück zeigte, dass man keine Angst davor haben sollte, die Konzertbesucher zu überfordern. Dohnányi hat es mit seinem Programm vorgemacht!
Als Abschluss wurde mit Brahms dritter Symphonie ein Höhepunkt der romantischen Symphonik geboten. Dabei überraschte der Dirigent zunächst durch seine Tempowahl. Der Beginn des Kopfsatzes kann, richtig vorgetragen, eine unvergleichliche, eruptive Kraft entwickeln. Die Streicherkaskade des ersten Themas, die auf die beiden schweren Eingangsakkorde des Blechs folgt, wird dann zu einem mitreißendem Strom. Dohnányi entschied sich jedoch aus unerfindlichen Gründen dazu, aus einem „Allegro con brio“ ein gemächliches Plätschern zu machen. Auch wenn das Tempo mit dem zweiten Thema angezogen wurde, kann man in diesem Fall von einem veritablen Fehlstart sprechen.
Was im ersten Satz durch eine unglücklich Wahl des Tempos misslang, konnte in dem weiteren Verlauf des Stückes durch eine einwandfreie Interpretation wieder wettgemacht werden. Der liebliche, pastoral anmutende zweite Satz überzeugte vor allem durch die großartigen Bläser des Orchestre de Paris. Der tiefsinnige und melancholische dritte Satz (Poco Allegretto) glückte vor allem auf Grund der ausgefeilten Dynamik und des engumschlungenen Spiels der Streicher- und Bläsergruppen.
Mit dem dramatischen vierten Satz, als der, wie für Brahms typisch, breit angelegte und differenziert ausgearbeitete dramaturgische Bogen des Stückes zu Ende geführt wurde, war der missglückte Anfang schon wieder vergessen.
Das Pariser Publikum honorierte nicht nur ein gelungenes und streckenweise herausragendes Konzert mit einem euphorischen Schlussapplaus, sondern verbeugte sich auch vor dem Lebenswerk Dohnányis. Bravo!
Lukas Baake, 27. Oktober 2019, für
klassik-begeistert.de.