Christian Zacharias weckt das Orquestra Sinfónica do Porto Casa da Música aus der Lethargie

Orquestra Sinfónica do Porto Casa da Música, Christian Zacharias Leitung und Klavier Porto, Casa da Música, 19. Mai 2023

Christian Zacharias – Pianist und Dirigent Fotos – Christian

Christian Zacharias führt das Orquestra Sinfónica do Porto Casa da Música durch ein spannendes Programm. Das Orchester scheint ihm jedoch erst nach der Pause in Schumanns vierter Sinfonie wirklich folgen zu wollen. Zurück bleibt ein gemischter Eindruck zwischen Ignoranz und gepflegter Langeweile auf musikalisch gehobenem Niveau.

Porto, Casa da Música, 19. Mai 2023

Orquestra Sinfónica do Porto Casa da Música
Leitung und Klavier: Christian Zacharias

Johannes Brahms
Serenade Nr. 2 A-Dur, op. 16

Robert Schumann
Introduktion und Allegro appassionato. Konzertstück für Klavier und Orchester G-Dur, op. 92

Robert Schuman
Sinfonie Nr. 4 d-Moll, op. 120

von Petra und Dr. Guido Grass

Auch mehr als 15 Jahre nach seiner Eröffnung ist das Casa da Música in Porto ein echter Hingucker, dessen Besuch sich aus musikalischen, aber auch architektonischen Gründen lohnt. Heute führt uns die Musik her. Obwohl Schumann und Brahms zu den besonders gerne gespielten und gehörten Komponisten gehören, werden zumindest die ersten beiden Werke des heutigen Abends seltener aufgeführt: eine Serenade, die beinahe eine Sinfonie ist, ein Konzertstück, das ein zweisätziges Klavierkonzert sein könnte und schließlich eine Sinfonie, die doch noch stark an eine sinfonische Fantasie erinnert.

Der etwa 1200 Sitzplätze umfassende große Saal des Casa da Música ist gut besucht; nahezu alle Plätze sind besetzt. Das Casa da Música ist seit seiner Einweihung 2005 zu einem modernen Wahrzeichen der aufstrebenden Stadt geworden, so dass es in keinem aktuellen Reiseführer fehlt. Wir sind daher nicht verwundert, dass sich neben uns hörbar auch etliche andere Touristen unter das einheimische Publikum mischen.

Das Orquestra Sinfónica do Porto Casa da Música hat dort seinen Stammsitz. Diesem Orchester ist der Dirigent Christian Zacharias seit vielen Jahren verbunden. 2020 wurde ihm die Funktion des Ersten Gastdirigenten zugedacht.

Sein Alter, 73, sieht man ihm an. Zwar betritt der dünn und lang gewachsene Deutsche mit zügigen Schritten die Bühne, etwas unsicher wirkt der Gang dennoch. Hiervon ist jedoch nichts mehr zu spüren, sobald er den Einsatz zu Johannes Brahms’ Serenade Nr. 2 gibt. Mit präzisen Schlägen führen seine Hände taktstocklos durch das Werk. Kleinere und größere Bewegungen formen die Musik, mit ganzen Körpereinsatz, mal tänzelnd, mal in die Knie gehend zeigt er deutlich auch die dynamischen Wechsel.

Allein, es nützt wenig. Das Orchester folgt ihm kaum und verharrt mehr oder weniger im Mezzoforte. Nicht dass die Musiker schlecht spielen würden; die Noten stimmen, die Bläser intonieren sauber, Violen, Celli und Kontrabässe agieren im Chor. Doch der Funke will und kann so nicht überspringen.

Die aufkeimende Langeweile gibt uns Gelegenheit, den Saal etwas näher zu betrachten. Obwohl er im Schuhkartonstil gestaltet wurde, bieten die deutlich ansteigenden Sitzreihen allseits gute Sicht auf die Bühne.

Casa da Música © Dr. Guido Grass

Das Interieur ist ungewöhnlich, aber geschmackvoll gestaltet. Stilelemente des Barock treffen auf kühles Industriedesign aus Metall, Glas, Beton und Holz. Wärme geben die Sperrholz vertäfelten Wände, deren Mittelbraun mit güldenen Verzierungen belebt wird. Eine barock verschnörkelte Orgel rechts oberhalb der Bühne setzt einen verspielten Kontrast.

Sehr ungewöhnlich: Der Konzertsaal ist nicht nach außen abgeschirmt, sondern an Kopf- und Rückseite verglast. Durch die gewellte, fast säulenartige Struktur der Glaswände wird der Schall gebrochen. Zusätzlich wird bühnenseitig vor Beginn des Konzerts ein Vorhang herabgelassen, der ebenfalls dafür sorgt, dass keine unangenehmen Reflexionen aufkommen. Der Klang wirkt direkt und transparent, wenn auch ein wenig zu trocken und mäßiger räumlichen Wirkung.

Dr. Guido Grass, wikipedia.com

Gerade für die ungewöhnlich besetzte Serenade bietet dies jedoch ideale Voraussetzungen. Brahms hat sich sich hier offensichtlich stark an Mozarts Bläserserenade orientiert. Während er auf Violinen vollends verzichtet, verstärken Violen und Celli die Basslinien der Kontrabässe. Hieraus ergibt sich ein dunkler, kammermusikalischer Klang, der sich im Raum transparent entfalten kann.

Das fünfsätzige Werk gehört zu den frühen Werken Brahms für Orchester. Viele Ideen, vor allem im vierten und fünften Satz, erinnern an seine später komponierten Sinfonien. Es ist dann natürlich besonders schmerzlich, wenn die rhythmischen Akzente dahin geschludert werden. Gerade das brahmstypisch rhythmisierte Hauptthema des fünften Satzes verfehlt so seine Wirkung.

Das vom Klavier aus geführte Dirigat kommt an

Schon deutlich überzeugender gelingt das zweite Stück des Abends. Das Konzertstück für Klavier und Orchester, op. 92 von Robert Schumann leitet Zacharias vom Klavier aus.

Als Zweitplatzierter beim Van-Cliburn-Klavierwettbewerb 1973 und Sieger des Ravel-Wettbewerbs 1975 in Paris war Zacharias vor allem in den 80iger und 90iger Jahren ein durchaus gefragter Pianist. Und auch heute vermag sein Klavierspiel in den Bann zu ziehen, nicht nur das Orchester sondern auch das Publikum. Die letzten Mobiltelefone werden jetzt auch ausgestellt.

Das Klavierspiel lässt ihm nicht viel Gelegenheit, durch deutlich gegebene Handzeichen Einsätze anzuzeigen oder Pausen einzufordern. Die Musiker hören ihm gut zu und folgen dem facettenreichen Spiel. Endlich ist auch beim Orchester Dynamik zu erleben. Den Hörnern verzeihen wir den ein oder anderen Kiekser in Anbetracht der schwierigen Partie.

Am Ende wird doch alles gut

Gefällt uns die zweite Konzerthälfte besser, weil uns der delikate Pausenrotwein milde gestimmt hat?

Dagegen spricht, dass die Mordgelüste gegenüber der Sitznachbarin nicht abgenommen haben. Diese nestelt ständig klimpernd an ihrer Halskette und räuspert sich, ununterbrochen – trotz dargereichtem Hustenbonbon.

Die vierte Sinfonie ist vom Zeitpunkt ihrer Entstehung betrachtet eigentlich Robert Schumanns zweite. Er hatte sie zunächst noch als sinfonische Fantasie angelegt. Hiervon zeugt noch, dass die vier Sätze, die Schumann bei einer Überarbeitung angelegt hatte, allesamt attacca gespielt werden. Gespielt wird heute die revidierte Fassung von 1851.

Im ersten Satz „ziemlich langsam – lebhaft – vivo“ stimmt die Dynamik des Orchesters wieder nicht recht. Auch scheint das Vivo eher Allegro genommen zu werden. Endlich im zweiten Satz, der Romanze, hören wir den Beginn, wie er in der Partitur steht: Forte mit Diminuendo zum Piano bei den Bläsern über die ersten beiden Takte. Die kurze Generalpause vor dem Beginn des schönen Violinsolos verfehlt ihre Wirkung nicht.

Im dritten und vierten Satz hätten für unseren Geschmack die Trompeten durchaus mehr „knallen“ dürfen. Dazu hätten sie nicht notwendigerweise lauter spielen müssen, was durchaus wegen des notierten Fortissimo „erlaubt“ gewesen wäre. Vielmehr hätten hier ein etwas härterer Anstoß und ein exakteres Spiel ihren Dienst erwiesen. Auch bei den Streichern hätten die Synkopen im dritten Satz deutlicher betont werden können, zumal sie in der Partitur nicht umsonst zusätzlich mit einem Akzent versehen sind. Insgesamt hätten die Details der Motiven mehr Aufmerksamkeit verdient.

Alles in allem ist aber spürbar, wie die Lautstärke nun lebendiger ausgestaltet wird: schön beispielsweise der Wechsel im Trio von Forte zum Piano dolce. Versöhnt hat uns auch der gut gelungene vierte Satz „langsam – lebhaft“. Das Orchester beginnt hier wirklich pianissimo, was Raum gibt für das ganz allmähliche, immer drängender werdende Crescendo bis zum Fortissimo des Beginns des zweiten Teils des Satzes. Dieser ist nicht nur mit „lebhaft“ überschrieben, sondern klingt auch so.

Das Publikum spendet zurecht dankbaren Applaus.

Petra und Dr. Guido Grass, 21. Mai 2023
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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