Martin Achrainer, Dshamilja Kaiser und Ensemble. Foto: Reinhard Winkler / Landestheater Linz ©
Othmar Schoeck, PENTESILEA – Premiere am Musiktheater des Landestheaters Linz, Großer Saal, 2. März 2019
Oper in einem Akt nach dem gleichnamigen Theaterstück von Heinrich von Kleist, Libretto und Musik von Othmar Schoeck
von Petra und Helmut Huber (onlinemerker.com)
Ein noch mehr als jene in Vergessenheit geratener Zeitgenosse der Spätromantiker Franz Schreker und Alexander Zemlinsky ist Othmar Schoeck, geboren 1886 im Kanton Schwyz, gestorben 1957 in Zürich. Er wurde außer im Zürcher Konservatorium auch bei Max Reger (damals in Leipzig) ausgebildet. Nach kleineren, auch musikdramatischen Werken von ihm wurde eine einaktige Oper 1927 in der Dresdner Semperoper uraufgeführt: die schon im Original 1808 sperrige und weithin, unter anderem von Goethe, abgelehnte Tragödie über die tragische Liebe der Amazonenkönigin Penthesilea; deren Konflikt mit alten, längst sinnentleerten „Ordensregeln“ führt zu einer blutrünstigen Katastrophe – abgründig genug, um eine Theateraufführung bis 1876 zu verzögern.
Getreu dem Saisonmotto „Welt aus den Fugen“ wurde nun wenige Wochen nach der Premiere der düster-mörderischen „Elektra“ eben dieses Stück angesetzt; der Komponist hatte, wie Richard Strauss 20 Jahre davor mit der „Salome“, das Libretto durch Kürzungen des Originaltextes selbst erstellt und so ein kompakteres Werk geschaffen – Regelaufführungsdauer um 1½ Stunden. Wie das Atridendrama ist auch diese Geschichte vom Ende der Amazonen mit dem Trojanischen Krieg verknüpft: bei Kleist und Schoeck erwischt es, anders als in den altgriechischen Quellen, den blonden Achill aber erst nach dem Ende des Kampfes um Troja.
Die Musik Schoecks ist spröde, aber dabei äußerst elaborat und verschwendet Dynamik nicht um des vordergründigen Effektes willen; Lyrik beinhaltet sie nur kurz, aber diese dafür sehr innig, als Penthesilea und Achill in einem Duett ihre gegenseitige Liebe erkennen. Die Orchestrierung ist eigenwillig und auf die düstere Thematik hin orientiert – hohe Streicher sind reduziert, die tiefen verstärkt, auch Bläser überdurchschnittlich besetzt: 10 Klarinetten sind gefordert, dazu erweitertes Schlagwerk sowie zwei obligate Klaviere. Auch mit dieser ungewöhnlichen Literatur kommt das brillante Bruckner Orchester freilich hervorragend und lupenrein, CD-fähig, zurecht. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Leslie Suganandarajah, der trotz des ungewöhnlichen szenischen Aufbaues Balance und Übersicht wahrt und vor allem auch dieser in Blöcken daherkommenden Musik, die Melodramteile und sogar reine (durchaus im Duktus der Musik bleibende) Deklamationsstellen beinhaltet, einen vom ersten Takt bis zu Schlußakkord reichenden Spannungsbogen verleiht.
Bühnenaufbau. Foto: Petra und Helmut Huber.
Die Inszenierung wurde wieder (wie Brittens „Der Tod in Venedig“ letzte Saison) in Zusammenarbeit mit dem Theater Bonn gestaltet, wo die Produktion 2017 Premiere hatte. Verantwortlich zeichnet der vielfach preisgekrönte Peter Konwitschny (mit Johannes Leiacker für Bühne und Kostüme, konzeptionelle Mitarbeit & Dramaturgie Bettina Bartz und Christoph Blitt). Man verwendet ein weit abseits der Guckkastenbühne liegendes Raumkonzept: Handlungszentrum ist ein weißes Quadrat von etwa 7 x 7 m, das auf den Orchestergraben bis über die ersten Parkett-Sitzreihen gebaut und zum Teil von Sesselreihen umgeben ist, auf denen Statisterie, Chor, aber auch Publikum Platz nehmen. Einige Parkettplätze sind ebenfalls von Darstellern besetzt, wie auch ein Sitz in der linken Seitenloge. Orchester und Dirigent sind auf abgestuften Hubpodien im Bühnenraum untergebracht. Auf dem „Spielgeviert“ stehen zwei auf Rollen aufgebockte Bösendorfer-Flügel, die nicht nur bestimmungsgemäß bespielt werden, sondern auch als verschiebliche Versatzstücke dienen, wie zum Beispiel als Gebirge, in das sich das Liebespaar zurückzieht.
Irgendwie erwartet man auf so einer boxringartigen Bühne ein Schauspiel wie Brechts Arturo Ui – und so weit entfernt davon ist es tatsächlich nicht, was sich abspielt: In unverbindlich-modernen Gewändern werden Hierarchien und Autoritäten herausgefordert, Eifersucht und Machtspiele wogen, alles deutlich in der Musik wiedergespiegelt. Ruhe kehrt erst ein, als sich die Titelheldin in den griechischen König verliebt. Freilich: das ist nicht von Dauer, die alten Regeln der Amazonen werden von selbigen eingemahnt. In die hochkomplexe, organische Personenführung sind der vom Komponisten nach altgriechischem Vorbild beigefügte Chor und Statisterie vielfältig eingebunden (Chorleitung Elena Pierini, Leitung Extrachor Martin Zeller).
Als die beiden Protagonisten tot sind, tritt die Darstellerin der Penthesilea aus der Rolle (und ihrer Fremdbestimmtheit) und beschließt die Aufführung in großer Robe als elegischen Liederabend. Achill steht am Klavier und hört ihr zu.
Martin Achrainer. Foto: Reinhard Winkler/ Landestheater
In Bonn war und jetzt in Linz ist Dshamilja Kaiser diese Amazonenkönigin – prachtvoll strahlender Mezzo, immer noch wortdeutliches, perfekt angesetztes pp, dabei im Gesang und der Deklamation, bis hin zum Flüstern, sehr wortdeutlich, ebenso überzeugend im Schauspiel.
Martin Achrainer gibt, in jeder Beziehung auf gleichem Niveau wie sein amazonisches Gegenüber, Achilles, König der Griechen. Ein einziges Mal fordert die Partitur, in die Tiefe über seine ohnedies weit gesteckten Grenzen zu gehen, was er aber mit Technik schafft.
Die weiteren Amazonen sind mit Julia Borchert (Prothoe), Katherine Lerner (Meroe) und Vaida Raginskytė (Oberpriesterin der Diana) stimmlich und schauspielerisch ebenso souverän abgedeckt. Diomedes, König des Griechenvolkes, ist Matthäus Schmidlechner, der auch dieses schwierige Material scheinbar mühelos beherrscht. Gotho Griesmeier als Priesterin und Domen Fajfar (Hauptmann) komplettieren mit guten Leistungen die handelnden Personen – fast, denn: auch die Bühnenpianisten spielen nicht nur (perfekt) Klavier, sondern haben auch kleine szenische Aufgaben, daher seien auch Andrea Szewieczek und Elias Gillesberger unter den Darstellern genannt.
Premierenfeier: Konwitschny, Pierini, Griesmeier, Kaiser, Achrainer, Raginskyté, Szewieczek, Schmidlechner, Borchert, Gillesberger, Lerner. Foto: Petra und Helmut Huber
Begeisterter Applaus für Darstellerinnen und Darsteller, Dirigent und Orchester, aber auch das Produktionsteam.
Petra und Helmut Huber, 3. März 2019