Auch ein dauerpiependens Hörgerät kann diesen herausragenden Parsifal an der Deutschen Oper nicht aufhalten

Parsifal, Musik und Libretto von Richard Wagner  Deutsche Oper Berlin, 3. März 2024

DOB, Parsifal © Bettina Stöß

In der Bismarckstraße gelingt wieder ein souveräner Paukenschlag in Sachen Wagner. Dieser Parsifal war einfach magisch, die fünf viel zu kurzen Stunden ein Schauplatz für neue wie altbekannte Stimmen. Daran konnte auch ein laut piependes Hörgerät nichts ändern.

Parsifal
Musik und Libretto von Richard Wagner

Deutsche Oper Berlin, 3. März 2024

von Johannes Karl Fischer

Gerade hatte sich die heilige Ruhe des ersten Parsifals-Auszugs so richtig eingesetzt. Donald Runnicles dirigierte das wunderbare Vorspiel ruhig wie das selige Amen in der Kirche, man freute sich auf fünf weitere Stunden Parsifal-Zauber.

Dann ist es passiert. Irgendwo im Saal begann ein Hörgerät zu piepen. Ein paar Momente schienen die Gäste das noch zu schlucken, dann wurde die Stimmung unruhig. Manche rannten raus, andere gestikulierten, noch andere flüsterten: „Was piepst denn da so laut.“ Aber dieser Piepston wollte einfach nicht aufhören. Nach einer halben Stunde schrie ein Gast „Machen Sie das Piepen endlich aus!“ durch den Saal, dass wahrscheinlich selbst die Gäste in der angrenzenden U-Bahn-Station wachgerüttelt wurden.

Bringt alles nix. Fast eine Dreiviertelstunde ging das so weiter, dann war das Piepen ebenso schnell verschwunden, wie es gekommen war. Ja, viele Gäste waren genervt und haben sich in der ersten Pause entsprechend beim Personal beschwert. Ein kleines Wunder war dennoch geschehen: Keine der Musizierenden oder Darstellenden ließ sich von diesem definitiv nicht von Wagner komponierten Ton irgendwie beeindrucken. Sie spielten einfach weiter, als wäre nichts gewesen. Das ist die hohe Kunst des Musizierens!

Und so kann ich genauso unbeeindruckt dieses omnipräsenten Hörgeräts zur Musik kommen. Denn musikalisch war es ein Parsifal der ganz großen Extraklasse. Günther Groissböcks Gurnemanz rezitierte seine endlosen Monologe von vorne bis hinten markant und makellos, wie ein Herrscher der Gralsritter. Fünf Stunden lang Wagner scheinen ihn nicht zu ermüden, den Text wie die Musik hatte er klar und fest im Griff.

Von der offiziell angekündigten Indisposition war in seiner Stimme keine Spur zu hören. Ein weiteres Wunder. Die letzten Reminiszenzen des österreichischen Dialekts – ein Markenzeichen seines souveränen Ochs, die bei Gurnemanz aber nichts zu suchen haben – waren fein weggeputzt. Er stand einfach an der Spitze seiner Pilger und Sünder und führte sie mit mächtiger Stimme zum heiligen Kreuz.

Die christlichen Untertöne dieser Oper sind in dieser genialen Inszenierung von Philipp Stölzl tatsächlich sehr präsent. Die Gralsritter, hier zu einer mittelalterlichen Pilgergesellschaft verwandelt, peitschen sich selbst aus, das Vorspiel zeigt offenbar die Kreuzigung Christi. Museumsinszenierung? Keinesfalls. Inmitten religiösen Ritualszenen vor eindrucksvollen Felsenlandschaften scheinen ein in Sakko und Krawatte auftretender Parsifal und eine sehr freizügig gekleidete Kundry wie aus einer anderen Welt gefallen. Da treffen eindeutig die Geschmäcker mehrerer Wagner-Lager auf einer Bühne aufeinander… sehr gut so!

Klaus Florian Vogt segelte mit hellem Tenor gewohnt souverän durch die Titelrolle. Vor den ganzen röhrenden Wagner-Baritonen und Bässen wirkt seine Stimme auch wie aus einer anderen Welt gefallen… es könnte gerade in dieser Inszenierung kaum eine passendere Besetzung des Parsifals geben. Der reine Tor braucht eben eine reine Stimme. Die dann auch noch zufällig die Stahlkraft hat, um Klingsor den heiligen Speer zu entreißen.

Deutsche Oper Berlin, Parsifal, Schlussapplaus © JF

Auch Klingsor (Joachim Goltz) brillierte in seiner Partie als Zauberer, mit viel Einsatz verteidigte er seine Burg gegen den nahenden Parsifal. Sein Gegenspieler, Titurel (Andrew Harris), überzeugte mit dunklem und mächtigem Bass als Gralskönig. Jordan Shanahan sang mit großer Leidenschaft den Amfortas, äußerst emotional gerieten ihm mit leicht röhrender Stimme seine Klagemonologe. Bis zum Ende hielt er die Spannung hoch und ließ das Publikum sein Sehnen nach Erbarmen mitfühlen.

Für einen richtig starken Paukenschlag sorgte Irene Roberts als Kundry. Mit ihrem umschwärmenden, brillanten Mezzosopran eroberte sie die Herzen des Publikums und beinahe auch des Parsifals. Stimmlich schien sie ihn immer weiter zu fordern, da musste sich selbst der derzeit wohl weltbeste Wagner-Tenor ordentlich anstrengen. Den berühmte Lachruf schmetterte sie kräftig ins Publikum, da spürte man einmal die volle Wucht dieser Rolle und Stimme. Das war übrigens bereits das dritte Wunder des Abends. Und so konnte man den Schlusschor „Höchsten Heiles Wunder!“ wohl auch auf diese Vorstellung beziehen.

Deutsche Oper Berlin, Parsifal, Schlussapplaus © JF

Das galt auch für Chor und Orchester… so einen saftigen, dennoch edlen Wagner-Klang habe ich schon lange nicht mehr durch ein Opernhaus schallen hören! Die sanften Leitmotive flossen kreuz und quer durch den Saal wie in einem endlosen Ozean, Pauken schleuderten die Gralsglockenstimmung umher, als würden die riesigen Glocken eines Berliner oder Kölner Doms direkt vor allen Ohren die Mittagsstunde anläuten.

Donald Runnicles bewies sich auch nach dem Ausschalten des Hörgerät-Pieptons als souveräner Meister der Partitur!

Der Terminkalender aller Parsifal-Fans dürfte 2024 gut gefüllt sein, es warten noch viele spannende Inszenierungen und Besetzungen. Mit diesem Souveränen Parsifal legt man in der Bismarckstraße die Latte für München, Wien, Bayreuth und Co ordentlich hoch!

Johannes Karl Fischer, 3. März 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner (1813 – 1883), Parsifal Deutsche Oper Berlin, 25. Februar 2024

PARSIFAL Richard Wagner Deutsche Oper Berlin, 25. Februar 2024

Bayreuther Festspiele 2023, Parsifal NI klassik-begeistert.de, 9. Oktober 2023

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