Fotos aus dem Archiv, Parsifal, Deutsche Oper Berlin © Bettina Stöß
PARSIFAL
Richard Wagner (1813 – 1883)
Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen
Dichtung von Richard Wagner
Uraufführung am 26. Juli 1882 in Bayreuth
Premiere an der Deutschen Oper Berlin am 21. Oktober 2012
Deutsche Oper Berlin, 25. Februar 2024
von Dr. Bianca M. Gerlich
„Parsifal“ unter der Regie von Philipp Stölzl, mittlerweile seit 2012 auf dem Spielplan, erlebt gerade eine Wiederaufnahme mit drei Aufführungen an der Deutschen Oper Berlin, deren erste am 25. Februar 2023 stattfand – mit einer Spitzenbesetzung in den Solistenrollen.
Über die Inszenierung ist hinreichend berichtet worden, dennoch möchte ich noch darüber schreiben, weil sie mir schon bei ihrem letzten Durchlauf vor zwei Jahren Rätsel aufgegeben hat. Sie wirkt auf den ersten Blick nicht so verworren wie manch andere „Parsifal“-Inszenierung und man könnte denken, dass es doch recht nett sei, die Szenen aus der Vorgeschichte rechts und links auf den erhobenen Bühnensegmenten darzustellen.
Gurnemanz’ lange Erzählungen über die Vergangenheit werden bebildert, das ist kurzweilig, und es mag sich um eine schlicht umgesetzte Inszenierung handeln, wenn da nicht einige Störfaktoren wären. Als erstes wäre da der Parsifal, der als einziger nicht im – wie eine gute Bekannte meinte – „Monty Python“-Stil der anderen auftritt. Er trägt einen modernen Anzug. Während also alle anderen zumindest im ersten und zweiten Aufzug im Stil der Kreuzritter unterwegs sind, haben wir es hier mit einem Vertreter der Gegenwart zu tun.
Soll uns die Vergangenheit also immer wieder einholen? Geht es darum, wenn am Ende wieder alle den Gral anbeten, der aus der Kiste à la Bundeslade gehoben wird? Kein Lernen aus der Geschichte, die Abläufe gleichen sich bis heute, Fehler werden immer wieder wiederholt? Denn dass die Geschichte, die uns gezeigt wird, von Fehlern und Übel behaftet ist, wird uns schonungslos vor Augen geführt. Da wären die vielen Schwertkämpfe, Tötungen und versuchten Morde. Parsifal selbst metzelt Blumenmädchen nieder und fällt Klingsor feige in den Rücken und tötet ihn.
Aber auch die Blumenmädchen wollen Parsifal nicht vernaschen, sondern auf dem Opfertisch meucheln. Es ist wahrlich viel Gewalt in diesem Parsifal zugegen. Brutal ist auch die Zwangstaufe der Kundry, weil sie sich in dieser Inszenierung nicht von Parsifal im dritten Akt taufen lassen will. Warum sie sich daraufhin freiwillig bei den vor dem Gral Niederknienden einreiht, erschließt sich mir nicht. Kurzum, so schön dieser „Parsifal“ einerseits mit all den netten Bilderwelten zunächst wirken mag, so merkt man andererseits, dass er nicht wirklich nett gemeint ist.
Musikalisch war er dank der Solistenriege überwältigend. Irene Roberts, Klaus Florian Vogt und Günther Groissböck haben vor allem dazu beigetragen, dass es ein ganz großer Abend geworden ist. Günther Groissböck singt einen sehr souveränen Gurnemanz, es ist eine Freude, seinen Erzählungen zu lauschen. Er singt die Rolle auf den Punkt, verleiht ihr durch seine Bühnenpräsenz die Aussagekraft, die sich für einen so wichtigen Gralsritter ziemt.
Klaus Florian Vogt singt ebenfalls einen rundum gelungenen Parsifal, der gerade am Anfang stimmlich und darstellerisch mit einer kindlichen Unschuld überzeugt, wenn er fragend seine blutverschmierten Hände betrachtet, nicht wissend, was er angerichtet hat, wer er ist und was gut und böse ist. Er beherrscht die Partie perfekt, guckt relativ selten zum Dirigenten, wodurch sein Spiel umso überzeugender wird. Beeindruckend die ganze Passage nach „Amfortas! Die Wunde!“ Die Stimme hat durch die neuen Wagner-Partien (Siegfried, Tristan), die er seit einem Jahr in sein Repertoire aufgenommen hat, noch mehr Expressivität dazugewonnen. Die schönen Stellen, die Vogt im Piano zum Dahinschmelzen schön ansetzt, gibt es dabei nach wie vor.
Irene Roberts als Kundry ist die Entdeckung des Abends für mich – mehr noch als letztes Jahr in Hannover, wo sie in der Neuproduktion des „Parsifal“ auch die Kundry sang. Sie kann sowohl schlank als auch mit Tremolo singen, was auch nicht zu stark forciert wirkt. Dabei hat auch sie einen weichen Ansatz, die Stimme klingt schön, ist nicht scharf. Besonders gut gelang ihr der große Tonsprung abwärts bei „lachte“ im zweiten Aufzug. Auch wusste sie ihre Rolle richtig gut zu gestalten. Lediglich die Textverständlichkeit könnte an manchen Stellen besser sein. Zu Recht hat sie sehr viel Applaus erhalten.
Auch die anderen Sänger trugen zu einem rundum gelungenen Abend bei, nämlich Joachim Goltz als Klingsor, Jordan Shanahan als Amfortas und Andrew Harris als sein Vater Titurel, der wirklich auftreten durfte (nicht nur aus dem Grab bzw. Off) und dadurch deutlich mehr stimmliche Präsenz zeigen konnte, was der Rolle insgesamt gut tat.
Hervorheben möchte ich das Altsolo (Stimme aus Höhe) am Ende des ersten Aufzugs: Marie-Luise Dreßen hat so berührend gesungen wie ich es selten gehört haben. Auch die Gralsritter waren gut besetzt, die Blumenmädchen harmonierten miteinander und überzeugten mit ihrer Darstellung als beinahe zombiehafte, auf jeden Fall zum Menschenopfern bereite Klingsor-Kult-Dienerinnen. Bei diesem Parsifal war wirklich viel zu sehen.
Donald Runnicles zauberte eine Woge an Klangfluten aus dem Orchestergraben hervor, manchmal – besonders im dritten Aufzug – schon ein wenig zu wuchtig, wenn Schlagwerk und Blech arg laut hervorstachen. Im ersten Aufzug mussten sich zudem Musiker und Sänger erst miteinander arrangieren, was die Ausbalancierung der Lautstärke anbelangte, es dauerte aber nicht allzu lange, bis es dann gut gemischt im Saal ankam. Der überwiegende Teil des Abends war von einem guten, satten und auch von den Tempi her rundum gelungenen orchestralen Sound geprägt. Auch der Chor der Deutschen Oper trug dazu bei.
Dieser „Parsifal“ lohnt sich musikalisch anzuschauen und ist noch zweimal in dieser Spielzeit zu sehen: am 3. und 8. März 2024.
Dr. Bianca Maria Gerlich, 27. Februar 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
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