Ethnoklänge und groovige Rhythmen: Der norwegische Jazzhimmel hängt voller Geigen

Partnerland Norwegen Jazzahead 2019,  Bremen 

Im hohen Norden hängt der Jazzhimmel voller Geigen. Der norwegische Jazz ist mal sphärisch, mal groovig und von höchster Kreativität geprägt. Norwegische Musik atmet, auch wenn sie einem ab und zu den Atem raubt.

Foto: Solveig Slettahjell (c) Jazzahead, Jens Schlenker
Partnerland Norwegen Jazzahead 2019, Bremen 

von Petra Spelzhaus

Die Jazzahead in Bremen ist die jährliche weltgrößte Kontaktbörse des Jazz. Musiker aus über 60 Ländern treffen auf Plattenlabels, Konzertveranstalter und Journalisten mit dem Ziel der Vernetzung. Neben der Messe finden über 100 Konzerte statt und bieten auch für das breite Publikum die Möglichkeit, sich einen Überblick über die aktuelle Jazzszene zu verschaffen. Besonderer Schwerpunkt in diesem Jahr ist die Jazzmusik Norwegens, dem Partnerland der Jazzahead 2019.

Genialer Kontaktort um interessante Musiker zu treffen ist das Catering-Areal in der Messehalle, direkt bei den beiden Bühnen. Dort lernen wir den in Tromsö lebenden 35 Jahre alten Saxophonisten Ola Asdahl Rakkones kennen und fragen ihn, warum wir als Klassik-Liebhaber uns für Jazz begeistern sollten. Da sind wir auf den Richtigen gestoßen, Ola ist ein Grenzgänger, in beiden Welten zu Hause. Er sei zu je 50 Prozent klassischer und Jazzsaxophonist. Zeitgenössische norwegische Komponisten schrieben ihm mehrere Saxophonkonzerte auf den Leib, die er mit klassischem Orchester spielt und auf  Tourneen auch im Mariinsky Theatre zur Aufführung bringt.

Parallel dazu ist er als Jazzsaxophonist aktiv. Für ihn sei das eine nicht ohne das andere denkbar. Der wesentliche Unterschied beider Musikstile sei der Klang. In der klassischen Musik sei ein saubererer Ton gefordert, der sich in den Orchesterklang einfügt. Im Jazz hingegen sei der Klang offener mit mehr Klangfarben, ein wesentliches Merkmal sei die Phrasierung und der Groove. Bei seinem Saxophonspiel transportiere er die exakte Blastechnik aus der Klassik in den Jazz. Die Energie der Jazzmusik helfe ihm bei der Interpretation klassischer Stücke. Gerade in der zeitgenössischen klassischen Musik gebe es einige Parallelen zum Jazz, hier werde ebenfalls improvisiert. Beides könne man als Kammermusik ansehen. Spannend, denken wir und hören uns durch das Norwegen-Programm der Jazzahead.

Bei der Eröffnung der Fachmesse und des Showcase Festivals am Donnerstag erleben wir die Sängerin Karin Kroog, Grand Dame des norwegischen Modern Jazz. Begleitet wird sie lediglich vom Baritonsaxophonisten John Surman. Mit ihrem weichen, rauen Alttimbre stimmt Kroog einen archaischen Gesang an. Das Saxophon legt das rhythmische und harmonische Fundament. Scat-Phrasen wechseln sich mit elegischen Gesängen ab, es folgen Frage-Antwort-Spiele, rhythmische Unisono-Passagen und Übergänge in Jazz-Standards. Zum Schluss hören wir einen Zug durch die Halle rauschen. Dieser großartige Einstieg beleuchtet viele Facetten, die wir in den kommenden zwei Tagen immer wieder zu hören bekommen. Zum Beispiel auf der Norwegian Jazznight.

Dort werfen acht Formationen Spotlights auf die vielseitige norwegische Jazzmusik. Mit Thomas Strönens Time is a blind Guide eröffnet ein klassisches Kammerensemble aus Piano, Geige, Cello, Kontrabass und Drums/Percussion den Konzertreigen. Ein elegisch spielendes Piano und mal quietschend, mal flirrend, mal perkussiv spielende Streicher steigern sich zu symphonischen Jazzpassagen. Die Musik wird weit und dann wieder verdichtet, eine einzelne Geige spielt gegen ein donnerndes Bass-Rhythmus-Fundament. In der Karl Seglem Band spielt das Ziegenhorn eine gewichtige Rolle. Eine sich über Minuten über triolischem Grundrhythmus wiederholende Melodie erinnert an den Ritt eines mongolischen Reiters in der Steppe. Der folgende nordische Reggae entwickelt sich zur stampfenden Folklore.

Mit Skadedyr begeistert ein zwölfköpfiges junges kreatives Fusion-Ensemble mit purer Spielfreude das Publikum. Die norwegische All-Star-Formation Frode Haltli Avant Folk vereinigt Akkordeon, Piano, drei Geigen, zwei Gitarren, Bass, Trompete und Schlagzeug. Nach perkussiv schrägem Beginn entwickelt sich ein stetig wachsendes harmonisch-melodisches Gebilde mit vielen Folk-Elementen. Auffällig ist der Gender-Change: Schlagzeug, E-Gitarre und Trompete werden von Frauen bedient. Ein klassisches Piano-Trio darf natürlich auch nicht fehlen. Das Espen Berg Trio zeigt sich in großartiger Spiellaune und öffnet musikalische Räume, die dann wieder dynamisch und rhythmisch verdichtet werden. Das Hedvig Mollestad Trio zündet mit der Protagonistin an der Gitarre sowie Ellen Brekken an Bass und Gitarre ein Jazz-Rock-Feuerwerk. Den Quotenmann am Schlagzeug gibt Ivar Loe Björnstad.

Den norwegischen Höhepunkt bildet am Freitag Abend das zweigeteilte Galakonzert in der Bremer Glocke. Der phantastische Trompeter und Multiinstrumentalist Mathias Eick, einst als junger Musiker eine Entdeckung der Jazzahead, eröffnet mit seinem Quintett den Konzertabend. Einem Piano-Ostinato folgt eine erst flüsternde, dann zunehmend elegische Trompete, gefolgt vom archaischen Gesang Eicks. Geige und Trompete zeigen in ihren Unisono-Stellen eine wahre Symbiose. Nach einem langsamen Aufbau entwickeln sich drängende Beats. Die Trompete spielt mal mit fließendem warmem satten  Sound, dann wieder mit virtuosen Läufen. Die unweigerlich im Kopf des Zuhörers entstehenden Landschaften sind oft  geprägt von Weite, ein anderes Mal sorgt eine bis ins Chaos gehende rhythmisch-melodisch-dynamische Verdichtung für ein Gefühl großer Enge. Es gibt Standing Ovations für ein mitreißendes Programm.

Den zweiten Teil des Galaabends bestreiten Trail of Souls feat. Solveig Slettahjell (Vocals), Knut Reiersrud (Blues-Gitarre) und das aus der Elektroszene stammende Trio In the Country. Die Sängerin besticht durch ihre „Jazz-Röhre“ mit rau-warmen Timbre. Diese harmoniert kongenial mit Reiersruds Blues-Gitarre. Trotz deutlicher stilistischer Unterschiede zum ersten Konzert, gibt es auch hier eine große Bandbreite mit langsamen Passagen, elegischen Gesängen, Groovepassagen, musikalischem Donner, Blues, Jazz Waltz, Soul-Elementen sowie großen Hymnen.  Am Ende des Konzertabends reißt es die Besucher erneut von den Sitzen.

Auch wenn sich die norwegische Musik beileibe nicht über einen Kamm scheren lässt – es gibt prägende Stilelemente. Uli Beckerhoff, künstlerischer Leiter der Jazzahead: „Hauptthema in allen norwegischen Musikrichtungen ist die Natur.“ Was schon bei Norwegens größtem klassischen Komponisten Edvard Grieg nicht zu überhören ist, spielt auch in der aktuellen norwegischen Jazzmusik eine überragende Rolle. Die Musik bedient sich gerne an Folkelementen, zeigt aber auch Verbindungen zu anderen Musikrichtungen wie Pop und Klassik . Und ein Instrument, das in der Jazzwelt ansonsten wenig zum Einsatz kommt, wird adäquat gewürdigt: Im hohen Norden hängt der Jazzhimmel voller Geigen. Der norwegische Jazz ist mal sphärisch, mal groovig und von höchster Kreativität geprägt. Norwegische Musik atmet, auch wenn sie einem ab und zu den Atem raubt.

Dr. Petra Spelzhaus ist Ärztin und Jazz-Trompeterin in München. Ihr Lebensmotto: Life is Jazz.

klassik-begeistert.de, 27. April 2019

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert