Foto: © Michael Pöhn
Wiener Staatsoper, 6. Dezember 2021
Wolfgang Amadeus Mozart, Don Giovanni,
von Jürgen Pathy
Eigentlich wollte ich nichts schreiben zur Premiere vom Wiener „Don Giovanni“. Allerdings fällt es mir schwer, die Finger ruhig zu halten. Das hat zwei Gründe: Erstens die unterschiedlichen Rezensionen, die ich gelesen habe. Zweitens: Das Interesse, wieso Barrie Kosky teilweise so gefeiert wird. „Kritik“, im herkömmlichen Sinn, soll es allerdings keine werden. Dazu hätte ich den kompletten Stream von Anfang bis Ende verfolgen müssen. Daran scheitert es bereits. Das liegt aber nicht daran, dass Koskys Inszenierung mich ziemlich kaltgelassen hat, sondern generell am Umstand der Livestreams, denen ich nichts abgewinnen kann.
Dennoch „muss“ man sich das Trauerspiel ja beinahe geben – immerhin zählt Barrie Kosky, der gebürtige Australier, zu den gefragtesten Regisseuren unserer Zeit. Bayreuth, Salzburg oder Komische Oper Berlin, die er bis Herbst 2022 noch als Intendant leiten wird. Kosky ist ein sogenannter „Großer Name“, ein „Big Player“, wie ihn die Amerikaner bezeichnen würden. Obwohl ich zugeben möchte, noch nicht all zu viel seines Schaffens gesehen zu haben. Live ist er bislang hauptsächlich in Deutschland aktiv gewesen. Da mir Streams wirklich ein Dorn im Auge sind, habe ich somit nicht einmal seinen „Rosenkavalier“ gesehen, den er vor kurzem mit viel Jubel der Kritik in München inszeniert hat. In Wien war er zuletzt 2005 aktiv, mit dem „Lohengrin“. Ein Flop, glaubt man der Kritik. Kosky selbst bestätigt, es sei „kein Erfolg“ gewesen und habe zu einer „Art Trauma“ geführt.
Für Bogdan Roščić hat er das anscheinend vergessen. Neben dem „Don Giovanni“, mit dem er am Sonnabend Premiere gefeiert hat, sollen auch die weiteren Da Ponte-Opern folgen: „Die Hochzeit des Figaro“ und „Cosi fan tutte“. Für Kosky alles andere als eine leichte Aufgabe. „Don Giovanni“ habe er zuletzt als 19-jähriger inszeniert, an der Uni in Melbourne, lässt er während der Einführungsmatinee wissen – das einzige Mal übrigens. „Die Hochzeit des Figaro“ zweimal. „Cosi fan tutte“ überhaupt noch nie.
Im Wiener „Don Giovanni“ lässt er alle Protagonisten auf einer kahlen Felslandschaft rauflaufen. Einen Kontrast bieten, neben den Kostümen, nur irgendwelche Gewächse, die zum Ende des zweiten Akts kurzfristig ins Spiel kommen. Darüber sollte man sich allerdings gar nicht zu viel den Kopf zerbrechen, versucht ein Freund zu entkräften. Regisseure heutzutage würden vieles in eine Inszenierung einfließen lassen, das rein der Intuition entspringe.
Intellektuell betrachtet, kann ich mir allerdings schon einen Reim darauf machen, worauf Kosky generell abzielt: Viele sind im Grunde verdammt. Hinter der bunten Fassade, die vor allem der Titelheld oder Antiheld des Werks mit teils extravaganter Garderobe zur Schau stellt, wird es düster. Don Giovannis Welt ist im Grunde trostlos. Mord und Sittenverfall pflastern seinen Weg. Alles andere: Möglicherweise nur Sein und Schein, wenn ich Koskys Inszenierung richtig deute. Die vielen weiblichen Eroberungen, egal ob sie reich, hässlich oder schön sein mögen, wie Leporello in der „Registerarie“ verkündet – alles belangloses Beiwerk, eines im Grunde bereits zu Lebzeiten Verdammten.
Mein Problem mit diesem kargen Bühnenbild: Wie soll da auch nur irgendwie ein Keim der Emotion gedeihen!? Das, was sich Kosky, wie er erzählt, allerdings genau wünscht. Der Zuschauer soll alleine vom Anblick hin und weggerissen sein, ließ er bei der Einführungsmatinee wissen. Tiefschürfende Gedanken und intellektuelle Konklusion, die könne man nach der Vorstellung einfließen lassen. Während der Vorstellung zähle nur das Gefühl.
Nur frage ich mich, wie Kosky sich das beim Anblick dieser tristen Vulkanlandschaft vorstellt. Funktioniert bei mir nicht. Genauso wenig wie bei „Macbeth“ im Sommer. Auch wenn es dort ebenso Sinn ergeben hat, Anna Netrebko als Lady und Luca Salsi als Macbeth auf einer beinahe leeren, schwarzen Bühne auftreten zu lassen, nur durch minimalistische Lichtinstallationen, zwei Stühle und einige Raben am Ende aufgeputzt, bei solch einem Anblick fällt es mir schwer, den Herzschlag nicht weit unter den Ruhepuls fallen zu lassen. Die Musik und die Charaktere sind emotionaler Anreiz genug, könnte man nun entgegensetzen. Klar. Allerdings frage ich mich dann, wozu ein Bühnenbild überhaupt notwendig ist.
Nun hat es mich wirklich beschäftigt, womit Kosky derart punktet. Also habe ich mir Meinungen eingeholt, von Fachleuten, die in der Welt der Dramaturgie und der Regie verankert sind. Der Humor und seine Personenführung sei vor allem Koskys Stärke, bekräftigt ein Freund. Wie die Personen untereinander agieren. Kosky gebe den Darstellern unheimlich viel Freiraum, um auch intuitiv zu agieren. Das hat man im Wiener „Don Giovanni“ tatsächlich bemerkt. Was einige Kritiker als zu viel Freiraum sehen, in dem die Künstler teilweise überfordert gewesen seien, empfinden andere als perfekte Umsetzung. Vor allem Leporello, der optisch ein wenig Anklang gefunden haben dürfte an der Salzburger „Junkie-Inszenierung“ von Claus Guth 2008, bot eine gute Darstellung.
Superstar Erwin Schrott als Leporello war es damals in Salzburg. Ganz so viel Ausdruck, energetische Durchdringung und Variabilität im Gesang, hatte der junge Philippe Sly in Wien zwar nicht, allerdings dennoch hervorragende Momente – und viele Aufgaben: Hüpfen, Turnen, Tanzen, stellenweise Verrenkungen, die ihm im Cirque du Soleil einen Job sichern würden – alles mit dabei. Auch stimmlich, soweit ich das mitbekommen habe, verlieh er dieser Figur schon eine gewisse Brisanz und Würze. Einzig die stimmliche Gestaltung könnte eben vielfältiger sein. Das war mir zu monochrom. Passend zum Bühnenbild von Kosky.
Dessen Stärken, um das weiterzuführen, würden auch noch in der Vermittlung des Sujets liegen. Er überzeuge durch seine Art, das Sujet allen leicht zugänglich zu machen – selbst denjenigen, die nicht so oft in der Oper sind. Der Clou dabei: Kosky würde niemals oberflächlich werden. Zusätzlich lege Kosky enormen Wert, dass selbst der unbedeutendste Statist, niemals nur belanglos irgendwo herumstünde, sondern alles durchdacht sei. Als Paradebeispiel hat mein Freund den Münchner „Rosenkavalier“ ins Rennen geworfen. Den hat auch Klassik-begeistert Autor Peter Sommeregger in den höchsten Tönen gelobt, genauso wie diesen Wiener „Don Giovanni“.
Die Titelpartie hat man an der Wiener Staatsoper dem Bassbariton Kyle Ketelsen anvertraut. Vielleicht sollte ich mir verkneifen, was ich zu sagen habe, immerhin ist mein Blick bereits im Vorfeld aufgrund des Streams so getrübt, dass der Rest gar keine andere Chance hat, außer zwischen Halbtoten und Schwerverletztem zu pendeln. Optisch ist er für die Partie wie prädestiniert. Groß, schlank, sogar mit Ansätzen zum Sixpack, das kurzzeitig durch die legere Kleidung blitzt. Vokal klingt das auch alles sehr solide, soweit ich das mitbekommen habe. Viel mehr allerdings nicht.
Ohne hier jetzt alle Sänger zwanghaft durchexerzieren zu wollen: Kate Lindsey, die eigentlich im Mezzofach zuhause ist, hat sich meines Erachtens als Donna Elvira ein wenig weit hinausgelehnt. Mir wirkte die Stimme ein wenig zu beengt, in den Höhen auch überfordert, als dass ich mein überschwängliches Lob von der Poppea fortsetzen könnte. Don Ottavio, für den Philippe Jordan während der Matinee vehement Stellung bezogen hatte, dass er alles andere sei als nur der Pudel Donna Annas, klang dann auch so: Als einer, der durchaus Potenzial zum Helden haben sollte, wie Jordan auch gefordert hat. Stanislas de Barbeyrac erfüllte diese Anforderungen.
Erwähnenswert, weil ich ein großer Fürsprecher des jungen Slowaken bin: Peter Kellner als Masetto. Ich kann nur hoffen, dass Bogdan Roščić dem jungen Bassbariton auch die Chance gibt, in größeren Partien sein Können wieder unter Beweis zu stellen. Immerhin hat Kellner bereits den Leporello gesungen, sowohl in Wien als auch an kleineren Häusern wie in Bratislava. Wenn es stimmt, was man liest, soll er in Wien bald den Figaro singen.
Alles andere habe ich nicht mitbekommen. Die Ouvertüre im Livestream verpasst, allerdings in der zeitversetzten Übertragung des ORF nachgehört. Das Orchester ohne besondere Auffälligkeiten. Keine teils zu rasanten Tempi, wie Currentzis in Salzburg. Auch nicht bei der „Champagnerarie“, deren Bezeichnung Kosky etwas absurd findet, da hier Wein getrunken werde. Sei’s drum.
Ich kann nur hoffen, dass dieses Trauerspiel der Streams bald wieder ein Ende nimmt. Bundeskanzler Schallenberg, der seit gestern wieder Geschichte ist, hat es zumindest mit 12. Dezember 2021 versprochen…
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 8. Dezember 2021, für
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Erst die Inszenierung von Kosky hat mir die Bedeutung von Don Giovanni begreifbar gemacht. Ich habe früher manche Arien als überflüssig empfunden. Dadurch, dass Kosky alles aus dem Zusammenspiel der AkteurInnen entwickelt, habe ich bemerkt, dass keine Note überflüssig ist und die Vielschichtigkeit des Werkes begriffen. Und ich gehöre keineswegs zu den jungen Zuschauerinnen. Mozart hat eine umfassende Menschenkenntnis gehabt…
Doris Klinger