Eugen Onegin in Hamburg: Schwelgen in schönen Tönen und schönen Bildern

Staatsoper Hamburg, 10. Februar 2018
Pjotr Iljitsch Tschaikowsky, Eugen Onegin

Von Birgit Kleinfeld

Liebe auf den ersten Blick, verpasste Chancen, Leichtsinn, tödliche Eifersucht und vor allem zu späte Einsicht sind die Themen, mit denen Pjotr Iljitsch Tschaikowskys Oper „Eugen Onegin“ uns in ihren Bann zieht. Sobald sich der Vorhang öffnet, befinden wir uns mitten im Geschehen: An der Tür eines Wintergartens, der schon bessere Tage gesehen hat, stehen Iulia Maria Dan als Tatjana und Oksana Volkova als ihre jüngere Schwester Olga. Sie blicken in einen Garten, entführen uns mit ihrer traurigen Weise augenblicklich in ihre Welt. Nach einer fröhlichen Tanz- und Gesangseinlage der Bauern erscheint der alte Freund der Familie Lenski und bringt einen Fremden mit.

Dovlet Nurgeldiyev als Olgas Verlobter Lenski gilt zurecht als eine Idealbesetzung für diese Rolle. Er verkörpert Lenski mit gefühlvoller Zurückhaltung, überzeugt mit seinem lyrischen Tenor, der weich und voll durch den Saal strömt, ihn bis in den letzten Winkel füllt und dabei die Ohren streichelt wie eine sanfte Sommerbrise. Er malt mit jedem Ton Bilder von Liebe und Leid und auch Wut in die Seelen des Publikums.

Dovlet Nurgeldiyev führt seine Stimme stets sicher, und ihre Schönheit zaubert ein Lächeln auf die Lippen und wärmt die Herzen, besonders in den Höhen. Er berührt, wenn er schüchtern um Olga wirbt, er erschüttert, wenn er mit Verve den ehemaligen Freund zum Duell fordert. Sein „Kuda, Kuda“ lässt keinerlei Zweifel daran, dass hier einer ist, der bald zu den ganz großen Sängern gehören wird. Und der Moment, der wirkte, als habe er kurzfristig einen Frosch von der Größe einer Kaulquappe im Hals, kann durchaus auch bedeuteten, dass er hier den Ausdruck von Verzweiflung den Vorzug vor technischer Perfektion gab – eine Darbietung, die irgendwie zu einem Sänger-Darsteller gehört, der mit dem Gesamtbild der Rolle überzeugen will.

Kartal Karagedik als Eugen Onegin gelingt es, sobald er die Bühne betritt, nicht nur Tatjanas Blicke auf sich zu ziehen. Seine Bühnenpräsenz wie auch seine elegant-attraktive Erscheinung machen es leicht, Tatjanas Leidenschaft für ihn zu verstehen. Seiner Stimme, deren Klangfarbe wie geschaffen ist für das italienische Fach, fehlt es nicht an jener Melancholie, die bewegt. Auch er modelliert so geschickt, dass es nicht nötig ist, die russische Sprache zu beherrschen oder die Obertexte zu Hilfe zu nehmen, um in Onegins komplizierte Gefühlswelt einzutauchen.

Karagedik kreiert eine neue Art von Onegin. Von Anfang an wirkt er eher wie ein Suchender, denn als ein arroganter Lebemann. Wenn er mit Tatjana unter den leuchtenden grünen Kirschbäumen steht, um auf ihren Brief zu reagieren, sind es die Worte, die verletzen. Sein Tonfall, durch die Interpretation seiner wunderschön gesungenen Arie zum Ausdruck gebracht, spricht eine andere Sprache. Zärtlichkeit spricht mit. Bedauern. Dieser Onegin erweckt den Eindruck, dass er den Brief nicht allein aus Überheblichkeit zurückgibt, sondern auch aus Angst verletzt zu werden. Umso intensiver wirkt dann sein Ausbruch und Zusammenbruch, als Tatjana ihn zurückweist.

Diese letzte Szene, die ihre Dramatik ja schon dadurch gewinnt, dass Onegin hier musikalisch Tatjanas Thema aus der Briefszene übernimmt, ist der Höhepunkt dieser Oper, bei dem der Komponist sein Geschick auch für Dramaturgie ein Mal mehr unter Beweis stellt.

Zusammen mit Kartal Karagedik gelingt Iulia Maria Dan als Tatjana ein Finale, das die Zuschauer klatschen lässt noch bevor der Vorhang endgültig fällt. Bereits vor zwei Jahren begeisterte Iulia Maria Dan als verliebte Tatjana. Doch die junge Sängerin hat ihre stimmlichen, vor allem aber auch ihre darstellerischen Fähigkeiten noch verfeinert. Sie ist eine Frau der kleinen, aber doch intensiven Gesten. Es gelingt ihr, Tatjanas Faszination für Onegin deutlich zu machen – und ihre Demütigung, als er sie abweist. Ebenso zeigt sie ohne Übertreibung nur durch Körperhaltung und Blicke ihre Angst um ihn, der Lenskis Herausforderung annimmt.

Doch jede Tatjana wird an der Finalszene wie auch an der berühmten Briefszene gemessen. In dieser glückt es ihr ohne sichtbare Schwierigkeiten durch sichere Höhen und ein sanftes Piano, das sie im Crescendo zu dem kraftvollen Ausdruck von Leidenschaft steigert, Tatjanas Vielschichtigkeit zu zeigen. Sie mag vielleicht noch nicht an die Leistung ihrer erfahreneren Kolleginnen heranreichen. Doch sie ist auf jeden Fall auf dem Weg dahin. Denn auch in der letzten Szene fehlt es ihr nicht an Kraft. Nun steht eine reife Frau auf der Bühne, die nur tief im Innern noch das Mädchen ist, das vor dem Schreibtisch knieend einen Liebesbrief schrieb. Sie ist erwachsen und hat gelernt, was Onegin ihr einst riet: sich zu beherrschen.

All diese Dramatik findet ihren Ausgleich in den kleineren, aber doch nicht unbedeutenen Rollen. Da ist zum einen Oksana Volkova als quirlige Olga. Ihr Mezzosopran ertönt tief und samten. Anders als Tatjana ist die Partie der Olga nicht daraufhin angelegt eine tiefgreifende Veränderung zu durchleben. Aber trotzdem verschwindet auch aus Oksana Volkovas Zügen in der verhängnisvollen Ballszene die Heiterkeit und wird durch Trauer ersetzt.

Zum anderen darf auf keinen Fall Alexander Tsymbalyuk als Fürst Gremin vergessen werden. Er kommt auf die Bühne, singt eine einzige Arie und geht wieder ab. Aber mit dieser Hymne an die Liebe zu seiner Gattin Tatjana gewinnt er das Publikum ähnlich wie Thomas Ebenstein. Er macht aus Triquets Geburtstagsständchen für Tatjana ein stimmliches und schauspielerisches Kabinettstückchen. Man freut sich, ihn an diesem Hause auch in umfangreicheren Partien hören zu dürfen. Das gilt auch für Katja Pieweck als Larina und mehr noch für die junge Marta Swiderska als Filipjewna.

Auch die Leistung des Philharmonischen Staatsorchesters unter der Leitung von Christoph Gedschold ließ kaum zu wünschen übrig. Das an einigen Stellen fehlende Temperament und die Ausarbeitung stimmungsvoller, musikalischer Details wird sich sicher im Laufe der kommenden Vorstellungen einstellen.

Alles in allem war es ein wirklich schöner Abend nicht zuletzt auch wegen der 40 Jahre alten Inszenierung von Adolf Dresen, den Bühnenbildern von Karl-Ernst Herrmann und den Kostümen von Margit Bárdy. Das Publikum durfte in schönen Tönen schwelgen UND in schönen Bildern. Auch wenn gutes Regietheater eine wundervolle Bereicherung sein kann, ist dies ab und an auch eine Wohltat.

Fazit: Wer kann, sollte sich diesen „Eugen Onegin“ nicht entgehen lassen.

Birgit Kleinfeld, 11. Februar 2018, für
klassik-begeistert.de

Ein Gedanke zu „Pjotr Iljitsch Tschaikowsky, Eugen Onegin,
Staatsoper Hamburg“

  1. Herzlichen Dank für diese schöne Kritik!

    „Dovlet Nurgeldiyev als Olgas Verlobter Lenski gilt zurecht als eine Idealbesetzung für diese Rolle. Er verkörpert Lenski mit gefühlvoller Zurückhaltung, überzeugt mit seinem lyrischen Tenor, der weich und voll durch den Saal strömt, ihn bis in den letzten Winkel füllt und dabei die Ohren streichelt wie eine sanfte Sommerbrise. Er malt mit jedem Ton Bilder von Liebe und Leid und auch Wut in die Seelen des Publikums.“

    Das sehe ich ganz genauso. Dovlet Nurgeldiyev ist wahrlich traumhaft gut als Lenski! Das möchte ich immer und immer wieder hören! Möge er diese Rolle noch lange in Hamburg singen.

    Sebastian Koik

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