Die Oper Bonn bringt mit der Oper “Die Liebe zu den drei Orangen” von Sergei Prokofjew das Publikum zum Lachen

Prokofjew, Die Liebe zu den drei Orangen  Bonn, Oper, 14. April 2024
Fotos: Orangen © Bettina Stöß

Das Lachen kann viele verschiedene Formen haben: vom Schmunzeln, über’s herzhafte Lachen bis zum nach Luft ringendem Schnauben. Es kann auch durch vieles ausgelöst werden: durch einen guten Witz, genauso wie durch einen schlechten, den man auf dem Rücken anderer erzählt, oder gar durch Schadenfreude. Es ist diese letzte Art von Lachen, die die Geschehnisse in dieser Oper in Gang setzt. Das Lachen und die Freude am Lachen springt bei dieser wunderbaren Inszenierung von Leo Muscato schnell von der Opernbühne auf das Publikum über.

 

Sergei S. Prokofjew (1891 – 1953)

DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN
Oper in einem Prolog und vier Akten
Französisches Libretto vom Komponisten & Véra Janacopoulos


Musikalische Leitung   Dirk Kaftan
Inszenierung    Leo Muscato
Bühne   Andrea Belli
Kostüme   Margherita Baldoni

Beethoven Orchester Bonn
Chor und Extrachor des Theater Bonn (Einstudierung   Marco Medved)

König Treff                    Magnus Piontek
Prinz                                 Uwe Stickert
Prinzessin Clarisse     Khatuna Mikaberidze
Leander                           Christopher Jähnig
Truffaldino                    Tae Hwan Yun
Pantalon / Farfarello  Carl Rumstadt
Zauberer Tschelio      Martin Tzonev
Fata Morgana               Yannick-Muriel Noah
Ninetta                            Marie Heeschen
Köchin                            Pavel Kudinov

Bonn, Oper, 14. April 2024

von Jean-Nico Schambourg

Das Theater Bonn spielt “Die Liebe zu den drei Orangen” in französischer Sprache, genauso wie die Oper 1921 in Chicago zur Uraufführung kam. Sergei Prokofjew wollte mit seinem Werk die Komponisten mit ihren eingerosteten Opernklischees, aber auch das sich daran erfreuende Opernpublikum auf den Arm nehmen.

 Wieviel Tragik, wieviel Komik, wieviel Romantik, wieviel Klamauk soll eine Oper enthalten?

Dies ist die zentrale Frage, die in der Oper aufgeworfen wird. Im Prolog streiten die Anhänger des jeweiligen Genres hierüber, bis sogenannte “Sonderlinge” einschreiten und die Aufführung einer Oper verkünden, die allen gerecht wird: “Die Liebe zu den drei Orangen”.

König Treff klagt über den Zustand seines kranken Sohnes, dem Prinzen, der unheilbar an Melancholie leidet und nicht lachen kann. Er beauftragt Truffaldino, ein Fest zu organisieren, um den Prinzen zum Lachen zu bringen. Dies misslingt allerdings, da die Prinzessin Clarisse und deren Geliebter, der Minister Leander, die beide die Thronfolge im Auge haben, sich mit der Zauberin Fata Morgana verbünden.

Bei einem Streit zwischen Truffaldino und Fata Morgana kommt letztere zu Fall und das löst beim Prinzen Schadenfreude aus: er lacht! Fata Morgana belegt ihn sogleich mit einem Fluch: der Prinz soll sich in drei Orangen verlieben. Dieser, zusammen mit Truffaldino, macht sich sogleich auf den Weg zu Kreontas Palast, wo die Orangen gefangen gehalten werden, beschützt von einer bösen Köchin. Mit Hilfe eines Zauberbandes des Zauberers Tschelio gelingt es ihnen, die böse Köchin abzulenken und die Orangen zu befreien.

Bei der darauffolgenden Durchquerung der Wüste leiden beide an Durst. Während der Prinz schläft, öffnet Truffaldino zwei Orangen um seinen Durst zu stillen. Heraus kommen zwei Prinzessinnen, die aber gleich beide vor Durst sterben. Truffaldino läuft aus Angst vor dem Prinzen davon. Dieser erwacht und öffnet die dritte Orange, aus der die Prinzessin Ninetta entsteigt. Der Prinz verliebt sich sogleich in die Prinzessin, die allerdings auch verdursten müsste, würden die Sonderlinge nicht einschreiten und Wasser bringen.

Während der Prinz zum Hofe zurückgeht, um seinen Vater zu holen, verwandelt Fata Morgana Ninetta in eine Ratte. An ihrer Stelle wartet die Dienerin Fata Morganas, Smeraldina, auf die Rückkehr des Prinzen und gibt sich als die befreite Prinzessin aus. Der König zwingt seinen widerwilligen Sohn, diese Prinzessin zu heiraten. Bei der Hochzeit im Palast erscheint die Ratte auf dem Thron. Der Zauberer Tschelio durchbricht den Fluch und der Prinz erkennt seine geliebte Ninetta. Smeraldina, Prinzessin Clarisse und Minister Leander werden vom König zum Tode verurteilt. Im allgemeinen Durcheinander schreitet Fata Morgana ein und hilft den dreien zur Flucht. Der Hofstaat und die Sonderlinge können aber jubeln und feiern.

Manches erinnert in dieser Geschichte an Wagners “Parsifal” (die Erlösung durch den “unschuldigen, naiven” Prinzen), oder dessen “Siegfried” (das Entwenden der drei Orangen aus den Fängen der bösen Köchin als Reminiszenz an Siegfrieds Sieg über Fafner). Mehr noch kommt dem Zuschauer Mozarts “Zauberflöte” in den Sinn: auch hier machen sich ein verliebter Prinz und sein Helfer auf den Weg, eine Prinzessin zu befreien. Die drei Knaben bei Mozart greifen wie die Sonderlinge bei Prokofjew immer wieder in die Handlung ein und lenken diese in die gewollte Richtung. Auch musikalisch werden diese Hinweise von Prokofjew unterstrichen durch tonmalerische Anspielungen.

Dabei basiert die Oper auf der Erzählung der italienischen Komödie “L’amore delle tre melarance” von Carlo Gozzi aus dem Jahre 1761. Das Stück ist der Gattung “Commedia dell’arte” zuzuschreiben.

Der Regisseur Leo Muscato mit seinem Team (Bühnenbild: Andrea Belli; Kostüme: Margherita Baldoni; Licht: Max Karbe) inspiriert sich an mehreren theatralischen Stilrichtungen.

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Orangen (c) Bettina Stöß

Zu den Elementen der Commedia dell’arte, u.a. verkörpert durch Truffaldino und Smeraldina, gesellt Muscato viele verschiedene Anspielungen anderer Theatralik. Bei ihrem Auftritt im Prolog, zum Beispiel, schieben die Anhänger der verschiedenen Theaterarten riesige Köpfe vor sich her, was unweigerlich an einen rheinischen Karnevalsumzug erinnert. In manchen Gesten der Akteure findet man auch Anlehnungen an die Zeit der Stummfilme. Die Kostüme der verschiedenen Rollen steuern ihrerseits das Gefühl bei, die Geschichte würde aus einem Märchenbuch der Brüder Grimm stammen.

Muscato verbindet deren Sinn und deren Unsinn miteinander zu einer homogenen, verspielten Inszenierung, die das Bonner Publikum verzaubert.

Es wäre ungerecht, unfair ,den einen oder anderen Interpreten aus dieser Produktion heraus zu heben. Dieser Opernabend zeugt erneut von dem hohen Niveau des Ensembles der Oper Bonn. Alle Sängerinnen und Sänger verkörpern schauspielerisch und musikalisch wunderbar ihre Rollen.

König Treff wird gesungen von Magnus Piontek mit imposantem, vollmundigem Bass, wie es sich für einen Herrscher ziemt. Uwe Stickert mimt sowohl den kranken, auch als später den verliebten Prinzen mit einer berührenden Naivität. Dabei hilft ihm eine gewisse Leibesfülle, die dem Prinzen auch einen Touch von Tollpatschigkeit verleiht. Seine klare Tenorstimme drückt dabei alle Gefühlsmomente des Prinzen wunderbar aus: Melancholie, Verliebtheit, Draufgängertum. Seinem Begleiter Truffaldino verleiht Tae Hwan Yun seinen flexiblen Spieltenor. Auch szenisch agiert er mit viel Spielwitz.

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Orangen © Bettina Stöß

Carl Rumstadt singt die Rolle des Pantalon, dem Vertrauten des Königs, mit weichem, und später  die Rolle des Farfarello, dem Teufel, mit zupackendem Bariton. Martin Tzonev und Yannick-Muriel Noah leisten sich, als guten Zauberer Tschelio und böse Zauberin Fata Morgana, szenisch und gesanglich ein packendes Duell und erinnern dabei an die Konfrontation zwischen Sarastro und Königin der Nacht.

Die beiden Intriganten am Hofe, Prinzessin Clarisse gesungen von Khatuna Mikaberidze, und Leander gesungen von Christopher Jähnig, sowie Smeraldina, die Helferin der Fata Morgana, gesungen von Ava Gesell, verfolgen, auch stimmlich, voll Überzeugung ihre bösen Absichten.

Wie ein heller Stern am Abendhimmel erklingt dagegen der klare Sopran von Marie Heeschen, die die Prinzessin Ninetta verkörpert. Ihre Leidgenossinnen, die Prinzessinnen Linetta und Nicoletta, Susanne Blattert und Ayaka Igarashi, sowie der Zeremonienmeister Justo Rodriguez und der Herold Mark Morouse, passen sich ebenfalls wunderbar ins Ensemble ein.

Herausheben möchte ich aber am Schluss noch die kurze Intervention von Pavel Kudinov, der mit röhrendem Bass eine, nicht nur von der Körpergröße her, imposante Köchin spielt.

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Orangen (c) Bettina Stöß

Eine zentrale Rolle spielt bei dieser Oper der Chor. Er teilt sich ab dem Prolog in fünf Gruppen ein: die Anhänger der vier Arten von Theater: Tragödie, Komödie, Romantik und Klamauk, sowie die Sonderlinge, die zu schlichten versuchen und die Oper in die richtige Bahnen leiten. Chor und Extrachor des Theater Bonn sind großartig vorbereitet worden von Marco Medved, der sich mit dieser Einstudierung vom Theater Bonn nach Italien an das Teatro Petruzzelli in Bari verabschiedet. Er hat auf jeden Fall, auch bei dieser letzten Einstudierung, erstklassige Arbeit geleistet. Alle Gruppen klingen rollengerecht, dabei immer fest im Klang und genau im Ton.

Großer Klang erschallt auch aus dem Orchestergraben, wo der Dirigent Dirk Kaftan das Sagen hat. Mit viel Verve leitet er das bestens disponierte Beethoven Orchester Bonn, das die vielen verschiedenen Klangfarben und Tempowechsel der Partitur perfekt meistert.

Das Publikum ist am Schluss von der homogenen Aufführung begeistert und spendet allen Teilnehmern verdienten Applaus.

Jean Nico Schambourg, 17. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.AT

Clemens von Franckenstein, LI-TAI-PE, DES KAISERS DICHTER Bonn, Opernhaus, 4. November 2023

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