Wiener Konzerthaus: junge Männer und der Einheitsbrei

Quatuor Mosaïques, Erich Höbarth, Andrea Bischof, Anita Mitterer, Christophe Coin,  Wiener Konzerthaus, Mozart Saal

Foto: Quatuor Mosaïques © Wolfgang Krautzer
Wiener Konzerthaus, Mozart Saal, 28. Oktober 2018
Quatuor Mosaïques
Erich Höbarth, 
Violine
Andrea Bischof, Violine
Anita Mitterer, Viola
Christophe Coin, Violoncello

von Thomas Genser

Um Allerheiligen gedenkt man alljährlich der  Toten. Ebenso setzt das Quatuor Mosaïques den jung verstorbenen Komponisten ein musikalisches Denkmal. In einer Originalklang-Gala gibt es Streichquartette von Mozart, Arriagas und Schubert zu hören. Das Werk Schuberts hebt sich durch seine überladene Form von den anderen ab, ist letzten Endes aber zu wuchtig. Die solide technische Ausführung kann da leider nicht viel retten.

Bei Erich Höbarth (Violine), Andrea Bischof (Violine), Anita Mitterer (Viola) und Christophe Coin (Violoncello) handelt es sich um niemand geringeren als die jeweils ersten Streicher des Concentus Musicus. Die Aufführung mit historischen Instrumenten liegt ihnen quasi im Blut. Den ersten Satz des Mozart‘ schen Quartett in Es-Dur K 159a spielen sie mit jugendlicher Spritzigkeit – schließlich handelt es sich hierbei um ein Frühwerk Mozarts. Ihr dünnes Timbre schadet dem Gesamtklang in keinster Weise.

Kontemplativ beginnt der zweite Satz, den das Quartett sehr getragen spielt. Allen harmonischen Verwirrungen zum Trotz ist die Musik überirdisch, die Akustik im Mozart-Saal dafür wie gemacht! Einer Familie gleich agieren die Instrumente: Höbarth gibt die Mutter; in der Tiefe schnurrt der gebieterische Vater Coin; Bischof, das Kind, strotzt mit reger Mimik vor Spielfreude; während sich die schüchterne, ältere Schwester Mitterer zurückhält.

Das Finale setzt barock an, lässt dann sogleich den lustigen Mozart hervortreten. Emsig marschiert die Musik voran, wobei eine Melodie nach der anderen hervorsprudelt – selbst ein Prise Virtuosität tritt zum Vorschein. Munter geht das Familienleben weiter: Mal wird diskutiert, dann in den Tutti-Passagen der gemeinsame Standpunkt betont. Besser könnte die Kombination nicht sein: hervorragende Instrumentalisten und ein heiteres Werk des Salzburger Genies.

Ebenfalls früh verstarb Juan Crisóstomo de Arriagas. Der zeitweise als „spanischer Mozart” titulierte Baske erlag kurz vor seinem 20. Geburtstag (!) der Tuberkulose. Sein drittes Streichquartett aus dem Jahr 1824 steht auch in Es-Dur und geht in seiner Tonsprache weiter als Mozart, obwohl Anknüpfungspunkte an die Wiener Klassiker unbestreitbar sind. Das Thema des Kopfsatzes springt im unisono los – so eröffnet man ein musikalisches Werk! Genial wie gefühlvoll verdichtet ist die Interpretation, welche bisweilen einem Chor gleicht. Besonders Höbarth exerziert die frühromantischen Elemente makellos und regt zum Nachdenken an.

Von Querverweisen durchzogen ist das Andantino: Sein Thema erinnert an Guten Abend, gute Nacht und nimmt Wienerlied-Melodik vorweg. Eine weitere Reminiszenz erklingt im Mittelteil: Wie in Beethovens Pastorale zieht ein Gewitter auf. Wilde Tremoli symbolisieren den Sturm. Schließlich lichtet das Quatuor Mosaïques die Schleier und wechselt zum Menuett. Auch dieses ist von bewegtem Charakter und steht mit seinem schnellen c-Moll wiederum Beethoven nahe. Unglaublich ist Coins Melodieführung, dessen Cello in manchen Passagen fast wie Blues klingt.

Das Gewitter zieht hörbare Konsequenzen nach sich: Leider übertönen geräuschvolles Niesen und Nase putzen aus dem Publikum den Einsatz des Presto agitato. Dass Arriaga selbst Geiger war und schon als zehnjähriger Erfahrung im Quartettspielen sammelte, hört man in diesem Satz ganz klar: Virtuose Melodielinien lösen einfache Kantilenen ab und bilden so einen musikalischen Spielplatz, auf dem sich die ganze Familie austoben darf.

So unterhaltsam die erste Hälfte des Konzertes war, so schwerfällig zieht sich die zweite dahin. Schuberts letztes Streichquartett in G-Dur D 887 ist ebenso monumental wie langwierig. In gänzlich anderen Sphären ansetzend, dominiert die Tremolo-Technik weite Teiles des ersten Satzes. Die Struktur des Werkes ist fast unüberschaubar und so ausladend, dass die Musiker selbst den Überblick verlieren, haben sie doch fortdauernd schnelle Tremoli zu streichen.

Anfangs ist der zweite Satz ein zarter Kommentar, die plötzliche Eruption wirft aber alles durcheinander, wobei sich ein paar falsche Töne einschleichen! Irgendwann sind die Tremolowellen auch kein Effekt mehr, sondern schlichtweg ermüdend. Nach biedermeierhaftem Gesang und einem regen Scherzo drängt sich die Frage auf: Wo ist hier die Substanz? Ein wenig davon gibt es zu Beginn des finalen Allegro assai, aber nach wilden harmonischen Sprüngen und verzerrten Gesichtern brodelt der Einheitsbrei wieder weiter – schade!

Thomas Genser, 28. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Wolfgang Amadeus Mozart
Streichquartett Es-Dur K 159a
Juan Crisóstomo de Arriaga
Streichquartett Nr. 3 Es-Dur
Franz Schubert
Streichquartett G-Dur D 887

 

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