Rafal Blechasz: ein phänomenales, lockeres Naturtalent aus Polen, das die Konzertsäle der Welt in Atem halten wird.

Rafał Blechacz, Kammerorchester Basel, Trevor Pinnock,  Kölner Philharmonie

Foto © Felix Broede
Rafał Blechacz, Kammerorchester Basel, Trevor Pinnoc
Kölner Philharmonie

Rafał Blechacz Klavier
Kammerorchester Basel
Trevor Pinnock Dirigent

Ludwig van Beethoven, Ouvertüre aus: Die Geschöpfe des Prometheus op. 43 (1800 – 01)
Ludwig van Beethoven, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3 c-Moll op. 37 (1800 – 02)
Matthias Arter, Aquarell über das Ricercar a 6 von Johann Sebastian Bach BWV 1079 für Orchester (2016)
Felix Mendelssohn Bartholdy, Sinfonie d-Moll op. 107 (1829 – 32) „Reformations-Sinfonie“
Kölner Philharmonie, 16. Mai 2017

von Daniel Janz

Mit klassischem Programm lockt das Kammerorchester Basel in die Kölner Philharmonie. Kammerorchester ist dabei auch programmatisch zu verstehen – beim Höhepunkt des Abends vereinen sich nicht einmal 50 Musiker auf der Bühne. Mit dem überwältigenden Orchesterapparat einer Mahler-Symphonie oder der Reizflutung einer Tondichtung von Richard Strauss können diese Werke nicht mithalten. Dennoch ist das, was das Kammerorchester Basel auf die Bühne der unverdient nur halb gefüllten Philharmonie zaubert, alles andere als hausbacken oder einfältig.

Für Ludwig van Beethovens Ouvertüre aus dem Ballett „Die Geschöpfe des Prometheus“ betreten knapp 40 Musiker die Bühne. In ihren Händen halten sie teils altmodisch anmutende Instrumente. Die Naturhörner und Naturtrompeten spielen sich schon deshalb tückisch, weil ihnen die Ventile fehlen. Deshalb können sie nur eine gewisse Auswahl Töne basierend auf der Naturtonreihe blasen. Zusätzlich müssen die Instrumente beim Spielen stets gereinigt und umgesteckt werden, um die Tonarten zu wechseln. Das sieht im Konzert höchst kompliziert aus und verleiht dem Orchester einen ursprünglich anmutenden Klanganstrich.

Trevor Pinnock hebt den Dirigierstab, und das Orchester ist sofort da. Solide spielen die Musiker Beethoven herunter. Von der Dramaturgie mutet diese Interpretation zunächst etwas einfältig und einfach an. Doch dieses Werk ist gerade für die Blechbläser anspruchsvoll zu blasen. Technisch tadellos meistert die kleine Besetzung das Werk des großen Klassikers. Und doch leidet der Ausdruck unter dieser sterilen Perfektion. Trevor Pinnok dirigiert sicher und präzise – aber zu brav und abgeklärt.

Die Einleitung des Orchesters zu Beethovens Klavierkonzert c-Moll knüpft nahtlos an die vorherige Leistung an. Nach mehreren Minuten Warten dann der erste Einsatz von Rafal Blechacz, 32 Jahre alt – er hat nicht einmal fünf Töne gespielt, schon flirrt die Luft im Raum. Sein Timing ist derart präzise, dass er sofort den Saal und das Orchester mitreißt. Seine technische Perfektion ist ein Weckruf, mit dem er dem Dirigenten seine Stellung streitig macht. Orchester und Klavier greifen nun wie Zahnräder eines Uhrwerks ineinander. Das quittiert das Publikum mit einem für den Solisten unerwarteten Zwischenapplaus. Verdient hat er es!

Den zweiten Satz beginnt Rafal Blechacz bedacht und ruhig. Die langsamen Passagen laden zum Träumen ein. Den Kontrast dazu bildet sein hüpfendes Spiel. Im dritten Satz intoniert er dessen tänzerische Melodie, bevor er mit kräftigen und temperamentvollen Akkordanschlägen das Orchester vor sich her jagt. Es wirkt bisweilen, als säße Beethoven selbst dort am Klavier. Im Wechsel zwischen tänzerischem Spiel und markanten Einsätzen schmettert Blechacz seinen Mitspielern ein Motiv nach dem anderen zu. So steigern sie sich mit einer locker-peppigen Mischung aus Melodie und Rhythmik.

Das Publikum ist begeistert und bringt den Saal so zum Beben, dass Rafal Blechacz unter Jubelrufen noch eine Zugabe gibt. Noch einmal tanzen seine Finger über die Tasten. Dieses Intermezzo ist so flink wie kurz und stellt noch einmal Blechaczs herausragende Technik klar – ein phänomenales, lockeres Naturtalent aus Polen, das die Konzertsäle der Welt in Atem halten wird.

Dann steht Matthias Arter auf dem Programm – ein Schweizer Oboist, Dozent und Komponist der Gegenwart. Für seine Bearbeitung des Ricerar a 6 von Johann Sebastian Bach teilt sich das Orchester in zwei Gruppen. Der reich kolorierten Hauptgruppe steht eine Nebengruppe mit einer Violine, einer Viola, einer Piccoloflöte, einer Trompete, einem Horn und einem Fagott gegenüber. Tatsächlich sind es diese 6 Instrumente, die in dem Stück die Hauptstimmführung übernehmen werden. Dass sie sich dabei nicht zu einem Gesamtklang mischen, liegt in der Natur der Vorlage – Bach selber hat sein Werk so konzipiert, dass die einzelnen Stimmen gegeneinanderstehen, sich ergänzen oder auszuspielen versuchen.

Dieses Konzept gelingt in der Fassung von Matthias Arter. Bach bleibt deutlich erkennbar, aber der Schweizer hat dem Werk einen ganz eigenen Ausdruck gegeben. Die vermeintlichen Solisten drängen stets in den Vordergrund und präsentieren ihre Weltklasse-Technik. Untermalt werden sie von den Wohlklängen des Orchesters und der variantenreich gespielten Marimba. Das Publikum klatscht laut, als sich herausstellt, dass der Komponist selbst auf der Bühne steht und gerade mitgewirkt hat.

Höhepunkt des Abends ist die „Reformations-Sinfonie“ von Felix Mendelssohn Bartholdy. Vom ersten Takt an hat man den Eindruck, als wäre dies in den Proben das Werk gewesen, das den Musikern am meisten Spaß macht. Eine friedliche Einleitung lässt die Zuhörer in eine neue Welt eintauchen.

Trotz der aufwändigen Handhabung der Naturblechbläser dominieren ihre Weckruf-Motive. Wunderbar erklingen die stürmischen, fast schon kriegerisch klingenden tutti-Ausbrüche des Orchesters. Der Dirigent selbst wirkt wie ausgewechselt, als habe das Klavierkonzert ihn aufgeweckt. Den ersten Satz spielen die Musiker mit so einem Elan, dass pures Gänsehautgefühl zurückbleibt.

Der zweite Satz greift die tänzerische Klangwelt des Klavierkonzertes wieder auf. Den Anfang machen die Holzbläser, die einen bewegten ¾-Takt etablieren, der sich schon bald auf die Streicher ausweitet. Angefacht von Hornfanfaren brechen diese alsbald aus und drängen das Orchester zu einem Jubel-Reigen, der noch lange nach Ende des Konzertes im Ohr nachhallt.

Diesem Freudentaumel stellt der dritte Satz pure Dramatik gegenüber. Hier wählt Trevor Pinnock ein bewusst langsames Tempo. Rührung und Sehnsucht drängen sich so durch den Klagegesang der Streicher bis ins Mark. Als dann auch noch Pauken und Bläser einsetzen, stellen sich einem als Zuhörer die Nackenhaare auf. Durchbrochen wird dieser Schleier aus Schmerz durch eine sakrale Melodie der Holzbläser, die alsbald von den Posaunen aufgenommen wird. Unterstützt von den Streichern erklingt hier zum ersten Mal an diesem Abend das Kontrafagott in seiner tiefen Lage. Dadurch zementiert es den feierlichen Choralklang, der schließlich das erlösende Finale mit der Melodie des Kirchenliedes „Ein feste Burg ist unser Gott“ einläutet.

Besonders brilliert die Flötistin Isabelle Schnöller. Mit ihrem bewegten und absolut präzisen Solo gestaltet sie den Übergang vom dramatischen dritten zum festlichen vierten Satz maßgeblich aus. Damit sticht sie aus der hochklassigen Bläserbesetzung hervor. Das bringt ihr zum Schluss einen Sonderapplaus ein.

Daniel Janz, 17. Mai 2017 für
klassik-begeistert.de

 

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