Klassik-begeistert besucht die Kunstuniversität Graz: Liedgestaltung – Teil 1 

Report: KB besucht die KUG Teil 1 – Liedgestaltung  klassik-begeistert.de, 12. Dezember 2024

Prof. Joseph Breinl mit Waltraud Meier in Hamburg; Foto Patrik Klein

Meine Musiktheater- und Konzertleidenschaft trieb mich auf eine dreitägige Reise an die Universität für Musik und darstellende Kunst Graz. Lesen Sie hier in fünf Teilen meine Eindrücke.

Liedgestaltung bei  Univ.Prof. Dipl. Musiker Joseph Breinl

von Patrik Klein

Im Jahre 1815 wurde in Graz der heutige „Musikverein für Steiermark“ als „Akademischer Musikverein“ gegründet mit einer Singschule, die im Jahr darauf den Unterricht aufnahm. Diese Singschule gilt als das älteste Musikinstitut Österreichs und als Keimzelle der heutigen Universität für Musik und darstellenden Kunst Graz (KUG).

Derzeit studieren an der KUG rund 2.200 Studierende aus 71 Nationen an 17 Instituten, einem Zentrum für Genderforschung und Diversität sowie einer wissenschaftlichen Doktoratsschule und einem Zentrum für künstlerische Forschung.  Mit annähernd 1000 Veranstaltungen im Jahr, die den Studierenden eine praxisevaluierte Ausbildung ermöglichen, ist die KUG die größte Kulturveranstalterin der Steiermark.

Die international renommierte Universität, die national im Wettstreit mit den Hochschulen in Wien und Salzburg steht, bietet ein breitgefächertes Studienangebot in Musik und darstellender Kunst. In Verbindung mit anspruchsvollen strategischen Zielen soll ein international konkurrenzfähiger künstlerischer, pädagogischer und wissenschaftlicher Nachwuchs sichergestellt werden.

Kunstuni Graz Reiterkaserne; Foto Wolfgang Hummer

In den Bereichen Musiktheater (Institut 10) und Gesang (Institut 7), wo Bachelor- bzw. Masterstudiengänge angeboten werden, setzte ich bei dem dreitägigen Besuch meinen Schwerpunkt, um die verschiedenen Methoden im Unterricht einerseits und deren Anwendung im Musiktheater anderseits kennenzulernen.

Mit dem achtsemestrigen Bachelor Studium und einem ergänzenden viersemestrigen Masterstudiengang kann man an der KUG grundlegende Kenntnisse und Methoden in einem großen musikalischen und stilistischen Spektrum erlangen, welche die Absolventen zur höchstqualifizierten Ausübung des Berufs eines Sängers bzw. Sängerin befähigen.

Nach einer herzlichen Begrüßung durch die Professorenschaft konnte ich dann drei Tage im Hause an unterschiedlichen Veranstaltungen teilnehmen, um mir ein Bild zu machen von der Vielzahl an Methoden und Möglichkeiten für junge Studierende aus aller Welt.

In den kommenden Tagen werden die folgenden Teile bei Klassik-begeistert erscheinen:

Teil 2: Die Arabische Nacht, eine Oper von Christian Jost

Teil 3: Gesangsunterricht bei Ulf Bästlein, Arnold Bezuyen und Tara Venditti

Teil 4: Teamteaching bei Mardi Byers und Oliver Zwarg und eine Überraschungsbegegnung

Teil 5: Gespräch mit dem Schulmusikprofessor Bernhard Gritsch

Meine erste Begegnung im Unterricht hatte ich mit Herrn Univ. Prof. Joseph Breinl.

Geboren 1974 in München, studierte er Klavier und Liedgestaltung bei Karl-Hermann Mrongovius, Gitti Pirner, Willem Brons, Rudolph Jansen und Graham Johnson.

Vielbeachtete Auftritte auf beinahe allen großen Bühnen haben Joseph Breinl zu einem  gefragten Pianisten, Liedpianisten und Kammermusiker seiner Generation gemacht. Konzerte in weltweit renommierten Konzertsälen, Auftritte bei bedeutenden Festivals sowie zahlreiche CD-Aufnahmen fanden ein begeistertes Echo in der Fachpresse.

Joseph Breinl ist mehrfacher Preisträger internationaler Wettbewerbe und begleitete als Liedpianist u.a. Samuel Hasselhorn, Miah Persson, Christianne Stotijn und Waltraud Meier.

Seit Herbst 2010 lehrt Joseph Breinl als Professor für Liedinterpretation an der Kunstuniversität Graz.

Klassik-begeistert: Lieber Herr Prof. Breinl, was können junge Sänger bei Ihnen und von Ihnen lernen?

Joseph Breinl: Da ich sowohl Liedsänger als auch Liedpianisten unterrichte, möchte ich diese Frage gerne auf beide Felder bzw. auf Liedduos allgemein erweitern. Ich bin fest davon überzeugt, dass Kunst dort entstehen kann, wo die handwerklichen Fähigkeiten hohes bis höchstes Niveau erreichen. Insofern ist aus pianistischer Sicht eine weit gefächerte und ausdifferenzierte Klangtechnik, neben einer soliden Fingerfertigkeit und Geläufigkeit, unbedingt notwendig. Zudem müssen die jungen Pianisten lernen, die Sänger zu unterstützen und ihnen in der Führung der Phrase zu helfen. Wenn der Sänger sich wohl fühlt mit einem Pianisten und besser singt als mit anderen Pianisten, wird der Pianist auch beim nächsten Engagement angefragt.

Prof. Joseph Breinl im Unterricht an der KUG; Foto Patrik Klein

Den Sängern möchte ich gerne vermitteln, dass sie die vertonten Gedichte, die ja oft aus der Romantik stammen, in die heutige Zeit und in ihre „eigene Sprache“ übertragen. Viele Themen sind zeitlos und auch heute aktuell; umso wichtiger ist es, die Gedichte und Lieder einer musealen Betrachtung zu entziehen und sie zu einer inneren Notwendigkeit zu machen. Nicht jedes Lied muss gesungen werden – wenn kein persönlicher Bezug besteht, sollte man die Interpretation anderen überlassen. Ausgehend vom Text erschließt sich die Interpretation – und doch ist ein Lied viel mehr als lediglich ein gesungenes Gedicht.

Klassik-begeistert: Was ist Ihnen in Ihrem Unterricht besonders wichtig, den Nachwuchskünstlern mit auf den Weg zu geben?

Joseph Breinl: Dass es so viel Neues zu entdecken gibt! Das Neue kann auch im etablierten, schon zigfach aufgenommenen Repertoire zu finden sein. Man muss nur den Notentext genau studieren und sich davon lösen, dass vieles „schon immer“ so gemacht wurde. Furtwängler sagte einmal, dass die Tradition die schlechte Erinnerung an die letzte schlechte Aufführung ist.

Abgesehen davon gibt es unzählige Lieder, die „unerhört“ sind und einer (Wieder-) Entdeckung harren. Derzeit werden auch viele Liedkomponistinnen entdeckt, zeitgenössische wie auch längst verstorbene. Da sind Juwelen dabei, die es verdienen, aufgeführt und aufgenommen zu werden.

Klassik-begeistert: Wie schätzen Sie die Chancen in Bezug auf künftige Engagements und Karrieren Ihrer Schüler ein?

Joseph Breinl: Vom Lied allein kann fast niemand leben. Junge Pianistinnen und Pianisten müssen breit aufgestellt sein, solistisch, aber unbedingt auch im Bereich der Kammermusik, des Lieds und auch der Opernkorrepetition. Und die Sänger haben natürlich auch die glamourösere Welt der Oper, um eine Karriere aufzubauen. Wichtig bei alledem ist aber Authentizität und die Fähigkeit, etwas von sich selbst preiszugeben. Ausgerechnet der Bereich Lied wird immer seltener von Konzertveranstaltern programmiert. Eine Krise kann aber auch zugleich die Chance sein, neue Wege und Formate des Lieds zu beschreiten.

Klassik-begeistert: Kommt es vor, dass Sie jemandem abraten müssen, den Weg des Liedsängers oder überhaupt des Gesangs weiter zu verfolgen?

Joseph Breinl: Selbstverständlich. Meiner Meinung nach haben wir Lehrende sogar die Verpflichtung, den Studierenden gegenüber ehrlich zu sein und rechtzeitig zu einer Umorientierung zu raten. Nur dann sind sie noch jung genug, um sich beruflich anderweitig zu orientieren. So ein Abschied von Lebensträumen kann hart und konfrontierend sein – viel bitterer ist es aber, wenn man Ende zwanzig die Uni verlässt und erst dann merkt, dass niemand wartet und man international nicht mithalten kann. Dann ist es oft zu spät, um ernsthaft einen anderen beruflichen Weg einzuschlagen.

Klassik-begeistert: Ich habe Sie beim Liederabend von Waltraud Meier und Samuel Hasselhorn in Hamburg Anfang 2023 als sehr einfühlsamen Pianisten erlebt, der die beiden Solisten „wie auf Händen getragen“ hat und nicht selbst in den Vordergrund kam. Wie sehen Sie sich selbst als Liedbegleiter?

Joseph Breinl: Das Feuilleton beschreibt Begleiter gerne mit Begriffen wie „einfühlsam“, „aufmerksam“ und „mitatmend“. Mir ist es wichtiger, dass ich auf der Bühne zusammen mit den Sängern frei musizieren kann, dass keine einstudierten Versionen abgerufen werden, sondern vielmehr Raum besteht für Spontanität und Überraschungen. Diese Lebendigkeit ist mir wichtig. Gleichzeitig wissen die Sänger, dass sie bei mir bestens aufgehoben sind und sie sich hundertprozentig auf mich verlassen können. Das Publikum kommt nun einmal vor allem wegen der Sängerinnen und Sänger in einen Liederabend. Ich sehe mich eher wie ein Sherpa, der Seite an Seite mit der Sängerin geht, ihr die schönsten und sichersten Wege zeigt und sie (oder ihn) vor Unbill bewahrt.

In den beiden folgenden Unterrichtsstunden mit jungen Liedduos konnte ich meine Beobachtungen dokumentieren und an der intensiven Arbeit an der individuellen Ausdrucks- und Interpretationsfähigkeit bei der Präsentation eines Liedes teilnehmen.

Joseph Breinl zitierte die bekannte deutsche Sopranistin Christine Schäfer:

„Je mehr Sie vor dem inneren Auge sehen, umso mehr können Sie dem Publikum erzählen“

Franz Schuberts Lieder „Kolmars Klage“ und „An den Mond“ wurden von den beiden jungen  Duos interpretiert. In den intensiven Coachingmomenten durch Prof. Joseph Breinl, der mit viel Einfühlungsvermögen, Humor, aber auch Ernsthaftigkeit zur Sache ging, standen vielschichtige Aspekte im Vordergrund,  wie z.B. die Authentizität im Liedgesang, die umso größer wird, je vielfältiger und reicher die innere Welt der Interpretinnen ist. Diese eigenen Emotionen und Erfahrungen zu teilen, erfordert Mut, eröffnet aber auch den Weg zu einer individuellen und eigenen Interpretation, abseits von Kopien berühmter Vorgänger.

Prof. Joseph Breinl mit Amelie Warner (Liedgestaltung) und Marija Ticl (Gesangsstudentin); Foto Patrik Klein

Wichtige Parameter wie Textverständlichkeit, inhaltlicher Aufbau und dramaturgischer Aufbau, Klangfärbung und Klangvorstellung, Dynamik und Ausdruck, aber auch Fingersätze und klaviertechnische Herausforderungen werden im Austausch mit den Studierenden behandelt und perfektioniert.

Breinl diskutiert dabei verschiedene Interpretationsvarianten mit den Studierenden und lässt ihnen „Spiel-Raum“ für eigene Ideen. Gemeinsam wird so eine überzeugende Liedinterpretation erarbeitet, die von jeweils beiden jungen Musikerinnen, Sängerin und Pianistin, im Zusammenspiel getragen und gestaltet wird.

Patrik Klein, 12. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Lesen Sie im zweiten Teil der Reportage, am Freitag, 13. Dezember 2024, über meine Eindrücke bei der Begegnung auf der Orchesterhauptprobe mit Regisseur, Dirigent und Darstellern bei Christian Josts Oper „Die Arabische Nacht“

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