klassik-begeistert besucht die Kunstuniversität Graz: Gesangsunterricht – Teil 3

Report: kb besucht die KUG  – Teil 3 Gesangsunterricht  klassik-begeistert.de, 14. Dezember 2024

Gesangsunterricht bei Arnold Bezuyen mit Studentin Stella König; Foto Patrik Klein

Meine Musiktheater- und Konzertleidenschaft trieb mich auf eine dreitägige Reise an die Universität für Musik und darstellende Kunst Graz. Lesen Sie hier in fünf Teilen meine Eindrücke.

Gesangsunterricht an der KUG ist ein facettenreiches Konglomerat unterschiedlichster Möglichkeiten – Unterricht bei den Professoren Mag.art. Dr.phil. Ulf Bästlein, Arnold Bezuyen und Tara Venditti

von Patrik Klein

Klassisch stellte sich eine Unterrichtseinheit im Einzelunterricht bei Ulf Bästlein dar. Der renommierte deutsche Bassbariton, der bereits mehrere Gesangsprofessuren inne hat, wie zum Beispiel an der Musikhochschule Lübeck, ist seit vielen Jahren lehrend an der KUG tätig.

Vorab sprach Patrik Klein mit dem Mann aus Flensburg. Hier ein paar Auszüge aus dem Interview:

klassik-begeistert: Was können junge Sänger bei Ihnen und von Ihnen lernen?

Ulf Bästlein: Zum einen müssen die Studierenden sehr altmodische uncoole Dinge lernen, wie z.B. das Wissen um die enorme Bedeutung von Traditionen. Ebenso wichtig ist es, von Anfang an auf die enorme Bedeutung des Klanges, auch des eigenen (möglichst freien) sängerischen Klanges hingewiesen zu werden. Denn ohne Klang geht gar nichts. Das muss man früh respektieren lernen. Singen ist natürlich ein Handwerk, aber eben eines mit sehr viel Seele. Und dieses Handwerk müssen die jungen Künstler:innen nun mitten in unserer aktuell sich zunehmend virtualisierenden und zugleich ziemlich unbehaust-seelenlosen Welt lernen. Gar nicht einfach! Zum anderen muss man aber auch die Mittel dieser modernen Welt sinnvoll zu nutzen wissen.

klassik-begeistert: Wie sieht grob skizziert eine Unterrichtsstunde bei Ihnen aus?

Ulf Bästlein: Man muss erkennen, was der jeweilige Studierende braucht. Man muss ihn zunächst dort abholen, wo er steht und ihn mit den jeweils geeigneten Mitteln weiterzuentwickeln versuchen. Die Aufgabe ist dann, den individuellen Klang zu finden. Dazu sind im Unterricht gewisse Strukturen notwendig. Ich mache mit den Studierenden gezielte Übungen zur Schärfung des Klangbewusstseins, eine Art Schule des Hörenlernens.

Manches ist dann auch wie im Sport: man muss bestimmte Muskeln aktivieren, andere entspannen. Dabei probiert man viel aus und entwickelt je nach Typ die geeignete Methodologie. Aber ohne „seelische Begeisterung“ geht gar nichts. Auch das richtige, geeignete Repertoire zu finden, ist ganz wesentlich. Immer wieder kann ein geeignetes Repertoire dazu führen, dass stimmtechnische Probleme wie von Zauberhand verschwinden.

klassik-begeistert: Was ist Ihnen in Ihrem Unterricht besonders wichtig, den Nachwuchskünstlern mit auf den Weg zu geben?

Ulf Bästlein: Auch hier gebe ich Ihnen mal eine etwas paradoxe Antwort: Junge Künstler:innen sollten unbedingt lernen, dass sie Enthusiasmus/seelische Begeisterung UND Realitätssinn ZUGLEICH brauchen. Ich versuche, beides in ihnen zu wecken bzw. zu pflegen. Fehlt eines, funktioniert es einfach nicht. Nicht alle kommen dahin. Goethe hat gesagt: wir sind „geprägte Form, die lebend sich entwickelt.“ Gegen Prägungen kommt auch ein guter Lehrer schwer an.

Andererseits muss man immer an die Möglichkeit zur Weiterentwicklung glauben. Man kann das Feuer in jungen Menschen nur wecken und pflegen, wenn man selbst brennt. Es muss einem Gesangslehrer einfach Freude machen, mit den jungen Leuten etwas aufzubauen, aber mitunter muss man eben auch knallhart sein. – Ich frage meine Studierenden immer mal wieder: „Warum machen wir letztendlich diesen Beruf?“ Wenn dann irgendwann die Antwort lautet: „Weil es so viele unglaubliche Meisterwerke, so atemberaubende Kompositionen gibt, die wir selbst erleben und für andere erlebbar machen wollen. Wir können gar nicht anders.“ – Dann bin ich glücklich.

Prof Ulf Bästlein mit Gesangsstudentin; Foto Patrik Klein

Fünf junge Studierende aus der Slowakei, der Türkei, aus Korea und aus Japan kamen nacheinander in Herrn Bästleins Zimmer im zweiten Stock der Reiterkaserne der KUG. Am Flügel aus dem Hause Steinway saß eine junge Repetitorin. Ich machte es mir im Hintergrund bequem und spitzte meine Ohren.

Gesangsstücke des Tages waren eine Arie der Mimì aus Puccinis La Bohème, eine Arie des Tonio aus Leoncavallos Oper Pagliacci, Arditis Lied über den Kuss im Tanzwalzer „Il Bacio“ und eine Arie des Masetto aus Mozarts Don Giovanni.

Sich auf traditionelle Methoden alter Gesangsschulen berufend fielen dann Worte wie „offener sein“, „mehr legato“ oder „Wir müssen hier noch mehr die Obertöne herausarbeiten“. Der optimale Einsatz des Kiefergelenks wurde diskutiert, Fragen in die Runde der nachgerückten Studierenden gegeben, so wie „wir brauchen gestützte Konsonanten um besseren Klang zu erzeugen“, und auch der Einsatz der Phrasierungstechnik Portamento mit all seinen Zusammenhängen besprochen.

Das Öffnen des Kiefergelenkes erschien mir eine wichtige Sache zu sein, die wie beim berühmten Bariton Thomas Hampson sogar das Gesichtsprofil über die Jahre veränderte und extrem wichtig für einen freien Klang ist. Hier wurde dann auch mal körperlicher Kontakt, selbstverständlich mit Einverständnis des Schülers, angenommen, um die richtige Stellung beim Gesang zu erzielen.

Gesangsstudent im Unterricht Prof Bästlein mit Jorn Yasavudhi; Foto Patrik Klein

„Da hätte die Elisabeth Schwarzkopf Ihnen etwas an den Kopf geworfen!“

Wenn mal etwas völlig aus der Linie glitt, wurde es auch mal lauter und deutlicher, aber immer mit einer Spur Humor gepaart mit väterlicher Souveränität. Gerne wurde das Hilfsinstrument des Vokaldreiecks, das einen besonderen Platz an der Wand des Professors hatte zitiert. Hier werden die Bildung von offenen bzw. geschlossenen Vokalen und die Bildung von Lippen- bzw. Zungenvokalen erörtert.

Ich war beeindruckt von den musikalischen Prozessen und vernahm deutlich Steigerungen im Vortrag der Studierenden. Sie wurden und sangen einfach immer besser.

Eine weitere Unterrichtsform neben dem Einzelunterricht ist der Gruppenunterricht. Diese Methode wird von einigen Dozenten angeboten. Mit der amerikanischen Sopranistin Tara Venditti hatte ich kurz das Vergnügen, einer solchen Unterrichtseinheit beizuwohnen. Im Ira Malaniuk Saal kam sie mit etwa 10 Studierenden zusammen. Als Gesangslehrerin mit physiotherapeutischer Zusatzausbildung machte sie zu Beginn spezielle Atemübungen mit der gesamten Gruppe, bevor dann der Einzelunterricht mit Gruppenfeedback folgte.

Prof Tara Venditti mit Repetitorin und Gesangsstudentin; Foto Patrik Klein

Da ich mich mit dem Tenor Arnold Bezuyen bereits im Vorfeld im Interview ausführlich unterhielt, setzte ich hier meinen Schwerpunkt. Was ist eine Masterclass bei Arnold Bezuyen? Viele seiner Studenten nehmen an einer solchen rund dreistündigen Veranstaltung mit max. 10 Studierenden teil.

Dazu singt man sich gemeinsam ein, und einige von den Anwesenden gestalten eine Arie oder ein Lied. Alle müssen und wollen darauf reagieren, das heißt, sie lernen voneinander und reflektieren gemeinsam das Singen. Sie geben sich gegenseitig Feedback. Einige Auszüge aus dem vorab geführten Interview:

klassik-begeistert: Was können junge Sänger bei Ihnen und von Ihnen lernen?

Arnold Bezuyen: Unser Beruf ist nicht so einseitig zu sehen. Auch wenn es klar darum geht, die Studentinnen und Studenten technisch auf den Beruf vorzubereiten, ist das Singen nur ein Bruchteil vom Beruf.

Sprich, man braucht erstens Talent, dann Talent, dann kommt lange nichts und dann kommt das Singen. Allerdings hört es damit nicht auf. Auch wenn das vor allem mit der neuen Gender-Bewegung und dem frauenfreundlichen Umgang nicht gerne gesehen wird, ist auch das Aussehen – vor allem bei Frauen – ein wesentliches Kapitel. Früher konnte man auf der Bühne stehen und schön singen. Schon lange ist das – Gott sei Dank – nicht mehr der Fall und es sind neben dem Singen vor allem auch Schauspielfähigkeiten, Tanzen, Fechten usw. gefragt.

klassik-begeistert: Wie schätzen Sie die Chancen in Bezug auf künftige Engagements und Karrieren Ihrer Schüler ein?

Arnold Bezuyen: Wir wissen alle, dass der Kindergarten vorbei ist, wenn man bei uns an der Uni studiert. Und klar sollten sie alle Träume haben. Die habe, die hatte ich auch. Ohne diese wird es langweilig.

Sie müssen alle brennen, wenn sie das tun und dazu noch in der Lage sind, sich auf der Bühne zu bewegen, eine ausgewogene interessante Stimme zu haben, nicht eine 08/15-Stimme, dann bekommen sie evtl. mit viel Glück ein Engagement.

Ferner sind die Chancen heute kleiner als früher, aber nicht unmöglich, wenn man alles dafür tut, und damit meine ich alles. Man sollte sich damit abfinden, dass Freunde, Familie usw. auf den hinteren Plätzen rangieren und die Gagen sicherlich anfangs niedrig sind. Wenn du das möchtest, im Wissen, dass du viel opferst, dann hast du eine Chance. Noch eine größere Chance hast du, wenn du das sog. Opfern nicht als Bürde, sondern als „Freude“ siehst.

klassik-begeistert: Kommt es vor, dass Sie jemandem abraten müssen, den Weg des Sängers weiter zu verfolgen? Wie sagt man es seinem Schüler?

Arnold Bezuyen: Da bin ich deutlich. Ja, das kommt – selten – vor. Es kommt Gott sei Dank des Öfteren bereits vor dem Studium, als während des Studierens vor. Wenn es nicht klappt, rate ich immer etwas anderes zu tun, bevor es zu spät ist.

klassik-begeistert: Wie kommt es eigentlich, dass angesichts von Kürzungen in Kulturetats und reichlichem Überangebot an jungen Künstlern, immer noch so viele junge Leute diesen Studiengang wählen?

Arnold Bezuyen: Joseph von Eichendorff schrieb in seinem Gedicht zum Thema Glück:

„Mir ist, als müßt ich singen
So recht aus tiefster Lust,
Von wunderbaren Dingen,
Was niemand sonst bewußt.

O könnt ich alles sagen!
O wär ich recht geschickt!
So muß ich still ertragen,
Was mich so hoch beglückt.“

Weil, die Meisten nicht anders können!!!

Im Ira Malaniuk (österreichische Opernsängerin im 20. Jhd) Saal kamen dann etwa 10 junge Studierende zusammen, die sich mit dem Tenor aus den Niederlanden im Halbkreis aufstellten und Einsingübungen machten.

Masterclass bei Arnold Bezuyen; Foto Patrik Klein

Es lag insgesamt ein wenig mehr Anspannung als sonst in der Luft, weil man sich gemeinsam auf ein Projekt mit einem Kammerorchester aus Bayreuth auf eine Schubert Winterreise vorbereitete. Daher standen auch diese Lieder im Fokus der Masterclass.

Mir fiel auf, dass eine wunderschöne lockere und entspannte Atmosphäre mit viel Humor aber auch technischer Klarheit und Ernsthaftigkeit entstand, die mich beinahe zum Mitmachen animierte. Zum Glück konnte ich mich beherrschen.

Es erklangen u.a. SchubertsEinsamkeit“, „Das Wirtshaus“, aber auch Arien aus Le nozze di Figaro und „Die Uhr“ von Carl Loewe.

Es gab dann ehrliche und konstruktive Rückmeldungen des Gesangslehrers aber auch der mit anwesenden Studierenden.

Fragen wurden diskutiert, wie etwa „Wie erzeugt man eine bestimmte Spannung, die nichts mit dem reinen Tempo zu tun hat?“ Antworten fielen mit „innerer Spannung, Tonformung, Gestaltung und Intensität“.

Möglichst auswendig sollte gesungen werden, um eine stärkere Interpretation zu erreichen. Auf die Aussprache kam es an, die den oft aus dem asiatischen Raum stammenden Studierenden noch geläufiger werden muss. Bei dem Lied „Die Uhr“ musste die Linie optimiert werden durch Konsonantenbetonung trotz des immer wieder kehrenden Uhrrhythmus.

Details wurden liebevoll ausgefeilt und vorangetrieben. Nach jeweils halbstündigem intensiven Coaching entwickelte sich der Gesang bei mir als lauschender Gast signifikant verbessert. Unglaublich!

Patrik Klein, 14. Dezember 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Lesen Sie im vierten der Reportage, am Sonntag, 15. Dezember 2024,  über meine Begegnung mit einem Weltstar und weitere Methoden im Gesangsstudium.

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