Mit Verdi im Bunde: Riccardo Muti leitet ein Sonderkonzert in Turin

Riccardo Muti dirigiert Verdi,  Teatro Regio di Torino

Foto: © 2018 RMMUSIC SRL

„Wie wir, die Zuschauenden, war sichtlich auch Muti am Ende stark ergriffen, sodass er es kaum aushielt, länger auf dem Podium zu verweilen. Eine längere Rede gab es diesmal nicht, nur zwei Worte: „Molte grazie“. Dann gab er dem Konzertmeister kurz die Hand, hieß alle aufstehen, applaudierte allen Mitwirkenden und ging ab.“

Livestream aus dem Teatro Regio in Turin, 18. März 2021

Giuseppe Verdi
Ouvertüre zu der Oper „Giovanna d’Arco“
Aus den Quattro Pezzi Sacri: „Stabat Mater“ und „Te Deum“

Solistin: Eleonora Buratto (Sopran)
Orchester und Chor des Teatro Regio di Torino
Choreinstudierung: Andrea Secchi
Musikalische Leitung: Riccardo Muti

von Kirsten Liese

Riccardo Muti lässt nicht locker. Seit Wochen und Monaten schon setzt er sich rührig wie kein Zweiter unter widrigsten Bedingungen für den Erhalt der Kultur, insbesondere der stark gefährdeten italienischen, ein. Auch wenn die Verantwortlichen seinen dringenden Appell, die Musik nicht sterben zu lassen und die Theater endlich wieder zu öffnen, bislang beschämend ignoriert haben, wird er nicht müde, weiterhin seine Stimme zu erheben, offene Briefe zu schreiben, Reden zu halten, Konzerte und Tourneen mit seinem Luigi Cherubini Jugendorchester zu initiieren. Überhaupt: Wo es an höchster Stelle darum geht, Aufmerksamkeit für die Kultur zu wecken, ist Muti zur Stelle, sei es das Neujahrskonzert mit den Wiener Philharmonikern, das er im Corona-Jahr ohne Publikum leitete, oder seien es die Opernfestspiele in der Arena di Verona, die Muti am 19. Juni mit Verdis Aida eröffnen will, nachdem er zuletzt vor 41 Jahren an diesem Ort dirigierte.

Auch aktuell ist der Maestro viel beschäftigt, ein Termin jagt den nächsten. Nicht alle Streams stehen allerorten zur Verfügung. Eine Aufführung von Mozarts Così fan tutte im Teatro Regio in Turin vor wenigen Tagen konnte nur in Italien abgerufen werden. Immerhin aber ein Sonderkonzert mit drei Werken von Giuseppe Verdi bot das Teatro Regio di Torino überregional an.

Auch wenn diesmal nicht das Verdi-Requiem auf dem Programm stand, mit dem Muti vielfach seine vielleicht größten Triumphe feierte und derart hohe Maßstäbe setzte, die vermutlich noch in 50 Jahren unerreicht bleiben werden, so kam die Dramatik keineswegs zu kurz. Sie zog sich schon gewaltig durch das Vorspiel zu der Oper Giovanna d’Arco, mit entsprechend kraftvollen Gesten von Muti eingeleitet.

Wie beim Requiem stößt an den exponierten Fortissimo-Stellen freilich die Aufnahmetechnik an ihre Grenzen. Eine entsprechend adäquate Rezension ist deshalb eigentlich nicht möglich. Halten wir uns also besser an die leiseren, lyrischen Stellen, die dank besserer Übertragung den Raumklang erahnen lassen. Da durfte man besonders über eine erstklassige Bläser-Riege staunen, wie man sie einem Spitzenorchester zuordnen würde. Insbesondere die viel beschäftigte Flötistin bezauberte mit betörend zärtlichen Tönen. Aber auch das Blech hatte seine großen Auftritte: wunderbar homogen und makellos vernahm sich die Horn-Gruppe, majestätisch die Trompeten.

Den Hauptblock des Abends bildeten das Stabat Mater und das Te Deum aus Verdis Quattro Pezzi Sacri mit dem Chor des Turiner Opernhauses als Protagonisten.

Die beiden im Winter 1895/96 entstandenen Stücke sind Verdis letzte musikalische Vermächtnisse, die er zunächst nicht zur Aufführung bestimmt hatte.

Dem Bild von der schmerzerfüllten Mutter Christi am Kreuz ihres Sohnes entsprechend, kommt das Stabat Mater sehr elegisch daher, ergreifend dicht ist die Musik beim Wort.

Wiewohl nur im Stream, erlebte ich diese Wiedergabe als noch ergreifender als Aufführungen in früheren Jahren unter anderen Dirigenten, die ich live im Konzertsaal hören konnte. Dies wohl vor allem deshalb, weil es den Anschein hatte, als spiegelten sich die Empfindungen des alten Verdi, der dieses Stück im hohen Alter von 80 Jahren als sein letztes musikalisches Vermächtnis geschrieben- und zunächst in Selbstzweifeln gar nicht für Aufführungen bestimmt hatte, in denen des Dirigenten Muti wieder, der im Juli ebenfalls 80 Jahre alt wird und mit der anhaltend desolaten Situation im Konzertbetrieb hadert. An einigen Stellen, wo der Schmerz sich stark aufbäumt, ballt der Maestro die Faust wie er es oft beim Dies Irae im Requiem tat. Aber oft mahnt er die Streicher auch zu stärkerer Verhaltenheit und leiserer Dynamik mit der weit ausgetreckten linken Hand.

Wie neuerdings üblich, verteilen sich die Chormitglieder im Saal, dort, wo früher einmal das Publikum saß, in den erforderlichen weiträumigen Abständen zueinander. Und trotz der Abstände fügen sie sich doch homogen zu einem wunderbaren Klangkörper zusammen.

Ans Ende des dramaturgisch ideal zusammengestellten Programms stellte Muti schließlich das Te Deum, über das Verdi verfügt hatte, dass es bei seinem Tod unter seinen Kopf gelegt werden solle, so dass er damit vor Gott treten und ihn um Gnade anflehen könne.

Mit einem gregorianisch anmutenden a cappella-Gesang ohne Orchester fängt es an, und so wie sich hier auf geheimnisvolle Weise ein leichter Hall über die Männerstimmen legte, fühlte es sich fast an, als befände man sich wahrhaftig zwischen Klostermauern. Hat Muti da geschickt Effekte im Raum genutzt oder war die Tontechnik im Spiel?

Jedenfalls rührte die Musik auch im Fortlauf stark an, als sich immer größere, melodisch breit ausschwingende Abschnitte bildeten, mit schmerzlicher Schönheit gesungen vom Chor des Turiner Opernhauses, bis sich schließlich am Ende die schlanke schöne Sopranstimme von Eleonora Buratto aus dem Chor solistisch herauslöste. Auch da dachte man noch einmal unwillkürlich an das Requiem mit seinem finalen Libera me.

Wie wir, die Zuschauenden, war sichtlich auch Muti am Ende stark ergriffen, sodass er es kaum aushielt, länger auf dem Podium zu verweilen. Eine längere Rede gab es diesmal nicht, nur zwei Worte: „Molte grazie“. Dann gab er dem Konzertmeister kurz die Hand, hieß alle aufstehen, applaudierte allen Mitwirkenden und ging ab.

Am kommenden Sonntag um 11 Uhr gibt es dafür schon das nächste Konzert mit dem Maestro im Stream: Für die Opfer von Bergamo bringen Muti und sein Luigi Cherubini Orchester aus dem Donizetti Theater in Bergamo das Vorspiel zu Donizettis Oper Don Pasquale und Beethovens Dritte, die Eroica (im Internet unter bper.it, ansa.it und ravennafestival.live).

Kirsten Liese, 19. März 2021, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Orchestra Giovanile Luigi Cherubini, Riccardo Muti Bologna Paladozza, 9. Oktober 2020

Glückselige Götterfunken – Riccardo Muti triumphiert mit Beethovens Neunter in Salzburg, Salzburger Festspiele, 17. August 2020

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