St.Gallen: „Wo bleibt Elektra?”

Richard Strauss, Elektra (1909)  Konzert und Theater St.Gallen, 17. September 2025

Elektra © Edyta Dufaj

Richard Strauss
Elektra (1909)

Tragödie in einem Aufzug von Hugo von Hofmannsthal
Orchesterfassung von Richard Dünser

Musikalische Leitung:  Modestas Pitrenas
Inszenierung:  Lisaboa Houbrechts
Bühne:  Clémence Bezat
Kostüm:  Oumar Dicko
Dramaturgie:  Barbara Tacchini
Choreinstudierung:  Filip Paluchowski
Studienleitung:  Stéphane Fromageot
Regieassistenz:  Pady Zlatanovski
Inspizienz:  Edith Ronacher


Konzert und Theater St.Gallen,
17. September 2025

von Julian Führer

Nach der skandalumwitterten „Salome“ setzte Richard Strauss 1909 mit der „Elektra“ noch eins drauf: noch wilder das Orchester, noch extremer die Gefühlsausbrüche. Damit auch kleinere Häuser dieses neue Stück spielen konnten, erstellte der Komponist gleich selbst eine Fassung, die auch mit nur 50 Orchestermusikern gespielt werden konnte.
Das Theater St.Gallen brachte dieses Stück in einer noch einmal anderen Version, der Orchesterfassung von Richard Dünser, vom Dirigenten Modestas Pitrenas abermals bearbeitet. Wie ist das Ergebnis?

Das Orchester, bei voller Besetzung in Dresden, Wien, Berlin fauchend, jauchzend, brüllend, ist dem kleineren Graben angepasst. Vieles klingt schlanker, auch lyrischer, manchmal aber eben auch schlaffer, dünner. Besonders in den tiefen Lagen fehlt es an Grundierung. Zudem wählte Modestas Pitrenas am Pult einen zurückhaltenden Ansatz bei Tempo wie Dynamik mit dem Resultat, dass diese Elektra zumindest im Graben zwar nicht kreischt, aber auch keinen rechten Sog entwickelt.

Anfangs- und Schlussakkord saßen perfekt, dazwischen ging es seinen unspektakulären Gang, wobei gerade Blech und Pauke sehr zurückgenommen waren. Das Sinfonieorchester St.Gallen war mehr als nur solide und stellte sein hohes Niveau und seine Flexibilität unter Beweis.

Und auf der Bühne (Bühnenbild: Clémence Bezat)? Ein einfacher, aber zweckmäßiger Bau aus zwei Wänden zeigt uns ein Zimmer mit Wandschrank und zerwühltem Bett, in den dann Mägde und Klytämnestra auch von oben hineinschauen. Die Mägde kommen als Platzanweiserinnen mit Namensschild aus dem Parkett auf die Bühne, das männliche Personal (Pfleger des Orest, Diener) trägt Bühnenarbeiteroutfit. Sehen wir mal wieder Theater auf dem Theater?

Elektra © Edyta Dufaj

Elektra öffnet den Wandschrank und ringt im Gesang mit der Erinnerung an den Vater und den Mord an ihm. Auf der Bühne wird das nur halb plausibel – zu statisch ist die Personenführung (Regie: Lisaboa Houbrechts). Viel agiler ist Chrysothemis, zu deren Klage die Mägde allerdings eine wenig schlüssige Gebärpantomime aufführen müssen. Die dramatische Konfrontation der von Durst nach Mord und Rache zerfressenen Elektra mit ihrer Mutter Klytämnestra findet immer noch im Zimmer statt und findet zu keiner körperlichen Eindringlichkeit.

Mit dem Auftritt des vermeintlich toten Orest griff die Regie noch stärker in die von Hofmannsthal als Librettist und Richard Strauss festgelegte Dramaturgie ein. Nach der Wiedererkennungsszene verlässt der Sänger des Orest die Bühne – gemäß Programm wird Elektra selbst zu Orest und realisiert nun die Tat, die sie vorher nur einem (abwesenden) Mann zugetraut hat, den Mord an der eigenen Mutter. Auch Aegisth wird direkt von ihr getötet (was den gesungenen Text ad absurdum führt). Wenig überraschend tanzt sich Elektra nicht in eine tödliche Extase, sondern bleibt während den letzten Minuten in der Bühnenmitte stehen. Beweglich ist allein Chrysothemis.

Die Titelpartie lag bei Eliška Weissová, die die auf der Bühne ausbleibende oder gebremste Dramatik stimmlich plausibel machte, teilweise um den Preis von Konzessionen an Fokussierung und Textverständlichkeit.

Ariana Lucas bot ein diskretes Rollenporträt der Klytämnestra, während Sylvia D’Eramo als Chrysothemis am überzeugendsten agierte. Ihr gelang auch mit ihrer letzten großen Phrase („Ich muss bei meinem Bruder stehn!“) der schönste Ton des Abends: schlank, rund, durchschlagend, nicht erst angesungen und dann lange gehalten.

Bei den kleineren Rollen fiel besonders Katrine Deleuran als Aufseherin auf, die ihre Mägde stimmlich und physisch dominierte und auch bei der Textverständlichkeit den meisten anderen Soli auf der Bühne einiges voraus hatte.

Elektra © Edyta Dufaj

Es wäre falsch, eine Repertoireaufführung an einem mittleren Haus wie St.Gallen mit Studioaufnahmen aus früheren Zeiten mit Birgit Nilsson oder Leonie Rysanek zu vergleichen. Das Furienhafte einer Gwyneth Jones oder Hildegard Behrens, den totalen Körpereinsatz einer Evelyn Herlitzius gibt es in St.Gallen nicht. Diese „Lightversion“ der Partitur hat durchaus ihren Reiz; gesanglich und vor allem szenisch blieben diesmal aber Wünsche offen. Die nächsten in St.Gallen zu erlebenden Stücke sind „I Capuleti e i Montecchi“ von Bellini und Puccinis „La Bohème“.

Von Herzen toi toi toi!

Julian Führer, 19. September 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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