Archivfoto: Evelyn Herlitzius (Elektra) © Monika Rittershaus
Bereits zum 20. Mal kann man an der Staatsoper Unter den Linden die von Patrice Chéreau inszenierte Elektra sehen – und hofft auf ewiges Bestehen dieser großartigen Inszenierung. Sänger, Orchester und Dirigent Alexander Soddy machen den Abend fast perfekt.
Richard Strauss
Elektra (1909)
Musikalische Leitung: Alexander Soddy
Staatskapelle Berlin
Inszenierung: Patrice Chéreau
Szenische Einstudierung: Peter McClintock, Tabatha McFayden
Bühnenbild: Richard Peduzzi
Kostüme: Caroline De Vivaise
Staatsoper Unter den Linden, 29. Januar 2025
von Arthur Bertelsmann
Patrice Chéreaus Elektra-Inszenierung hat sich zum absoluten Klassiker entwickelt – nicht nur in Berlin, sondern auch in Mailand, New York, Helsinki und Barcelona wird sie gezeigt.
Vollkommen zu Recht, denn was man hier zu sehen bekommt, ist einmalig, keinerlei alberne Regiespielereien oder krampfhafte Aktualitätsbezüge, sondern pure Dramatik.
Die Szenerie – so lassen es Bühne und Kostüm vermuten – könnte in Nordafrika liegen, doch wirklich relevant ist das für diese Inszenierung nicht. Chéreau verfolgt einen psychologischen Ansatz, hier geht es nicht um Machtkämpfe à la „Game of Thrones“, sondern um Rache, Elend, Hass.
Dass diese intellektuelle Inszenierung ohne Knalleffekt und trotz statischem Bühnenbild durchgehend fesselnd bleibt liegt vor allem an der fabelhaften Personenregie, die mit viel Detailliebe von Peter McClintock und Tabatha McFayden einstudiert wurde. Es ist wirklich beeindruckend: Da laufen Mägde eine Treppe rauf und runter, und es ist spannender als jede megalomanische Inszenierung, die dieses Haus zu bieten hat.
Doch leider gibt es eineinhalb Probleme an diesem Abend. Das erste ist die Interpretation der Elektra.
Iréne Theorin legt diese Rolle weniger kämpferisch und wahnsinnig, mehr gebrochen und resignierend an. Das ist zwar im ersten Monolog und im Orest-Duett wirklich berührend, wird jedoch vor allem in der irren Ausgrab-Szene mit Chrysothemis problematisch. Man nimmt dieser gebeutelten Frau den im Libretto und Musik implizierten Hass einfach nicht ab.
Das halbe Problem ist die Staatskapelle und der Dirigent Soddy, die mit extremer Wucht und großer Spielfreude das blutrünstige Schauspiel untermalen. Diese Wucht ist ein zweischneidiges Schwert: Einerseits klingt das alles wunderbar und zutiefst verstörend, fordert jedoch die – ohnehin anspruchsvollen – Partien des Stücks. Das ist ausgerechnet für Iréne Theorins Elektra ein Problem, die leider immer wieder vom Orchester übertönt wird. Ärgerlich, da Soddy bereits zum dritten Mal in dieser Spielzeit ein Stück leitet und die heikle Akustik des Hauses – besonders bei so einem riesigem Orchester – inzwischen gut kennen sollte.
Trotz dessen bleibt es ein extrem starker Abend, da das restliche Ensemble die Probleme ausgleicht: Vida Miknevičiūtė singt Chrysothemis mit umwerfender utopischer Energie, Evelyn Herlitzius’ Interpretation der Klytämnestra ist ein absolutes Meisterstück: Unglaublich, wie komplex sie diese Figur anlegt – von Mutterliebe über Paranoia bis königlichen Hochmut ist alles in Herlitzius’ Interpretation enthalten.
Auch die männlichen Rollen sind stark besetzt, Lauri Vasar als Orest gelingt ein beeindruckender Spagat zwischen liebendem Bruder und brutalem Muttermörder, Stephan Rügamers Aegisth zeigt sich als paranoider und aggressiver König.
Als nach bereits 100 Minuten diese irre Oper endet, atmet man auf. Länger ist diese trostlose, bestialische und doch großartige Musik nicht zu ertragen – erst recht, wenn Alexander Soddy und die Staatskapelle spielen.
Arthur Bertelsmann, 31. Januar 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Besetzung:
Klytämnestra: Evelyn Herlitzius
Elektra: Iréne Theorin
Chrysothemis: Vida Miknevičiūtė
Aegisth: Stephan Rügamer
Orest: Lauri Vasar
Richard Strauss, Elektra Staatsoper Hamburg, 13. November 2024
Elektra, Musik von Richard Strauss Staatsoper Unter den Linden, Berlin 7. Oktober 2023