Richard Strauss, Elektra
Deutsche Oper Berlin, 26. Oktober 2017
Ulf Schirmer, Dirigent
Kirsten Harms, Inszenierung
Bernd Damovsky, Bühne/Kostüme
Claudia Gotta, Spielleitung
Catherine Foster, Elektra
Doris Soffel, Klytämnestra
Allison Oakes, Chrysothemis
Tobias Kehrer, Orest
von Yehya Alazem
Mit „Elektra“ begann eine der besten Zusammenarbeiten zwischen Librettist und Komponist in der Operngeschichte – Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal wurden ein Dream Team. Mit seiner vierten Oper ging Richard Strauss an die Grenze seiner musikalischen Schaffenskraft. „Elektra“ wurde sein expressionistischstes Werk, er sollte danach keine Musik mehr schreiben, die so atonal und experimentell war.
Das Thema der Psychoanalyse von Siegmund Freud war während der Zeit der Komposition sehr aktuell, die Uraufführung lief am 25. Januar 1909 an der Dresdner Hofoper. In „Salome“ und „Elektra“ wollte Strauss durch seine Titelheldinnen das Verflossene und das Unterbewusstsein des Menschen herausstellen.
Die Inszenierung der „Elektra“ von Kirsten Harms an der Deutschen Oper Berlin geht von dem psychologischen Kern des Dramas aus. Die Inszenierung ist zeitlos. Elektra lebt in einem Keller, wo ihr Hass und ihre Rache von Tag zu Tag wachsen.
Das Bühnenbild von Bernd Damovsky ist abstrakt und klaustrophobisch. Elektra ist zwischen den grauen Steinwänden isoliert. Da gibt es nur zwei Türen an den Seiten und eine hohe Lücke in der Hinterwand.
Elektra und Chrysothemis treffen sich am Anfang gegen Ende der Oper im Keller. Klytämnestra fängt die Konversation mit ihrer Tochter durch eine Lücke in der Hinterwand an und geht danach hinunter in den Keller, um zu versuchen, das infizierte Verhältnis mit der Tochter zu heilen.
Der Mord von Orest an Klytämnestra passiert im Hintergrund – wir hören nur das laute Schreien der Klytämnestra. Nach diesem Mord ist Orest blutgetränkt, taucht als Zombie vor Aegisth auf und schlachtet ihn.
Musikalisch hinterlässt dieser Abend einige Fragezeichen. Ulf Schirmer, Intendant und Generalmusikdirektor an der Oper Leipzig, beweist am Donnerstagabend, dass er ein richtiger Sängerdirigent ist.
Im Vergleich zu Donald Runnicles, der diese Inszenierung schon mehrmals dirigiert hat und auch die letzte Aufführung dieser Spielzeit dirigiert, lässt Schirmer die Sänger atmen, lässt die Stimmen über das Orchester frei fließen. In den schönen, tonalen Passagen spielten die Geiger unglaublich angenehm, aber in den dramatischen und atonalen Stellen klingt das Orchester zu verirrt und verliert Präzision und Transparenz.
Als die Titelheldin tritt die britische Sopranistin Catherine Foster auf. Sie hat eine Reihe von großen Erfolgen hinter sich. Im Sommer dieses Jahres war sie der herausragende Star in drei RING-Zyklen in Bayreuth, und die Erwartungen vor dieser „Elektra“ waren ziemlich hoch. Foster erfüllt diese Erwartungen rein musikalisch, es fehlt ihr aber das Psychologische.
Vom ersten Monolog an meistert sie die Partie mit großer Bravour. Ihr Klang ist rund und schön. Sie hat die Durchschlagkraft einer dramatischen Sopranistin, und ihre Töne, auch wenn sie leise singt, erfüllten den Raum.
Aber die Rolle der Elektra verlangt ein bisschen mehr. Foster hat die Stimme, und besitzt eine gute Technik, allein: der Charakter der Elektra fehlt ihr ein wenig. Sie ist einfach zu „normal“ und „freundlich“ in ihrem Gesang, obwohl sie dramatisch überzeugend war. Foster ist nicht verrückt genug für diese Rolle.
Tobias Kehrer singt einen hervorragenden Orest. Sein Klang ist tief und solid und hat eine sonore Ausdruckskraft. Er strahlt eine wunderbare Barmherzigkeit gegenüber Elektra und Aegisth aus – gegenüber Klytämnestra ist er blutdürstig. Darstellerisch ist er auch überzeugend.
Nach der bombastischen Introduktion des Orchesters tritt die 69 Jahre alte deutsche Mezzosopranistin Doris Soffel auf. Danach liefert sie eine Leistung ab, die kaum zu glauben ist. Sie wird immer besser.
Klytämnestra ist eine Rolle, die keinen schönen Gesang verlangt. Aber Doris Soffel, die ihre Karriere als Belcanto-Sängerin angefangen hat, zeigt, dass sie eine facettenreiche Stimme hat. Sie hat immer noch viel Kraft in der Stimme – manchmal klingt sie sogar lauter als Foster.
Die böse, hässliche Ausdruckskraft und die atonalen Linien gelingen ihr souverän. Sie zeichnet sich durch eine fantastische Textbehandlung und Sinn für Dramatik aus. Wie sie „Ich habe keine guten Nächte“ im Dialog mit Elektra ausdrückt – das war eine Klasse für sich.
Der Star dieses Abends ist die britische Sopranisten Allison Oakes, die eine Chrysothemis der absolut höchsten Klasse darstellt. Im Frühling 2016 hatte sie im Haus an der Bismarckstraße großen Erfolg als Salome. Was man gestern erleben konnte, war einfach großartig.
Oakes’ Stimme hat sich weiterentwickelt. Ihr Klang ist wärmer und dichter geworden und hat mehr an Kraft und Eleganz gewonnen. Jetzt hat sie die Stimme einer dramatischen Sopranistin, die hell, solide und elastisch ist. Wunderbar!
Im September 2017 sang sie die Brünnhilde im letzten Akt von Richard Wagners „Die Walküre“ in einer konzertanten Aufführung an der Berliner Philharmonie, und sie ist jetzt auf gutem Weg zur Spitze ihren Fachs. Allison Oakes ist ohne Zweifel eine Sängerin, die man bald in den großen Rollen für dramatische Sopranistinnen erleben wird.
Allison Oakes als Chrysothemis hat allen anderen die Show an diesem „Elektra“-Abend gestohlen. Bravo!
Yehya Alazem, 27. Oktober 2017,
für klassik-begeistert.de