„Liebe tötet, aber keiner fährt dahin und hat die Liebe nicht gekannt!“ – Triumphaler Abschied von der Lübecker Elektra

Richard Strauss, Elektra  Theater Lübeck, 12. April 2024

Maida Hundeling © Simon Pauly

Richard Strauss,
„Elektra“

Theater Lübeck, 12. April 2024

Maida Hundeling, Sopran
Lena Kutzner, Sopran
Edna Prochnik, Mezzosopran

Stefan Vladar, Dirigent
Brigitte Fassbaender, Inszenierung

Philharmonisches Orchester der Hansestadt Lübeck

Chor des Theaters Lübeck


von Dr. Regina Ströbl

Ein letztes Mal öffnete sich der Vorhang für die von Presse und Publikum gefeierte „Elektra“ von Richard Strauss in der mitreißenden Regie von Brigitte Fassbaender. Etliche Besucher hatte man öfters in den Vorstellungen gesehen und so entspann sich in zufälligen Gesprächen ein regelrechter Wettbewerb, wer wieviele Aufführungen erleben konnte (5 von 7!!).

Über die Inszenierung ist, auch an dieser Stelle, viel geschrieben worden. Das Bühnenbild (Bühne und Kostüme: Bettina Munzer) besticht bei aller Schlichtheit durch seine Vielfalt an Möglichkeiten, auf unterschiedlichen Ebenen, auch die Bühnentiefe nutzend, eine Spielfläche zu bieten. Den archaischen Charakter der verwinkelten Palastarchitektur betont auch die zurückhaltende, düstere Beleuchtung (Licht: Falk Hampel). Die zeitlosen Kostüme der Dienstboten in grau und schwarz verschmelzen fast mit dem Hintergrund und auch in denen der Hauptfiguren spiegelt sich, mit Ausnahme des violetten Anzuges von Aegisth, die Trostlosigkeit des Lebens am Hof von Mykene. Es ist besser, man wird nicht gesehen.

Und so lenkt nichts ab von dem Psychodrama, das sich, geprägt von Rachegelüsten, Alpträumen, Misshandlung, Demütigung, Freiheitsberaubung und Mord auf der Bühne im Verlauf von knapp 100 atemlosen Minuten entfaltet. Kaum zu ahnen, dass alles schließlich in einem Glücks- und Liebenstaumel enden wird.

Wer im Vorfeld erleben konnte, wie genau Brigitte Fassbaender an jeder Geste, jedem Blick zusammen mit den Protagonisten gefeilt hat, konnte sich nicht vorstellen, dass es Einspringern gelingen könnte, die Rollen in gleicher Intensität zu übernehmen.

Unglücklicherweise traf es die phantastische Elektra Trine Møller, die krankheitsbedingt die beiden letzten Aufführungen absagen musste. Für sie übernahm Maida Hundeling. Die Sopranistin gastiert weltweit vor allem mit Rollen in Opern von Wagner, Verdi, Puccini und Strauss. Bereits in der Aufführung am Sonntag beeindruckte sie durch die Übernahme der hochkomplexen Regieanweisungen und fügte sich fast nahtlos in das Geschehen ein. In der gestrigen Vorstellung agierte sie etwas freier und abgelöster. Ihre Elektra ist weniger autistisch und in sich zurückgezogen, vielmehr brechen sich ihre Rachephantasien ebenso wie Trauer um den Vater und Sehnsucht nach ihm Bahn, mehr emotionaler Ausbruch als traumatische Lähmung.

Und so gestaltet sie ihre Partie auch vor allem über die Spitzentöne, die sie ansatzlos und mit ungeheurer Wucht in den Raum schleudert. Ihre Stimme ist voll und satt in allen Lagen, wunderbar vibrato-arm und erhebt sich mühelos über das volle Orchester. Sie bleibt bei allen Ausbrüchen klangschön, aber absolut nicht eindimensional; sie ist ausdrucksstark ohne unkontrollierte Schärfe, aber immer die Gefühle in allen Schattierungen ausdrückend.

Wenn Lena Kutzner ihre Chrysothemis singt, flutet das Licht selbst in die dunkelsten Ecken des Palastes. Ihr herrlicher, leicht geführter Sopran hat so eine klare Reinheit, dass vom ersten Ton an die Sonne scheint. Ihre Sehnsucht nach einem „Weiberschicksal“ mit Mann und Kindern und ihre Verzweiflung über die Ausweglosigkeit („viel lieber tot als leben und nicht leben“) nimmt man ihr sofort ab und wünscht ihr insgeheim, dass sich am Ende ihr Traum endlich erfüllen möge. Im Schlussduett der beiden Schwestern bricht sich die Erleichterung, ja, die Erlösung mit überwältigender Strahlkraft Bahn, „und Liebe fließt über uns wie Öl und Myrrhen“ – so manche Träne im Publikum auch.

Und dann die Klytämnestra von Edna Prochnik! Da rauscht eine Urgewalt von herrischer Königin auf die Bühne, von fast allen gefürchtet, und ist doch eine gebrochene, zutiefst verzweifelte Frau. Die Sängerin zieht wirklich alle Register ihres Könnens, herrlich flutende Töne, durchbrochen von eruptiven Ausbrüchen, Flüstern, verhuschte Blicke, Zweifel, aber auch ihre eigene Art der Zuneigung zu Elektra prägen ihre Rollengestaltung in fesselnder Weise. Für die Befreiung von ihren Alpträumen ist sie zu jeder Grausamkeit bereit: „[ich] schlachte, schlachte, schlachte Opfer um Opfer“.

Man glaubt ihr das sofort und es läuft einem eiskalt den Rücken hinunter. Jeglichen Anflug von in schwachen Momenten aufkeimendem Mitleid mit dieser so zerrissenen Frau erstickt ihr grässliches Lachen bei der Nachricht vom angeblichen Tode ihres Sohnes Orest. Und noch ihre Todesschreie dringen durch Mark und Bein. Überragend.

Elektra Schlussapplaus © Regina Ströbl

Den Orest gab als Einspringer der junge Bassbariton Georg Festl vom Staatstheater Darmstadt jugendlich-kernig und auch mit vollem körperlichem Einsatz beim Mord an Aegisth. Dieser lag auch diesmal in den gewohnt souveränen Händen von Wolfgang Schwaninger. Der arrogante, überhebliche Gockel findet ein schnelles und angemessen jämmerliches Ende. Einmal mehr überzeugte das Mägdequintett mit Therese Fauser, Laila Salome Fischer, Frederike Schulten, Natalia Willot und Andrea Stadel sowie Elisaveta Rumiantseva als Aufseherin durch Präzision nicht nur in der diffizilen Anfangsszene und durch große Spielfreude. Die weiteren Nebenrollen waren wieder mit Elvire Beekhuizen, Laurence Kalaidjian, Noah Schaul und Changjun Lee in bewährter Qualiät besetzt.

Den großartigen Sängerinnen und Sängern bot das Philharmonische Orchester der Hansestadt Lübeck unter der Leitung von GMD Stefan Vladar einen fulminanten, geradezu rauschhaften Klangteppich. Mag sein, dass „Elektra“ die lauteste Oper von allen ist, hier konnte man auch die leiseren Töne hören; der Klang war transparent, immer wieder schienen die herrlichen Motive durch und einzelne Instrumentengruppen traten hervor. Die gewaltigen Tutti-Ausbrüche rissen in steter Steigerung alles in einen dramatischen Strudel hinein. Am Ende war der Wahnsinn kaum noch auszuhalten, aber so unglaublich schön! Wieder eine großartige Leistung des Klangkörpers und seines Dirigenten.

Man hätte dieser letzten Vorstellung ein volleres Haus gegönnt, aber die Anwesenden feierten Sänger und Musiker stehend lautstark und langanhaltend mit riesigem Beifall. Die Begeisterung galt vor allem und zu Recht den drei überwältigenden Hauptdarstellerinnen, dem Orchester und seinem Dirigenten.

Elektra Schlussapplaus © Regina Ströbl

Nach mehr als 51 Jahren mit zahllosen wunderbaren und teils herausragenden Abenden im Großen Haus des Lübecker Stadttheaters sei die persönliche Bemerkung erlaubt, dass die „Elektra“ der Saison 23/24 der absolute Höhepunkt war. Mehr geht eigentlich nicht.

Ach, eins noch:

Liebes Publikum, warum können einige die Stille nach dem Sturm eigentlich nicht ertragen und einen Moment innehalten? Ist es denn so wichtig, als erster „Bravo“ geschrien zu haben, in den verklingenden letzten Ton ’reinzubrüllen und zu klatschen? Ein-, zweimal Luft holen, ein bisschen nachwirken lassen und dann loslegen, das tut der Begeisterung wirklich keinen Abbruch!

Dr. Regina Ströbl, 13. April 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Strauss (1864-1949), Elektra, Text von Hugo von Hofmannsthal Baden-Baden, Festspielhaus, 31. März 2024

Richard Strauss, Elektra, Oper in einem Aufzug (konzertante Aufführung) Philharmonie Berlin, 4. April 2024

Richard Strauss, Elektra Theater Lübeck, 2. Februar 2024

2 Gedanken zu „Richard Strauss, Elektra
Theater Lübeck, 12. April 2024“

  1. Liebe Frau Dr. Ströbl,

    nicht in Lübeck ansässig ist unser Score immerhin 4/7, wobei Nr. 7 für uns der Höhepunkt war. Was mit an Maida Hundeling lang, natürlich aber auch an der Arbeit von Stefan Vladar. Bemerkenswert, dass er gestern Abend schon wieder ganz andere Welten schuf zum wiederaufgenommenen Figaro.

    Goldene Worte sind auch Ihre Botschaften an das Publikum; wäre es eine Petition, so würden wir sofort unterschreiben. Allein was tut’s: Wer Oper & Konzert als Event missversteht und sich anlässlich dessen selber feiert, scheut die vertiefte Auseinandersetzung und wird diesen wunderbaren Blog gar nicht erst lesen.

    Herzlichst,
    Regina König

    P.S. Wir haben unsere Lübeck-Reise gerade in der Laeiszhalle ausklingen lassen mit einer herrlich pulsierenden, dabei fast schon Järvi-like schroffen Brahms 1 unter Andris Poga.

    1. Liebe Frau König,
      Ihr Score ist wirklich mehr als beachtlich, vor allem, wenn man Ihre vermutlich längere Anreise bedenkt. Wie schön, dass Sie entsprechend mit diesen großartigen Aufführungen belohnt wurden. In der Tat schien es auch mir so, als hätten alle Beteiligten in der letzten Vorstellung noch einmal wirklich alles (und noch mehr!) gegeben.
      Mozart ist zwar überhaupt nicht meine Musik, aber der Lübecker Figaro ist sehr gelungen und es macht Spaß, dem spielfreudigen Ensemble zuzusehen und zuzuhören. Jetzt freuen wir uns hier auf eine „Bohème“ in der Regie von Angela Denoke. Ein Besuch in der Lübecker Oper lohnt also immer!
      Ach ja, den Sonntag verbrachten wir in der Elphi bei Mahlers 8. Sinfonie, 2 x Wahnsinn in drei Tagen, muss man auch erstmal verkraften…
      Herzliche Grüße
      Regina Ströbl

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