Salome, Theater Basel, Photos: Thomas Aurin
Theater Basel, 14. Oktober 2022
Salome (1905)
Drama von Richard Strauss
Text von Richard Strauss nach Oscar Wildes gleichnamiger Dichtung
Clemens Heil, Dirigent
Sinfonieorchester Basel
von Julian Führer
Als Oscar Wilde 1891 seine Salome dichtete, schrieb er in französischer Sprache. Das 1896 in Paris uraufgeführte Stück wird immer wieder als Beispiel für Fin de siècle und Décadence herangezogen: überhitzte Emotionen, Grenzüberschreitungen, Aufwallungen aus Nichtigkeiten. Statt einer idealisierten Antike sehen wir ein aus einer biblischen Episode entwickeltes orientalisches Sujet, nicht minder klischeebehaftet, aber in seiner Drastik damals schockierend. Wilde widmete das Werk Pierre Louÿs, der ebenfalls eine Vorliebe für schwüle antik-erotisierende Sujets hatte. Die Vorlage Wildes wurde von Hedwig Lachmann ins Deutsche übersetzt; Richard Strauss raffte die Übersetzung für die Zwecke seiner Vertonung nur unwesentlich, so dass die Dialoge seines Musikdramas sehr dicht an Wildes Original sind. Sätze der Salome an Jochanaan wie „J’étais une vierge, tu m’as déflorée“ fielen allerdings der Raffung zum Opfer: Solche Sätze konnte Oscar Wilde schreiben, auf einer Opernbühne im Jahr 1905 waren sie hingegen undenkbar. – Richard Strauss war ebenso kunstsinnig wie geschäftstüchtig und hatte im gleichen Jahr bereits den „Parade-Marsch des Regiments Königs-Jäger zu Pferde“ für Kaiser Wilhelm II. komponiert und diesem zugeeignet. So konnte er auf der anderen Seite gewagtes Neuland betreten und seine Salome vollenden.
Die Baseler Produktion in der Regie von Herbert Fritsch war bereits Anfang 2020 in Luzern zu sehen. Die Bühne, ebenfalls von Herbert Fritsch entworfen, ist leer, abgesehen von zwei thronartigen Gebilden und dem Kopf des Jochanaan, der von Anfang an in der Mitte zu sehen ist. Wie bei Fritsch üblich, wird auf Requisiten fast gänzlich verzichtet, das Spiel aus den Figuren heraus entwickelt. Die farbprallen Kostüme von Victoria Behr unterstreichen Fritschs Neigung zur übersteigerten Groteske und sind oftmals ebenso Kleidung wie Abbild eines Charakters, können also potentiell auch das Spiel oder die Vielschichtigkeit einer Figur einengen. Das raffinierte Licht von Roland Edrich und David Hedinger erlaubt schnellen Wandel der Stimmungen, ohne dass Umbauten nötig wären.
In diesem Stück steht die Salome fast durchgehend auf der Bühne und im Zentrum des Geschehens. Im Verlauf der Szenen interagiert sie mit Narraboth, Jochanaan, dann ihrem Stiefvater Herodes. Ihre Mutter Herodias tritt mit Herodes auf, kommuniziert aber kaum direkt mit ihrer Tochter. Weitere Gestalten wie die Soldaten, Juden und Nazarener sind für die Figur der Salome nicht entscheidend. Sie selbst trägt ein rosafarbenes, etwas kurzes und etwas zu stark auftragendes Kleid, Salome hat etwas noch fast Kindliches, was zu ihrer dramaturgischen Anlage passt. In dieser Lesart ist sie eine Göre, ein unartiges hochpubertäres Kind mit erheblichen zickigen Anwandlungen, gleichzeitig sich aber ihrer Wirkung auf Männer wie Narraboth und den Stiefvater Herodes voll bewusst und daher umso unfähiger, die Zurückweisung durch Jochanaan zu akzeptieren.
Als Herodes sie zum Tanz auffordert und sie ihm den Eid abnimmt, ist diesem großen Kind (bzw. dieser sehr jungen Frau) überdeutlich anzusehen, dass sie eigentlich nicht mag – ein schöner Bezug auf ihre Antwort an Herodes: „Ich habe keine Lust zu tanzen, Tetrarch.“ Gleichzeitig werden damit die Aufwallungen der Musik konterkariert; der große Orchestergraben ist so voll, dass für den Tanz noch Schlagwerk links und rechts auf der Seite aufgestellt wurde. Am Ende des Stückes ist die Regie dann ganz nah am Text, denn Salome bekommt in einer silbernen Schüssel wie gefordert den Kopf des Jochanaan, sie küsst seinen roten Mund und zeigt ihren Charakter als „ein Ungeheuer“, wie Herodes bemerkt. Heather Engebretson in der Titelpartie ließ sich erkältungsbedingt ansagen, meisterte aber die enorm fordernde Partie bis zum Schluss (sichtlich nicht ohne Beschwerden, die aber nicht zu hören waren). Ihr Sopran hat eine sehr hohe Lage; die gefährlich tiefen Töne bis zum Ges erreicht sie trotzdem. Ein packendes Portrait, schauspielerisch wie sängerisch.
Herodes ist oft ein jämmerlicher Waschlappen, auch in Basel ist ihm das nicht fremd. Seine abrupten Sinnes- und Stimmungswandel lassen ihn nicht eben souverän erscheinen. Im Prunkgewand des Herrschers mit bekränztem Haupt und riesengroßen Schulterpolstern (oder eher -höckern) tänzelt Peter Tantsits über die Bühne und verleiht der Figur insbesondere in den Höhen eine Gestalt. Seine Frau Herodias, nicht nur in Basel eine keifende Megäre, wird von Jasmin Etezadzadeh verkörpert; in ihrem Charakter ist sie sehr viel konstanter als ihr zweiter Gemahl, den sie nach Kräften verachtet („du bist lächerlich“), während sie ihre Tochter in allem unterstützt – nur nicht, wenn sie fürchten muss, ihre Tochter könnte Herodes mehr gefallen als sie selbst.
Mit viel baritonaler Eleganz, aber auch großer Schärfe in den Ausbrüchen gab Jason Cox den Prophet Jochanaan. Erst nur ein Kopf, dessen Stimme vom Bühnenboden erheblich verstärkt wird, muss er sich im Zwiegespräch nicht viel bewegen, um Wirkung auf Salome und auf das Publikum zu erzeugen. Christusgleich ist sein bleicher Leib nur mit einem Lendenschurz bekleidet – ein scharfer Kontrast zur Hofwelt des Herodes. In den kleineren Rollen sind Ronan Caillet (Narraboth) und Nataliia Kukhar (Page der Herodias) hervorzuheben. Die Juden, mit Schtreimel angetan, schnatterten aufgeregt durcheinander wie von Strauss komponiert. Der Bericht der beiden Nazarener (Andrew Murphy und Vivian Zatta) über die Ankunft des Messias, von Strauss in scharfem Kontrast zur sonstigen Komplexität der Partitur mit Quartseptakkorden und reinen Harmonien unterlegt, wurde etwas überzeichnet-frömmelnd inszeniert. Sehr überzeugend waren auch die beiden Soldaten (Kyu Choi und Jasin Rammal-Rykała).
Es spielte das Sinfonieorchester Basel unter der Leitung von Clemens Heil, der bereits in Luzern am Pult gestanden hatte. Die hochkomplexe Partitur schien dem Orchester keine grundsätzlichen Probleme zu bereiten. Strauss wusste selbst, dass er seinen Musikern einiges abverlangt (vgl. die Angabe in der Partitur im Zwischenspiel vor dem Auftritt des Herodes: „Wenn der Contrafagottist nicht vorzüglich, ist die ganze Solostelle […] vom ersten Fagott auszuführen.“ – Die Basler Kontrafagottistin ist vorzüglich!). Die große Bühne in Basel erlaubt mehr Volumen als das kleine Luzerner Theater, und Clemens Heil dosierte hier genau richtig. Besonders hervorzuheben ist das Blech, das je nach Szene drohend, scharf oder samtweich zu hören war.
Herbert Fritsch geht gerne über Schlussakkorde hinweg, indem er auf der Bühne das Geschehen noch weitergehen oder vielmehr sich ausplätschern lässt (auch in Basel, zuletzt in „Die Nase“ von Dmitri Schostakowitsch); er pflegt auch den Applaus über mehrere Minuten zu inszenieren. Bei einem vollen Haus mit begeistertem Publikum kann das die Freude über einen gelungenen Abend verlängern; in Basel war der Saal leider halbleer, so dass der Applaus sich ausgesprochen dünn anhörte und kaum genug andauerte, um allen Beteiligten für ihren großen Einsatz und die wirklich gute musikalische Leistung zu danken. Bis Mitte Dezember wird Salome in Basel noch einige Male zu hören sein; möge dieser Artikel dazu beitragen, dass es die nächsten Male voller wird!
Julian Führer, 15. Oktober 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Einfach eine großartige Aufführung! Bravo, könnte ein zweites Mal ins Theater kommen.
Anne Röthlin