Mit der „Salome“ stößt die Volksoper Wien an ihre Grenzen

Richard Strauss, Salome  Volksoper Wien, 15. September 2023

Omer Meir Wellber © Wilfried Hösl

„Sag beim Abschied leise Servus“, heißt es in einem bekannten deutschen Schlager. An der Volksoper Wien scheint Omer Meir Wellber die Devise von der anderen Seite aufzurollen – Ende des Jahres verlässt der Israeli ja das Haus und zieht als Generalmusikdirektor nach Hamburg: Teilweise schraubt er den Dezibelregler zu weit in die Höhe. In Summe verabsäumt er auch, aus der „Salome“-Partitur ein musikalisches Drama auf höchster Intensität zu formen. Der „Regieklassiker“ von Luc Bondy leistet da auch keine Hilfe.

Das Kernrepertoire der Volksoper Wien ist sicherlich anderswo angesiedelt. Operette, Musical und Klassiker wie Mozarts „Die Zauberflöte“ – damit hat man sich am Wiener Gürtel, der geografischen Lage des Hauses, ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen. Hochdramatisches Fach sollte man eher dem großen Bruder an der Wiener Ringstraße überlassen. Selbst der hat dort nämlich alle Hände voll damit zu tun.

Richard Strauss, Salome

Volksoper Wien, 15. September 2023

von Jürgen Pathy

Die „Salome“, das darf man durchaus als Königsdisziplin bezeichnen. Rund 100 (?) Orchestermusiker – der Graben in der Volksoper Wien platzt aus allen Nähten. Schon rund 20 Minuten vor dem offiziellem Start – für 19:00 Uhr ist der angesetzt – herrscht reges Treiben. Man spürt richtig die Verantwortung, die hier auf den Schultern aller lastet. An der Volksoper Wien hatte man die „Salome“ von Richard Strauss 1910 zur ersten Aufführung in Wien gebracht. Nachdem die geplante Uraufführung an der Hofoper Wien der Zensur zum Opfer gefallen ist – Dresden hatte 1905 den Zuschlag bekommen. Die Neueinstudierung (Marie-Louise Bondy) von Luc Bondys gefeierter Inszenierung erweist sich Freitagabend nun als zu großer Brocken.

Manchmal wäre Regietheater dann doch wünschenswert

Ad absurdum führt diese klassische Inszenierung vor allem eine Diskussion: Regietheater oder Klassiker. Dass bei diesem emotionalen Thema das sogenannte Regietheater meistens den Kürzeren zieht, ist vielen sicherlich genehm. Den Punkt, den dabei allerdings vieler außer Acht lassen. Das Konzept eines „Regieklassikers“, der auf jegliche Schnörkel verzichtet, ist auf große Persönlichkeiten und Stimmen ausgelegt. Bondys Inszenierung feierte ursprünglich bei den Salzburger Festspielen 1992 ihre Premiere. Ob Catherine Malfitano damals den unheimlichen Anforderungen der Titelpartie gerecht geworden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. An der Volksoper Wien offenbart der fast schon minimalistische Ansatz allerdings ganz klar die Schwächen der deutschen Sopranistin Astrid Kessler.

Ganz gewiss, die zierliche Mittdreißigerin (?) hat eine schöne Stimme. Vor allem, wenn sie zu großen Ausbrüchen ansetzen kann, wie im Schlussgesang. Da hebt dann ihre voluminöse Stimmfülle zumindest kurzfristig die Temperaturen. Rundherum frieren einige Gäste regelrecht. „Du – ich muss nochmals raus, es ist so kalt“, verschwindet meine Sitznachbarin und erscheint einige Minuten später mit ihrem Jackett. Klimaanlagen, sollte es eine gewesen sein, sind ja eine tolle Erfindung, solange man den Regler auch dort nicht zu hoch dreht.

Zuvor erweist sich die Inszenierung und das Dirigat ihr aber nicht als dienlich. Dass ihr das Tempo bei einigen Rezitativen beinahe zur Hürde wird, kann man als Ausrutscher betrachten. Den Mangel an Intensität der Darstellung – den kann man bei dieser Partie allerdings nicht zur Seite schieben. Gerne hätte man sich eine moderne Inszenierung gewünscht, bei der viel Gerümpel und Absurditäten nämlich Notwendiges geboten hätten: Ablenkung fürs Publikum und Anhaltspunkte für die Sopranistin, der mit der zentralen Ausrichtung der Partie auf ihre Person kein Gefallen getan ist.

Genauso wenig darf man verschweigen, dass Omer Meir Wellber keine Differenzierung aus dem Orchester herausholt. Wer die „Salome“ verantwortet, auf ein Programm stellt, der sollte sich bewusst sein: Dieses Musikdrama lebt von seinen enormen Schwankungen. Kalt-warm muss es einem da über den Rücken laufen. Der Wahnsinn des Librettos ist eigentlich in der Partitur zuhause. Richard Strauss ist hier ein Meisterwerk an Orchestrierung gelungen. Vor allem beim Spannungsaufbau, der hier in Schüben erfolgt und in den letzten zwanzig Minuten des Schlussgesangs explodiert. Sei es an Wellber selbst oder möglicherweise an den mangelnden Ressourcen: Der Schlussgesang darf auf keinen Fall so dahinplätschern, wie leider auch der Rest zuvor. Der muss sich deutlich abheben.

Der König an der Volksoper Wien: Herodes!

Das gelingt zumindest einigen anderen Darstellern. Dass der sensationelle Wolfgang Ablinger-Sperrhacke am Ende bei der Intensität des Publikumszuspruchs auf der unteren Skala landet, ist eigentlich ein Skandal. Da liegt es mir fast schon auf der Zunge, das Urteilsvermögen der zahlreich Anwesenden in Frage zu stellen. Neben Jochanaan, den Tommi Hakala darstellerisch fast schon als gebrochenen Clochard anlegt – Sandler würde man in Wien sagen –, ist der österreichische Charakterdarsteller eigentlich der Anhaltspunkt, an dem man sich durch den Abend hantelt.

Herodes, dieser Ungustl, ist Wolfgang Ablinger-Sperrhacke sicherlich wie auf den Leib geschnitten. Als Mime dürfte er wahrscheinlich auch eine Wucht sein. Im Züricher „Ring“ durfte sich das Publikum schon an seiner Darstellung erfreuen. In Wien kann man nur hoffen, ihn auch öfters in diesen Partien zu erleben.

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Herodes bei den Proben © Volksoper Wien

Ursula Pfitzner erweist sich als Herodias als Bank. Vielleicht nicht klassisch keifend, wie man die Mutter der Salome sonst eigentlich erlebt, mit viel dunkler Würde und fast schon einer Tiefe wie Nina Stemme allerdings. Der gebürtige Südkoreaner JunHo You zeigt sich als Narraboth auch von seiner Zuckerseite. Eine glänzende, leichte, sehr schöne Tenorstimme, die alle erreicht – nur die Salome, wie Kenner des Librettos wissen, die erobert er damit nicht. Im Suizid findet er den Ausweg aus dieser erfolglosen Liebelei. Alles wirklich gute Sänger-Darsteller.

Nur über die Schwächen des Dirigats und der Titelpartie können sie auch nicht hinwegtäuschen. Dass man sich mit der „Salome“ an der Volksoper einer Aufgabe auf höchstem Schwierigkeitsgrad stellt, kann man als mutig bezeichnen. Vielleicht sollte man solche Experimente allerdings ruhen lassen. Das Kernrepertoire der Volksoper Wien ist sicherlich anderswo angesiedelt. Operette, Musical und Klassiker wie Mozarts „Die Zauberflöte“ – damit hat man sich am Wiener Gürtel, der geografischen Lage des Hauses, ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen. Hochdramatisches Fach sollte man eher dem großen Bruder an der Wiener Ringstraße überlassen. Selbst der hat dort nämlich alle Hände voll damit zu tun.

Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 16. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

SALOME von Richard Strauss (1905) Staatstheater Mainz, 12. Juli 2023

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