Foto: © Gregory Batardon
Wiener Konzerthaus, 28. Mai 2018
Wiener Symphoniker
Gautier Capuçon, Violoncello
Herbert Müller, Viola
Anton Sorokow, Konzertmeister
Philippe Jordan, Dirigent
Richard Strauss: Don Quixote. Fantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters op. 35;
Ein Heldenleben. Tondichtung für großes Orchester op. 40
von Thomas Genser
Einen Abend für Helden gestalten die Wiener Symphoniker unter Philippe Jordan im Wiener Konzerthaus. Cellist Gautier Capuçon gastiert als Don Quixote und zeigt dabei schauspielerisches Talent, Bratschist Herbert Müller und Konzertmeister Anton Sorokow beeindrucken mit vielschichtigem Gespür und viel Show. Richard Strauss in Höchstform.
Mit einem gewaltigen Orchesterapparat erzählt Jordan die Geschichte des spanischen Möchtegernritters. Auffallend sonor ist die lange Einleitung, die bald in einen collageartigen, fast postmodern anmutenden Teil überschwappt – das beginnende Delirium des Don Quixote. In die Rolle schlüpft an diesem Abend Capuçon. Der umtriebige Franzose war in der laufenden Konzertsaison erneut auf der ganzen Welt unterwegs, die Liste seiner Zusammenarbeiten gleicht einem who-is-who der Klassikwelt. In Wien setzt er auf starkes Vibrato und singenden Charakter beim Vortrag des Quixote-Themas.
Philippe Jordan und er interagieren sehr stark über Blicke, außer in den Pausen, in denen der Cellist in seiner Rolle versinkt und die Augen bedächtig geschlossen hält. Sancho Pansa – Knappe, Freund und Kritiker Don Quixotes – erfährt durch die Bassklarinette und eine ungemein warme Solobratsche (Herbert Müller) plastische Charakterisierung. Das Orchester liefert ein Kaleidoskop an Farben, Nuancen und Dynamikstufen, übertönt in den kraftvolleren Passagen aber die Solisten. Nichtsdestotrotz schallen die Flügel der Windmühlen, die Schafherde oder die singenden Pilger und Mönche sehr deutlich von der Bühne herab.
Capuçons Barockcello (Baujahr 1701) klingt nicht nur in der Tiefe wunderbar, auch in den hohen Lagen strahlt das Instrument, sofern es nicht überdeckt wird. Jordan gibt die Einsätze sehr klar und sticht mit dem Taktstock förmlich auf die Musik ein. Zum Ende hin lichten sich die Schleier: Nach einem letzten verlorenen Duell kann Quixote dem Wahn entkommen, heimkehren und in Frieden einschlummern. Auch wenn die komplexe Tondichtung Teile des Publikums überfordert, gibt es nach dem Ende viele Bravos und großen Beifall für die astreine Darbietung der Heldengeschichte.
Noch heroischer wird es im folgenden Heldenleben, ebenfalls von Richard Strauss. Mit Feuereifer dirigiert Jordan die 1899 in Frankfurt uraufgeführte Tondichtung. Ob sie, wie Strauss’ Kritiker meinten, egomanische Selbstdarstellung ist oder die Erzählung einer großen Geschichte, sei hier dahingestellt. Fest steht: Das Werk und die Darbietung der Symphoniker ist episch! Stellenweise sehr laut, bei Bedarf scharfkantig, ansonsten eher getragen. Exzellent präsentieren Hörner und übriges Blech das ritterliche Hauptthema, das den Helden charakterisiert.
Die quietschende, atonale Passage der Holzbläser muss ein älterer Herr seiner Sitznachbarin erklären: „Das ist der Widersacher des Helden”, raunt er ihr unüberhörbar zu. Weich, lieblich und rezitativisch tritt die Gefährtin des Helden auf – und die hat viel zu sagen: Konzertmeister und Soloviolinist Anton Sorokow übernimmt die Rolle und gestaltet die lange Solopassage höchst empfindsam und virtuos. Er deckt alle dynamischen Teilbereiche optimal ab, mit weniger Räkeln und Inszenierung hätte der Part aber genauso funktioniert! Von außerhalb des Konzertsaales rufen dann Trompeten zur Schlacht, Philippe Jordan schickt die Symphoniker in den Kampf.
Ausgesprochen homogen und stark verschmolzen ist der Orchesterklang, der einer großen Orgel gleicht, von der aus Jordan seine Kämpfer kommandiert. Den Sieg des Helden zelebrieren schließlich die Streicher. Und alle dürfen mitfeiern: Till Eulenspiegel, Don Juan, Don Quixote und viele andere. Strauss zitiert sich hier selbst und verwendet Motive aus früheren Tondichtungen, die teils ein wenig verwaschen klingen. Aus der üppigen Orchestertextur meint man zuweilen ein klein wenig Tristan herauszuhören. Dem Frieden zum Trotz führt ein Streichertremolo ein letztes Mal in die Dunkelheit, das Gute triumphiert, aber mit haarscharfen Schlägen und Fanfarenstößen. Der Held kann der Welt getrost entfliehen. Die Akteure auf der Bühne noch nicht: Der gewaltige Schlussapplaus und die Bravo-Rufe lassen Jordan und die Symphoniker minutenlang hochleben. Zurecht.
Thomas Genser, 29. Mai 2018, für
klassik-begeistert.de