Am Anfang war die Familie: Auftakt zum neuen Ring des Nibelungen in Basel

Richard Wagner: Das Rheingold & Die Walküre   Theater Basel, 23. & 24. September 2023

Theater Basel, Oper Rheingold © Ingo Höhn

Richard Wagners Weltendrama kehrt nach vierzig Jahren endlich wieder auf die Bühne des Theaters Basel zurück. In dieser Spielzeit stehen „Das Rheingold“ und „Die Walküre“ auf dem Spielplan. Ein ungewöhnliches Musikkonzept ergänzt eine etwas halbgare Regie, die sich dennoch überzeugend der großen Parabel über Liebe und Macht widmet.


Richard Wagner: Das Rheingold & Die Walküre
Vorabend & Erster Tag des Bühnenfestspiels „Der Ring des Nibelungen“

Musik und Dichtung vom Komponisten

Jonathan Nott, Dirigent
Sinfonieorchester Basel

Benedikt von Peter, Regie
Caterina Cianfarini, Co-Regie

 Theater Basel, 23. & 24. September 2023

von Leander Bull

Am Anfang war das Rauschen; bedrohlich und majestätisch dröhnt das Es-Dur der Kontrabässe aus den Tiefen des Rheins hervor. Wir hören nichts weniger, als den Ursprung der Welt aus dem Chaos. Ebenso ist Richard Wagners ganzes Opus magnum Der Ring des Nibelungen nichts weniger als ein Versuch, die ganze Welt zu erzählen.

Im Theater Basel erklingt dieses rätselhafte Vorspiel auf ungewohnte Art. Der Orchestergraben befindet sich nun, ähnlich wie im Bayreuther Festspielhaus, dem Kunsttempel des Komponisten, unter der Bühne. Der Graben ist verdeckt, anders als im Festspielhaus öffnet er sich nur durch ein Gitter zum Saal, das einen Teil des Bühnenbodens bildet.

Dieses Konzept geht auf. Obwohl das Vorspiel zunächst etwas leise ertönt, dirigiert Jonathan Nott sich gekonnt weiter in die verzwickte Partitur des Rheingolds hinein. Manche Verstrickungen der Leitmotive glänzen leider nicht in vollem Detail, doch der unsichtbare Graben sorgt dabei für einen sehr durchsichtigen Klang, der betört. Nott und das Sinfonieorchester Basel beschwören keinen übermäßig lauten Wagnerkitsch, durch den Sänger sich durchkämpfen müssen, sondern ungewohnt intime Klanglandschaften. Diese Kammerspiel-Atmosphäre wird dadurch, dass kein sichtbarer Graben die Bühne vom Publikum trennt, noch weiter gesteigert.

Diese Färbung der Musik koppelt sich auf glückliche Weise mit der Inszenierung des Intendanten Benedikt von Peter und Regisseurin Caterina Cianfarini. Die ursprüngliche Einheit von Mensch und Natur zu Beginn des Rheingolds bei Wagner ersetzen sie durch eine inzwischen verlorene Einheit der Familie. Dabei blickt Brünnhilde wie in einem antiken Epos vom Ende des Rings auf die Vergangenheit zurück und befragt die Entwicklung der Götterfamilie. Nur die unsäglichen Unterbrechungen der Musik, die dabei immer wieder erfolgen, sind unnötig und unpointiert. Brünnhilde darf dann Dinge sagen wie „An diesem Tag zog das Unheil in unser Haus ein“, damit es wirklich jeder nochmal versteht.

Rheingold © Ingo Höhn

Göttervater Wotan erzählt dabei seinen Kindern die Geschichte gedoppelt als Puppentheater, wobei Szenen geschaffen werden, die im Zusammenhang mit ihrer Werktreue gleichermaßen eine wunderbare Parabel über die Magie des Theaters schaffen. Nichts Anderes ist an diesem Vorabend in Basel im Ganzen zu erleben: pures Theater. Die Regie geht dabei mit einer Inszenierungsfreude ans Werk, die die intrigante Geschichte rund um die feigen Götter lichterloh bebildert und komplexe Dynamiken freisetzt. Das recht schlicht gehaltene Bühnenbild erweist sich dabei als äußerst ausdrucksvoll. Wenn die dekadenten Götter am langen Tisch sitzen, denkt man sich, ähnlich wie die Rheintöchter, „Falsch und feig ist, was dort oben sich freut!“. Verstörend und einfallsreich wird der Abstieg in die höllischen Schmieden Nibelheims dargeboten. Thematisch wird dabei vieles aufgerissen – Familie, Häuslichkeit, Theater, Erinnerungen – doch glücklicherweise immer nur angedeutet. Nie bekommt man das Gefühl, hier möchte jemand einem seine plumpe Idee direkt im ersten Teil gewaltsam in den Kopf hämmern, wie man es sonst leider so oft erlebt.

Rheingold © Ingo Höhn

In der Walküre geht es am nächsten Abend anders zu. Urromantisch zeigt uns dieses leidenschaftliche Drama, wie die menschliche Liebe es vermag, sogar die Götter zu stürzen. Doch auch musikalisch werden die Weichen gestellt; die wesentlich symphonischer angelegte Partitur erweist sich als geeigneter für den mystischen Abgrund in Basel. Der paranoide Sturm zu Beginn des ersten Akts fegt die Szenerie auseinander, leidenschaftlich begleiten die Streicher den Wälsungen Siegmund und untermalen eine Liebe, die es schafft, die Grenzen von Gut und Böse zu sprengen.

Walküre © Ingo Höhn

Leider verheddert sich die Inszenierung hier zu oft; Von Peter und Cianfarini nehmen die listige Spielfreude des Rheingolds direkt mit in den ersten Akt und schaffen dabei Katastrophales. Die Geschichte ist doch einfach, dabei ebenso zeitlos: Siegmund und Sieglinde treffen sich in einer Hütte, erkennen sich aus der Kindheit wieder und verlieben sich. Dass die Regisseure meinen, dabei noch zwanzig andere Figuren auftreten lassen zu müssen, verkompliziert das Ganze unnötig und ist primitiv. Irgendwann vergeht einem die Lust, diesem eigentlich so glühend lebhaften Akt zu folgen. Hunding will Siegmund abstechen, dann Siegmund Hunding, dann kommt Wotan, dann rennt irgendjemand im Schlafanzug rum, was soll das Ganze? Ein Besucher scherzt in der Pause: „Vielleicht geht es ja um die Arbeitswelt, alle stehen rum, und niemand weiß, was er zu tun hat“.

Einzig die berauschende Musik Wagners hält das Ganze am Leben. Mit zügigen Tempi und durchgängig balancierter Lautstärke treibt Nott an diesem Abend das Orchester durch die düstere Klangwelt der Walküre, ohne dabei über musikalische Details zu stolpern.  Inszenatorische Inkohärenzen, über die man im Exzess des Rheingolds gerne hinweg sah, werden jedoch nun mit dem Fortschreiten der Geschichte über die schwindende Macht der Götter störender. Die generelle Devise der Inszenierung lautet wohl, alles, was im Originaltext schon implizit enthalten ist, unnötig explizit zu machen. Zwar dichtet nichts davon dem Stück etwas Neues hinzu, doch hierin liegt vielleicht sogar das Problem: Es ist eine dieser typischen Inszenierungen, die sich weder traut, mit dem Text zu brechen, noch das große Epos Wagners einfach mal nah am genialen Text zu erzählen.

Walküre © Ingo Höhn

Trotzdem gelingt ein sehr guter dritter Akt, in dem manche Ideen sogar aufgehen, trotz eines generellen Gefühls der Einfallslosigkeit, das sich am zweiten Abend im Gegensatz zum Rheingold breit macht. Das Ganze endet tatsächlich sehr rührend, offen und lässt die Vorfreude darauf, wie das Regieteam die Saga nächstes Jahr beenden wird, wachsen.

Die Lust auf mehr verdankt sich nicht zuletzt einer durchgehend guten Sängerbesetzung. Nathan Berg verleiht der Rolle des Wotan seinen sehr schroffen, doch inszenatorisch angemessen brutalen Bariton. In der Öffnungsszene brillieren die Damen Fedorii, Stadler  und Kidwell zärtlich als spielerische Rheintöchter, ohne dabei zu übertreiben oder sich zu sehr im trillernden Tremolo zu verlieren. Der Schwur des Antagonisten Alberich, der Liebe zu entsagen, wird von Andrew Murphy zutiefst tragisch gesungen und zeigt uns auf rührende Art und Weise, dass das Böse nie von vornherein da ist, sondern immer erst geschaffen wird.

Tief und kernig klingen Thomas Faulkner und Runi Brattaberg als bedrohliche Riesen, die ebenfalls brutal daherkommen, doch dabei eigentlich nur ihr Pfand einfordern. Michael Laurenz’ gibt einen vielleicht etwas zu exzentrischen Loge, singt jedoch stetig hervorragend und wunderbar textverständlich. Generell brillieren alle Sänger durchweg mit einer wunderbar verständlichen Aussprache, die bei Wagner überaus wichtig ist. Ein weiterer Höhepunkt im Rheingold ist Michael Borth als Donner, der am Ende einen ergreifend schönen Regenbogen herbeizaubert. In der Walküre liefert allen voran Theresa Kronthaler als verzweifelte Sieglinde eine sängerische Glanzleistung ab, wobei Ric Furmans lyrischer Tenor als Siegmund zwar nicht durchgängig auf beiden Beinen landet, doch nie ohne brennende Leidenschaft singt. Artyom Wasnetsovs Hunding ist stimmlich und körperlich herrlich bedrohlich, wobei Trine Møllers Brünnhilde zufriedenstellend sicher sitzt.

Walküre © Ingo Höhn

Warum also sollte man eine Vorstellung zum Auftakt dieses Rings, der sich nicht immer ganz rundet, besuchen? Vielleicht wegen dieser revolutionären, unvergesslichen Musik. Vielleicht auch wegen der einzigartigen Theaterkultur in Basel. Vielleicht auch wegen dieser Inszenierung, die trotz ihrer Schwächen das Herz am richtigen Platz hat. Mit Sicherheit aber wegen Richard Wagners einmaligen Musikdramen, die uns zeigen, dass die Liebe immer siegen wird, und dass es immer sein kann, dass wir uns in höchster Not umdrehen und plötzlich sehen, wie im Stamm der Esche hinter uns ein Schwert erstrahlt.

Leander Bull, 25. September 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

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