Foto: Michael Pöhn (c)
Wiener Staatsoper, 4. April 2018
Richard Wagner, Das Rheingold
Adam Fischer, Dirigent
Sven-Eric Bechtolf, Regie
Tomasz Konieczny, Wotan
Norbert Ernst, Loge
Michaela Schuster, Fricka
Ryan Speedo Green, Fasolt
Sorin Coliban, Fafner
Monika Bohinec, Erda
Martin Winkler, Alberich
Herwig Pecoraro, Mime
Clemens Unterreiner, Donner
Jörg Schneider, Froh
Anna Gabler, Freia
Daniela Fally, Woglinde
Stephanie Houtzeel, Wellgunde
Bongiwe Nakani, Flosshilde
von Jürgen Pathy
Am Nachmittag des 5. September 1853 versinkt Richard Wagner in der italienischen Kleinstadt La Spezia im harten Ruhebett einer Gaststätte. Anstatt den ersehnten Schlaf zu finden, versinkt er in eine Art „somnambulen“ Zustand, in dem sich ihm eine der genialsten Eingebungen der Musikgeschichte offenbart: das Orchester-Vorspiel zum „Rheingold“.
Das Brummen der Kontrabässe in Es-Dur ist der Beginn eines gewaltigen Spektakels. Der ungarische Maestro Adam Fischer, 68, der den Ring schon einige Male am Hause geleitet hat, gibt ohne jegliche Atempause den Einsatz und entführt das Wiener Publikum in die Tiefen des Rheins – Hörner setzen mit Fehlern ein, das unruhige Publikum hätte noch einige Momente der Stille vertragen.
Auf der Bühne erscheinen die drei Rheintöchter Woglinde, Wellgunde und Flosshilde, während die sich verfinsternde, drohend wirkende Musik das Nahen des lüsternen Zwergs Alberich verkündet – Hausdebütant Martin Winkler gibt einen sehr guten Nibelungen. Der in Bregenz geborene Charakter-Bariton verwandelt sich mit Haut und Haar zu dem kleinen, geifernden Zwerg, der des Goldes und der Macht wegen schicksalsträchtig die Liebe und letztendlich auch den Ring selbst verflucht.
Neben Aberich ist der hochintelligente aber unberechenbare Halbgott Loge mit Sicherheit die interessanteste Figur am „Vorabend“. In die Partie des schelmischen Götterberaters schlüpft ein schauspielerisch grandioser und gesanglich guter Norbert Ernst, 40. Der österreichische Tenor fasziniert im Zusammenspiel mit Alberich in den Tiefen der Nibelungen, in denen auch Herwig Pecoraro als misshandelter Zwergenbruder Mime zu überzeugen weiß.
Darstellerisch wie auch stimmlich sticht – aus der durchwegs zumindest guten Riege an Künstlern – auch noch ein weiterer Protagonist hervor: Bassbariton Tomasz Konieczny, 46, steigert sich bis zur abschließenden vierten Szene zu einem Wotan, der das Prädikat Weltklasse verdient hat – für Kenner des gefragten polnischen Wagner-Sängers keine allzu große Überraschung. Göttergattin Michaela Schuster gibt sich keine Blöße, bleibt jedoch als Fricka relativ unauffällig.
Dieses Wotans wegen (und des Alberichs wegen) sollte man sich mit aller Gewalt um die Eintrittskarten der restlichen Ring-Tetralogie („Die Walküre“, „Siegfried“, „Die Götterdämmerung“) an der Wiener Staatsoper bemühen.
Mit der Auszeichnung Weltklasse dürfen sich auch zwei „riesige“ Ensemblemitglieder schmücken: Ryan Speedo Green, 32, als Fasolt, und Sorin Coliban, als Fafner, der mit dem Mord an Fasolt für den ersten Toten im Schatten des verfluchten Ringes sorgt. Vor allem der in Bukarest geborene Sorin Coliban trumpft mit einer gewaltigen Bühnenpräsenz, einer glaubwürdigen Mimik und einer durchdringenden, tiefen Bassstimme.
Zur Inszenierung von Sven-Eric Bechtolf: Obwohl Richard Wagner seinen Ring als Gesamtkunstwerk aus Text, Musik und Bühnenbild gesehen hat, sollte der Inszenierung, wie Tomasz Konieczny der österreichischen Sängerin Elisabeth Kulman in einem Interview gestand, „nicht immer so viel Bedeutung geschenkt werden“!
Alleine die geballte Ladung an berauschenden Klängen aus dem Orchestergraben nimmt den Zuhörer mit auf eine Hochschaubahn der Gefühle, lässt mal den Atem stocken, dann wiederum das Herz so rasend schlagen, dass einem nicht nur das Wasser in die Hände, sondern beinahe fassungslos aus den Augen schießt – auch der rührenden Erda der großartigen Monika Bohinec wegen.
Richard Wagners geniale Kunst hinterlässt in Summe ein staunendes Wiener Publikum, dessen Sinne beinahe überfordert wurden. Das „Rheingold“, dessen Uraufführung zuwider Richard Wagner am 22. September 1869 von seinem Gönner Ludwig II. in die Bahnen geleitet wurde, annähernd in Worte zu fassen, wird immer ein hoffnungsloses Unterfangen bleiben – man muss dieses alle Sinne erfassende Kunstwerk einfach live erleben! Trotz des ein oder anderen schmerzhaften Fehlers beim Blech, giert dieser Wiener Ring nach mehr…
Jürgen Pathy (klassikpunk.de), 5. April 2018, für
klassik-begeistert.at
Foto: Michael Pöhn