Foto: Klaus Florian Vogt © Monika Rittershaus
Großes Festspielhaus, Osterfestspiele Salzburg, 22. April 2019
Richard Wagner, Die Meistersinger von Nürnberg
Wagner machen, das kann er wie kein zweiter. Die Sächsische Staatskapelle Dresden spielt unter Christian Thielemann phänomenal, es ist berührend schön, dabei zu sein im Großen Festspielhaus in Salzburg. Dieses Gefühl stellt sich bei den „Meistersingern von Nürnberg“ schon nach den ersten Takten des Vorspiels ein. Alles ist wie verwandelt: Raum und 2179 Menschen.
Es war einsame Weltklasse, was der weltweit versierteste Wagner-Dirigent den europäischen Ausnahmemusikern aus Dresden im Salzburger Graben abzuverlangen vermochte. Schon bei der Ouvertüre Gänsehautgefühl. Thielemanns fulminante Interpretation der Wagnerschen Partitur – die „Meistersinger“ sind sein Lieblingswerk – ging schon vom ersten Takt des Vorspiels an tief unter die Haut. Die Streicher und Celli zu Beginn des dritten Aufzuges waren betörend.
Und so bekam der Künstlerische Leiter der Osterfestspiele Salzburg nach fünf Stunden und 38 Minuten „Meistersinger“ (inkl. zwei Pausen) den stärksten Applaus im Großen Festspielhaus. Er lässt – wie er das einmal selbst formuliert hat – wahrhaft das Narkotikum von der Decke tropfen.
„Er lockt und lenkt, treibt und dehnt, spinnt unendliche Linien, legt aufregende Details frei und entfesselt explosive Triebkräfte“, schrieb BR-Klassik wunderbar. „Was da so lustvoll, impulsiv und inspiriert aus dem Augenblick heraus gestaltet wird, ist zugleich technisch bewundernswert sicher umgesetzt: kalkulierte Rauschzustände, präzise Zauberei. Die Sänger werden nie zugedeckt, und das brillant musizierende Orchester folgt Thielemann mit hörbarer Spielfreude.“
„Es ist faszinierend, mit welcher Klangästhetik, mit welchem Kosmos an Schattierungen und Farben, mit welcher Eleganz, trotz fallweiser breiter Tempi, das meisterliche Werk von der Sächsischen Staatskapelle Dresden unter dem manchmal nur noch mit minimalistischen Gesten agierenden Christian Thielemann interpretiert wird“, bilanzierte der Kurier.
Auch das Auge „hört“ mit: Eine besondere Freude war es, dem äußerst engagierten, jungen Kontrabassisten (dritter von rechts) bei der Arbeit zuzuschauen. Das war wirklich musikalische Devotion vom Feinsten.
Kein anderer könne die „Meistersinger“ derzeit besser bringen als Christian Thielemann, sagte auch klassik-begeistert.de-Autorin Kirsten Liese im Deutschlandfunk (DLF), für die diese siebten Osterfestspiele Salzburg unter Thielemanns Künstlerischer Leitung neben der „Walküre“ in der Jubiläumsausgabe vor zwei Jahren die besten waren. Liese hob die subtile Pianokultur hervor, die Durchhörbarkeit „noch in der Prügelfuge“ und spannungsgeladene Höhepunkte wie den „Wach auf“-Chor, hinter den Thielemann zwei Ausrufezeichen gesetzt habe, die sich auch als Aufruf an den Aufsichtsrat deuten ließen, der Thielemann einen unliebsamen Intendanten vor die Nase setzen will.
Die Journalistin würdigte auch die Inszenierung von Jens-Daniel Herzog, der dem Stück einmal nicht politisch im Hinblick auf seine heikle Wirkungsgeschichte nachkam, sondern der Romantik und den zeitlich-menschlichen Konflikten in dieser Oper mehr Raum gab, schließlich „geht es in allen Wagner-Opern um die Liebe“.
Ansonsten war dies der Abend eines Norddeutschen, der mit seiner Familie in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) an der Elbe lebt: Berauschend in Form war der Tenor Klaus Florian Vogt als Ritter Walther von Stolzing. Vogt sang makellos. Herausragend. Weltklasse! Besser kann man den Stolzing nicht singen. Klar, fein, in den Höhen atemberaubend sauber und kraftvoll. Bis zum Ende überzeugte der 49-Jährige mit bombastischer Kondition, mit Klangschönheit und -fülle. Klaus Florian Vogt gab den Stolzing mit seiner ihm eigenen, fast unwirklichen Knabenstimme mit herrlicher Höhe und gefiel besonders mit der „Selige Morgentraum-Deutweise“.
Lieber Herr Vogt, auch wenn Sie nur den viertgrößten Applaus – nach Christian Thielemann, Georg Zeppenfeld und Adrian Eröd – bekamen: Das waren Sternstunden an der Salzach. Sie sind der Meistersinger von Salzburg. Möge Ihre gesegnete Stimme die Menschen noch viele Jahre verzaubern.
Wunderbar auch der Bass Georg Zeppenfeld als Hans Sachs. Er war, was Stimmintensität und Genauigkeit anbelangte, ein perfekter Sänger und bot eine fast makellose Aufführung. Note 1, würde man in der Schule sagen. Sehr mächtig, wenn es sein musste, sehr dunkel, angenehm sanft an vielen Stellen und mit einer klaren deutschen Aussprache gesegnet. Kaum jemand im Weltklasseformat hat eine so klare Artikulation wie Zeppenfeld. Nur mit den ganz hohen Tönen stand dieser Ausnahme-Bass an diesem Tag vor allem am Ende der kräftezehrenden Aufführung auf Kriegsfuß – aber sie sind ja auch nicht seine Kernkompetenz.
Auch der dunkle, erdige Tenor von Sebastian Kohlhepp beglückte das Publikum mit einer dichten Stimme voller Leben. Als Lehrbube David sang er präzise mit sehr feinem Vibrato und wunderbarer natürlicher Souveränität. Es war eine große Freude ihm in allen Lagen zuzuhören. Ich hatte als Bass des Symphonischen Chores Hamburg im November 2018 drei Mal die Freude, mit Sebastian Kohlhepp auf der Bühne zu stehen: Im Alsion im dänischen Sonderburg, im Deutschen Haus in Flensburg und in der Laeiszhalle in Hamburg. Auf dem Programm stand das Stabat mater von Antonín Dvorák. Kohlhepp war auch an diesen drei Abenden ein herausragender Solist.
Der ukrainische Bass Vitalij Kowaljow stellte einen hervorragenden, sehr edlen Meister Pogner dar. Er hat ein wunderbares, dunkles Timbre, das sehr gut zu der Rolle passt. Absolutes Wohlfühltimbre – Weltklasse! Schade, dass die Partie so kurz ist.
Sehr edel und voll ist der Gesang von Levente Páll als Kothner. Dieser Bass ist ein ganz großes Talent und wird bald auch in größeren Rollen zu hören sein.
Eine subtile Charakterstudie par excellence und Glanzleistung in stimmlicher und darstellerischer Hinsicht war jene von Adrian Eröd als ungeliebter Kritiker Sixtus Beckmesser. Grandios, nuancenreich, mit viel Spielwitz und Stimmenreichtum agierte der Bariton als Stadtschreiber. Jammern auf hohem Niveau: Vielleicht könnte Eröd die Partie noch „beckmesserischer“, noch kratzbürstiger und „verrückter“ singen. Sie klang in weiten Teilen noch ein wenig zu „schön“.
Die Sopranistin Jacquelyn Wagner ist eine selbstbewusste Eva, die bei den lyrischen Phasen immer wieder gefällt. Weniger hörbar ist ihre Mittellage im dramatischen Bereich. Insgesamt ist ihre Stimme zu dünn für diese Rolle in diesem Saal. Bei den Spitzentönen klang die US-Amerikanerin immer wieder unangenehm schrill. Ihre Verständlichkeit lässt zu wünschen übrig.
Aufhorchen ließ vom ersten Ton an die Mezzosopranistin Christa Mayer als Evas Amme Magdalene: in der Höhe brillant und mit sehr angenehmem Timbre auch in der Tiefe. An die Leistung von Wiebke Lehmkuhl bei den Bayreuther Festspielen 2017 und 2018 reichte sie aber nicht heran.
Der Staatsopernchor Dresden verstärkt durch den Bachchor Salzburg beeindruckte durch Stimmgewalt und Homogenität.
Zum Inhalt: Regeln sind den Nürnberger Meistern heilig, mindestens so heilig, wie Veit Pogner die Tochter Eva. Diese hat der Goldschmiedemeister als Preis eines Wettbewerbs ausgelobt, bei dem Nürnbergs Handwerksmeister singend um das Mädchen ringen sollen. Doch gilt es in diesem Kampf die guten alten Regeln ihrer Kunst zu wahren, denn Verse und Lieder gelten nur, wenn sie dem klassischen Reglement entsprechen. Pech für den verarmten Ritter Walther von Stolzing: auch er hat sich in Eva verliebt und sie hat ihm – zum Glück – sein Herz geschenkt. Lenken lässt sich Liebe nicht: Nun will auch Stolzing sich dem Wettstreit stellen. Ums Ganze – Liebe, Ehre, Regeln, Kunst – singt er in diesem Wettbewerb. Sehr schlecht sind seine Karten, doch am Ende siegt er auf der Festwiese und mit ihm die Überraschung, die Zauberkraft der Liebe und die lebensbejahende Selbsterkenntnis der Handwerksmeister: Erneuerung ist ihre Tradition.
Kritik übte die Journalistin Kirsten Liese im Deutschlandfunk am Aufsichtsrat der Osterfestspiele, der Christian Thielemanns erfolgreiche, auf Karajan-Niveau gebrachte Arbeit in Salzburg mit dem Festhalten an Nikolaus Bachler als neuem Intendanten empfindlich stört. Ihre Frage auf der Pressekonferenz an die Aufsichtsratsvorsitzende Sarah Wedl-Wilson, warum sie so beharrlich an Bachler festhalte und Dominique Meyer, den scheidenden Intendanten der Wiener Staatsoper, als alternativen Wunschkandidaten von Thielemann bislang abgelehnt habe, der der Journalistin gegenüber Interesse an dem Posten bekundet haben soll, blieb jedoch unbeantwortet.
Für die Zukunft befürchtet Liese, der Aufsichtsrat werde an Bachler festhalten, allerdings geht sie davon aus, dass sich der souverän in Gelassenheit übende und vom internationalen Publikum groß gefeierte Christian Thielemann nicht vertreiben lassen und seine erfolgreiche Arbeit an der Salzach fortsetzen werde.
Als Theater im Theater hat Jens-Daniel Herzog, derzeitiger Intendant in Nürnberg – er wurde mit selbigem Werk in Mannheim im Museum spielend ausgebuht –, Wagners einzige komische Oper inszeniert. „Die Meistersinger von Nürnberg“ sind eine Koproduktion der Osterfestspiele Salzburg mit der Semperoper Dresden und dem New National Theatre in Tokio.
Zu Ostern 2020 wird im Großen Festspielhaus „Don Carlo“ von Giuseppe Verdi zu sehen sein – mit Ildar Abdrazakov als Philipp und Yusif Eyvazov, dem Ehemann Anna Netrebkos, als Don Carlo. Mit von der Partie: Franco Vassallo, Anja Harteros und Ekaterina Semenchuk. Es ist ein zwölfminütiges Vorspiel des Komponisten Manfred Trojahn vorgesehen. Regie wird Vera Nemirova führen, die bereits 2017 Richard Wagners „Die Walküre“ famos in Salzburg inszeniert hat.
Andreas Schmidt, 23. April 2019, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.de
La voix de Klaus Florian Vogt hat Klassik-begeisterts Beitrag bei Facebook geteilt: „Die Meistersinger von Nürnberg, Salzburg, 22 April 2019: Apart from that, this was the evening of a North German who lives with his family in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) on the Elbe: in dazzling form was the tenor Klaus Florian Vogt as the knight Walther von Stolzing. Vogt sang immaculately. Outstanding. World class! You can not sing Stolzing better. Clear, fine, breathtakingly neat and powerful in the heigths. Until the end did the 49-year-old convince with bombastic condition, beauty and fullness of sound.“ https://klassik-begeistert.de/richard-wagner-die-meistersinger-von-nuernberg-grosses-festspielhaus-osterfestspiele-salzburg-22-april-2019/