Wotan-Weltstar bricht mit Liege in Bayreuth zusammen, spielt weiter – und muss dann aufgeben

Richard Wagner, Die Walküre  Bayreuther Festspiele, 1. August 2022

Musi und Stimmen hui!
Regie pfui!

Bayreuther Festspiele, 1. August 2022
Richard Wagner, Die Walküre

Fotos: Enrico Nawrath

von Andreas Schmidt

Berichten wir es sachlich: Bei der Bayreuther RING-Premiere der „Walküre“ hat sich „Wotan“-Sänger Tomasz Konieczny am Montagabend so schwer verletzt, dass er nicht weitersingen konnte. Für ihn sprang im dritten Aufzug der Richard-Wagner-Oper kurzfristig ein Kollege ein.

Der Welt-Star Konieczny hatte sich die Verletzung im zweiten Aufzug zugezogen, als er sich in einen Eames Chair fallen ließ, dessen Rückenlehne daraufhin abbrach. Von seiner Verletzung war zunächst nichts zu merken. Er brachte den zweiten Akt mehr als professionell zu Ende.

Doch nach der Pause kehrte er nicht auf die Bühne zurück. Der Pressesprecher der Bayreuther Festspiele, Hubertus Herrmann, trat vor Beginn des dritten Aufzugs vor den Vorhang und informierte die Zuschauer über die kurzfristige Umbesetzung. Michael Kupfer-Radecky sprang kurzfristig ein.

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Tomasz Konieczny (* 10. Januar 1972 in Łódź) ist ein polnischer Opernsänger (Bass/Bassbariton) und Schauspieler. Er gilt vielen professionellen Beobachtern als der beste „Holländer“ der Welt und der beste Wotan der Welt. Im vergangenen Sommer passierte Unglaubliches bei
den Münchner Opernfestspielen. Tomasz sang die erste Arie so unglaublich viril und stark, dass hunderte Menschen im Nationaltheater anfingen, Applaus zu spenden – ein absolutes NoGo bei Wagner-Opern während der Aufführung.

Jahrelang war Tomasz Konieczny in DEM Opernhaus der Welt – Wiener Staatsoper – DER Wotan, frenetisch gefeiert nach dem „Rheingold“, der „Walküre“ und als Wanderer im „Siegfried“.

Bayreuther Festspiele 2022; Walküre; Insz. Valentin Schwarz

An diesem Abend auf dem Grünen Hügel in Bayreuth, Oberfranken, war Tomasz Konieczny ein richtig guter Wotan. Gottgleich mit Tiefen, die einen erschaudern ließen… und auch im piano butterweich und cremig.

Dann die Szene im zweiten Aufzug: Tomasz Konieczny setzt sich in seinen Chair, lehnt sich nach hinten – und potz der Blitz: fällt mit der Lehne nach hinten auf den Boden.

Und dann das Tier, dieser Mann ist extrem ehrgeizig: Er spielt einen Wotan, dem dieses Unglück – von der Regie her – absichtlich passiert ist. Er schmeißt die Lehne noch mal auf den Boden, tritt sie, ja, Tomasz ist ein ausgebildeter Schauspieler…

Der Pole singt danach ohne mit der Miene zu zucken weiter… Niemand im Saal ahnte, dass er große Schmerzen hatte. Der Bassbariton sang mit einer Power, einer Hingabe, die kaum zu überbieten war. Seine virile Stimme offenbarte schier unendliche Kraftreserven. Der Publikumsliebling an der Wiener Staatsoper konnte in allen Lagen vollends überzeugen, auch in leiseren, zarteren Passagen.

Michael Kupfer-Radecky sang die Partie sehr gut zu Ende und bekam einen verdienten, tosenden Applaus. Ihn zeichnet ein sehr erlesen-baritonales Timbre aus, sehr angenehm, mit feinen Nuancen. Die Ultra-Power eines Konieczny zum Schluss des dritten Aktes hat er nicht. Allein, nur seine Professionalität als Cover hat diese Aufführung gerettet.

Ich sprach nach Ende der Aufführung mit Tomasz Konieczny: „Ich habe eine Prellung – der Festspielarzt hat sofort gesagt, es geht nicht weiter. Ich mache am Dienstag weitere Untersuchungen und werde dann sehen, ob ich den Wanderer im ‚Siegfried‘ am Mittwoch singen kann“, sagte der Pole.

Das Team von klassik-begeistert.de wünscht dem Wotan unserer Tage gute Besserung. Glücklicherweise ist Tomasz’ Frau mit ihm in Bayreuth.

Ich sprach nach der Aufführung auch mit einem renommierten Mediziner. Prof. em. Dr. med. Markus Schneider, Departement Anästhesie, Universitätsspital Basel, Schweiz, sagte:

„Als Besucher der Walküre kam mir der Gedanke, als der Designerstuhl in Brüche ging, als sich der Sänger des Wotan schwungvoll hinsetzte, dass es sich um einen potenziell gefährlichen Regieeinfall handelte; obwohl der Sänger mit einem Krach, der bis zu meinem Sitzplatz in der 23. Reihe gut hörbar war, auf den Rücken gestürzt war. Da Tomasz Konieczny ohne sichtbare Behinderung weiterspielte, wurde ich in dieser Annahme bestärkt.

Erst die Mitteilung vor dem 3. Aufzug, dass Tomasz Konieczny wegen dieses Zwischenfalls nicht weiterspielen könne, hat das Bild verändert.

Aus persönlicher Erfahrung drängten sich mir folgende Fragen auf:

Der Sänger hat Glück gehabt, wenn er sich beim Sturz wirklich „nur“ eine Prellung zugezogen hat.

Da es sich um einen Zwischenfall handelt, der gegebenenfalls von der Unfallversicherung des Theaters übernommen werden müsste, falls später Komplikationen auftreten, würde diese wahrscheinlich objektive Befunde durch eine Bildgebung (MRT oder CT) verlangen. Deshalb würde ich, auch wenn die Situation dies heute Abend noch nicht als vordringlich hat erscheinen lassen, als Betroffener auf einen Ausschluss einer Verletzung knöcherner Strukturen (Wirbelsäule) nicht verzichten, auch wenn es nur aus Sicherheitsüberlegungen ist.“

Den meisten Applaus an diesem Abend bekam Lise Davidsen (Sieglinde), kurz gefolgt von Klaus Florian Vogt (Siegmund), Wotan-Einspringer Michael Kupfer-Radecky und Georg Zeppenfeld (Hunding),

Der Wagner-Shooting-Star der letzten Jahre, Lise Davidsen, 35, wurde als Sieglinde erneut allen höchsten Erwartungen mehr als gerecht. Ihr runder, dunkel timbrierter Sopran strahlt in allen Lagen souverän und verfügt im Timbre über eine Fülle individueller Farben. Da glüht etwas in dieser Stimme, das an ihre Landsfrau Kirsten Flagstad erinnert. Die beste weibliche Wagner-Sängerin der Welt bekam den meisten Applaus. Ja: Brava-Stürme! Frau Davidsen geht stimmlich schon fast in den dramatischen Bereich, sie ist etwas vibratoreicher als im Vorjahr. Möge Sie bitte Ihre Jahrhundertstimme gut pflegen.

Was Lise Davidsens Stimme so besonders macht, ist die Leuchtkraft ihrer Höhe bei gleichzeitiger Wärme und Fülle der tieferen Register. Auch die Piani offenbaren unendlich schöne Klangfarben.

klassik-begeistert.de-Autorin Kirsten Liese schrieb jüngst:

„Die norwegische Sopranistin hat alles, was eine Wagner-Sängerin haben soll: eine kräftige, gleichmäßig fleischige Stimme mit breitem Umfang, ein angemessenes Erscheinungsbild, hohe Gesangskultur und Schönheit, die mit keinem Make-up korrigiert werden muss. Selbst wenn sie piano sang, war jedes Wort deutlich zu hören.“

Lise Davidsen (Sieglinde), Klaus Florian Vogt (Siegmund). Foto: Enrico Nawrath/ Bayreuther Festspiele

Herausragend auch der Tenor Klaus Florian Vogt als Siegmund. Vogt sang makellos. Rein. Frisch. Herausragend. Weltklasse! Klar, fein, in den Höhen sauber und sehr kraftvoll – atemberaubend bei den Wälse-Rufen. Bis zum Ende überzeugte der 51-Jährige mit bombastischer Kondition, mit Klangschönheit und –fülle. Berührend und erhaben seine Interpretation dieser unglaublich schönen Passage. Keine CD- und keine YouTube-Einspielung kann vermitteln, wie zart, erhaben und rein der Norddeutsche diese Sentenzen aus der zweiten Szene sang:

Nun weißt Du, fragende Frau,
warum ich Friedmund nicht heiße!

Vogt aus Brunsbüttel, Schleswig-Holstein, zeigte, dass es derzeit keinen Wagner-Tenor gibt, der ihm in puncto Hingabe und Präsenz das Wasser reichen kann. Besser als KFV kann man den Siegmund in der Walküre nicht singen. Der Ausnahmesänger zeigte von der ersten bis zur letzten Minute, mit welch einer Vollkommenheit man eine Wagner-Partie abliefern kann.

Klaus Florian Vogt und Herausgeber Andreas Schmidt in Riga 2021

Der Atem des internationalen Publikums stand auch still, als Klaus Florian Vogt diese rührende Stelle zelebrierte:

Winterstürme wichen
dem Wonnemond,
in mildem Lichte leuchtet der Lenz,
auf linden Lüften leicht und lieblich,
Wunder webend er sich wiegt.

Die Mezzosopranistin Christa Mayer als Fricka gefiel mir an diesem Abend gar nicht, pardon. Ihr Dauer-Press-Vibrato störte und war unangemessen. Vergangenes Jahr hat sie noch viel schlanker gesungen.

Der erste Einsatz Brünnhildes wurde wie im vergangenen Jahr vermasselt. Iréne Theorin schrie und stöhnte die  „Hojotoho“-Arie aus, stürzte sich aggressiv auf hohe Töne. Erst später stellte sich heraus, dass sie besser singen kann, dass ihre Stimme über eine schöne, dunkle Farbe verfügt. Die lyrischen Fragmente wie „Zu Wotans Willen sprichst du …“, oder „So sag ich Siegvater nie …“ sang sie ruhig und ergreifend, ohne schaukelndes Vibrato. Im hohen Register war das indes zu viel des Guten. Nun, es gibt kaum bessere Brünnhilden, leider. Der Applaus für Frau Theorin war übersichtlich.

Die schwedische Diva (Lena Iréne Sofia Theorin, * 18. Juni 1963 in Södra Hestra, Gemeinde Gislaved), die ihre Ausbildung in der Meisterklasse der großen Wagner-Interpretin Birgit Nilsson genoss, schmeichelte vor allem bei den Pianissimi.

Der Ritt der Walküren begeistert nicht nur eingefleischte Wagnerianer im Bayreuther Festspielhaus, sondern, seit Hollywood die fanfarenartige Musik im Vietnam-Drama „Apocalypse Now“ monumental in Szene gesetzt hat, auch viele Menschen, die noch nie ein Opernhaus von innen erblickt haben. An diesem Abend ertönt der Ritt des Festspielorchesters unter Cornelius Meister sehr schlaff und zäh – langweilig wie platt gekautes Wrigleys Spearmint.

Mit dem mittellosen, rastlos durch den Wald irrenden Flüchtling Siegmund hat Richard Wagner eine Figur in die Welt gesetzt, mit der sich der zu dieser Zeit im Schweizer Exil lebende Komponist selbst identifiziert haben dürfte.

Der Hunding von Georg Zeppenfeld ist erfüllt von einem mächtigen, sonoren Bass, dessen Aussprache wie immer die beste ist an diesem Abend. Er ist DER Interpret für diese Rolle an diesem Abend. Ein großer Künstler, dieser Zeppenfeld.

Klaus Florian Vogt ist an diesem Abend auch noch gut zu verstehen. Sorry, Ihr lieben restlichen Sänger: Ihr müsst noch an der Diktion arbeiten.

Die Inszenierung: Nicht ganz so grausam wie beim „Rheingold“, aber noch immer grausam genug. Zahlreiche Buh-Rufe, etwas weniger als beim „Rheingold“, kein Wunder, an diesem Abend sind die Besucher durch den hervorragenden Gesang von vier Weltstars beseelt.

Schlussapplaus nach „Das Rheingold“. Foto: Klaus Billand

Ein „Regisseur“-Bub namens Valentin Schwarz schreibt die ganze WAGNER- (also nicht Valentin-Schwarz-) Oper um: Sieglinde ist von Anbeginn an schwanger, Freya stirbt, liegt im Sarg, es gibt kein Schwert „Nothung“ sondern eine Kinder-Pistole, es gibt keinen Speer, WOTAN erschießt Siegmund (nicht Hunding), WOTAN vergewaltigt Sieglinde. Brünnhilde hat einen body / Freund.

Oh my God!!!

Kennen Sie diese Oper von Valentin Wagner, 33?

Ich sagte es gestern: DAS IST EUROPEAN TRASH!

Von der Ausstattung (bis auf das Kinderzimmer) und den Kostümen kommt eh kein Wohlfühlgefühl auf. Murks pur.

Ich prognostiziere dieser Inszenierung wenig Erfolg. 

Vielleicht kommen ein PAAR Nerds mehr – aber sicher nicht mehr 50- bis 85-Jährige – die stellen noch immer das Kernpublikum in BT.

Ich liebe die Kompositionen Richard Wagners, die Musik, die Stimmen.

DIE MAGIE.

Sie, werter Herr Valentin Wagner-Schwarz, werden diese Musik und diese Magie mit ihrem Regie-Murks nicht zerstören können.

Was macht es für einen Sinn, dass Sie etwas in Szene setzen, was ein normaler Mensch nur mit einer 200-seitigen Gebrauchsanweisung versteht?

Andreas Schmidt, 1. August 2022,
für klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Wagner, Die Walküre Festspielhaus Bayreuth, Bayreuther Festspiele, 1. August 2022

Richard Wagner, Das Rheingold Bayreuther Festspiele, 31. Juli 2022

 

 

Ein Gedanke zu „Richard Wagner, Die Walküre
Bayreuther Festspiele, 1. August 2022“

  1. Welcher satan beseelt die oder diese personen, die für die entscheidung für diesen regiewirrkopf zuständig sind? etwa die glücklose sog. intendantin wagner?

    Horst Schreiber

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