In der Götterdämmerung unterläuft Christian Thielemann ein klitzekleiner Fehler

Richard Wagner, Götterdämmerung (1876)  Staatsoper Unter den Linden, 12. Oktober 2025

Christian Thielemann © OFS/Matthias Creutziger

Auch im kraftzehrenden Ring-Finale bleiben die Sänger allesamt Weltklasse. Dmitri Tcherniakovs Inszenierung kommt ausgerechnet am letzten Abend noch einmal ein wenig in die Spur. Einzig Christian Thielemann und sein Orchester zeigen im ersten Akt ein paar Wackler.

Richard Wagner
Götterdämmerung (1876)

Musikalische Leitung:  Christian Thielemann
Staatskapelle Berlin
Inszenierung, Bühne:  Dmitri Tcherniakov

Staatsoper Unter den Linden, 12. Oktober 2025

von Arthur Bertelsmann

Murmelnd und erwartungsfreudig zieht das Ring-Publikum in die Staatsoper Unter den Linden ein, in eifriger Erwartung auf den letzten und längsten Teil des größenwahnsinnigsten Opernwerks der Welt. Logisch, denn was diesem zahlfreudigen und aufmerksamen Publikum geboten wurde, könnte in die Wagner-Annalen eingehen.
Was Dirigent Christian Thielemann und das Orchester hier gezaubert haben, ist Wagner-Rausch in seiner schönsten Form. In den bisherigen zehn Stunden waren wohl keine zehn Minuten zäh und quälend. Musik und Inhalt flogen vorbei, weil Thielemann sich nie in einer überkomplizierten Interpretation verstrickte und sich als Diener des mystischen Werks versteht.

Das Rheingold-Vorspiel klang wie die Geburt jener Ring-Welt, der erste Akt der Walküre wie ihr hier beginnendes apokalyptisches Ende. Der GMD der Staatsoper setzte auf Effekte und die klangliche Untermalung der verwunschenen Schauplätze und überließ das Psychologische, Zwischenmenschliche ganz seinen Sängern. Das konnte sich der Berliner Dirigent auch leisten, schließlich hat er mit Michael Volles Wotan, Andreas Schagers Siegfried und Anja Kampes Brünnhilde – um nur die größten Rollen zu nennen – Ausnahmesänger, die Thielemanns monumentale Klangkonstruktion begleiten und ergänzen können.

Auch in der Götterdämmerung behält der Dirigent die mitreißende und klare Interpretation bei – wunderbar, wie es im Vorspiel bedrohlich ruhig rauscht und knistert, im Trauermarsch man hautnah das Ende des Ring-Universums erlebt.

Es wird hier noch einmal deutlich, dass Thielemann diesen Ring mehr mit dem Herzen als mit dem Kopf dirigiert. Doch im ersten Akt schleichen sich durch das emotionale Dirigat ein paar Fehlerchen ein. Vor allem bei der Lautstärke gerät die Thielemann’sche Spielfreude aus dem Ruder. Immer wieder schäumen Pauken und Blech über – das rüttelt einen ordentlich durch und mag zur Untergangsstimmung passen; ein wenig grob und oberflächlich wirkt es aber dennoch.

Mandy Fredrich (Gutrune), Andreas Schager (Siegfried), Mika Kares (Hagen), sitzend: Lauri Vasar (Gunther) © Monika Rittershaus

Doch ausgerechnet die Inszenierung von Dmitri Tcherniakov kann an diesen kleinen Schwachstellen den nicht vollendet perfekten Dirigenten ausbügeln. Da Tcherniakov dem Ring alles Übernatürliche entzogen hat, wird Siegfried nicht etwa durch die durchtriebenen Gibichungen getäuscht, sondern betrügt wissentlich die ihn liebende Brünnhilde. Nicht nur, dass sich diese kühne – und unterhaltsam böse – Interpretation nicht mit dem Libretto beißt, sie macht auch den Hass Brünnhildes auf den Rest der Welt besonders verständlich.

Andreas Schager (Siegfried), Anja Kampe (Brünnhilde) © Monika Rittershaus

Das liegt natürlich auch daran, dass dieser Hass so vortrefflich von Anja Kampe getragen wird, die sich trotz hörbarer Mühe ergreifend voller Schmerz durch das große Finale singt. Anders beim Helden-Gatten: Von der vulkanischen Energie aus dem vorherigen Abend fehlt in der Götterdämmerung jede Spur. Passend zur Inszenierung entpuppt sich Andreas Schagers Siegfried als egomaner und dummdreister Trottel, dem für das eigene Vergnügen jedes noch so schäbige Mittel recht ist.

Johannes Martin Kränzle (Alberich), Mika Kares (Hagen) © Monika Rittershaus

Wenig verwunderlich, dass der Schein-Held Siegfried von Mika Kares’ Hagen mühelos in die Tasche gesteckt wird. Schon der Hunding des Finnen in der Walküre war schaurig anzusehen, doch Kares’ Hagen-Interpretation ist eine einmalige Charakterstudie. Hier hört man keinen grobschlächtigen Sadisten, sondern einen berechnenden und grausamen Schachspieler. Kares’ Hagen ist nicht von plumper Gier angetrieben, sondern von purstem Hass. Der glatzköpfige Hüne hasst seinen weinerlichen Bruder Gunther (Lauri Vasar) und die dauerdämliche Gutrune (Clara Nadeshdin), hasst den immerglücklichen Siegfried und natürlich – und am intensivsten – den von Johannes Martin Kränzle überirdisch gut gespielten Alberich, der in seinem nur zehnminütigen Auftritt seine ganze Gier und reinste Bösartigkeit ausspielen kann.

Als dann nach gut vier Stunden der Maestro den Taktstock senkt und damit das gigantische Werk seinen endgültigen Abschluss findet, ist man fast ungläubig ob der künstlerischen Dichte der letzten Woche.

Frenetisch jubelnd wird jeder Sänger mehr als verdient gefeiert. Dann tritt Christian Thielemann auf die Bühne – und der Saal explodiert.

Arthur Bertelsmann, 13. Oktober 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

 

Besetzung:

Siegfried:  Andreas Schager

Gunther:  Lauri Vasar

Alberich:  Johannes Martin Kränzle

Hagen:  Mika Kares

Brünnhilde:  Anja Kampe

Gutrune:  Clara Nadeshdin

Waltraute:  Marina Prudenskaya

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