Lohengrin, Elza van den Heever (Elsa von Brabant), Piotr Beczała (Lohengrin) © Enrico Nawrath
Dies war eine Aufführung der großen Euphorie eines jeden für jeden. Wie Thielemann Wagner liebt, liebt das Publikum den Dirigenten und feiert ihn wie einen Kaiser. „Lohengrin“ sei die begehrteste Vorstellung in dieser Festspielsaison, schrieb die FAZ. Stimmt. Ohne eine Karte für ihn hätte ich mich nach Bayreuth gar nicht aufgemacht.
Richard Wagner
Lohengrin
Musikalische Leitung: Christian Thielemann
Inszenierung: Yuval Sharon
Chorleitung: Thomas Eitler de Lint
Festspielorchester Bayreuth
Bayreuther Festspiele, 4. August 2025
von Kirsten Liese
Es fällt nicht leicht, über diesen Lohengrin zu schreiben, ohne sich vielfach zu wiederholen, Formulierungen zu finden, die nicht schon rauf und runter geschrieben wurden. Alle Superlative von unwiderstehlich gut über magisch, genial, einmalig oder zum Niederknien schön haben sich schon lange erschöpft.
In Christian Thielemanns Dirigat dieser Oper, die er seit der Bayreuther Premiere 2018 unter allen Wagneropern am häufigsten dirigiert hat, begibt man sich dagegen jedes Mal – so wie sich der Meister, wiewohl er die Partitur lange auswendig im Kopf hat, stets weiter in die Musik vertieft – von Neuem auf Entdeckungsreise subtiler Details.
Wagners Partitur ist unerschöpflich! Und das zu zeigen, kann nur einer wie Thielemann, der für Wagners Musik mit Leib und Seele brennt.
Historische Kartennachfrage wie lange nicht
Deshalb lieben ihn Wagnerianer, das Bayreuther Publikum freilich ganz besonders, das seine Rückkehr nach zweijähriger Abstinenz umso emphatischer feiert.
In früheren Jahrzehnten gab es einmal die sogenannten Teufelsgeiger wie Paganini, die ihr Publikum mit ihrer Virtuosität in Trance versetzten, oder denken wir an die Kastraten im Barockzeitalter, die ihre Koloraturen so schwindelerregend hochschraubten, dass einige Damen im Publikum ohnmächtig wurden. Aber wer hätte gedacht, dass sich solche Reaktionen auch mit einem Taktstock provozieren lassen? Wagner als Narkotikum – niemand sonst versteht sich darauf wie der 66-Jährige aus Berlin.

Jedenfalls ließen sich wie in alten Zeiten vor dem Kartenbüro nun auch wieder zahlreiche Interessierte sichten, die verzweifelt noch eine Karte suchten. Die Festspiele hätten diesen „Lohengrin“ mehr als zehn Mal verkaufen können.
Und schon jetzt, wo bekannt wurde, dass Thielemann im kommenden Jahr den Jubiläums-Ring dirigieren wird, lässt sich vorstellen, dass es werden könnte wie in alten Zeiten, als heiß begehrte Karten die Preise auf dem Schwarzmarkt nach oben trieben.

Das Vorspiel als Seelenbalsam
Thielemanns unbedingte Liebe zu Wagners Musik erklärt gewiss auch, warum er, egal welcher Tagesform, in jeder Aufführung das silbrig-schimmernde Vorspiel gleichermaßen in den denkbar zärtlichsten Klängen als einen Seelenbalsam schillern lässt wie auch diesmal. Nie denkt man, ach das letzte Mal war es noch intimer, filigraner oder feinnerviger, immer nur, diesmal war es noch betörender, zärtlicher, leiser, schöner.
In der Besetzung blieb noch Luft nach oben
Wo im Graben derart subtil musiziert wird, wäre es freilich wünschenswert, wenn dafür ebenso geniale Sängerinnen zur Verfügung stünden. Solche, die in einem so intimen Gespinst wie dem „Einsam in trüben Tagen“ hauchfeine Pianotöne unter Einsatz der Kopfstimme aufbieten können wie in goldenen Zeiten einmal eine Elisabeth Grümmer, Gundula Janowitz oder Elisabeth Schwarzkopf.
Elza van den Heever ist eine Elsa mit einer allemal hellen schönen Stimme, und hier und da lassen sich in ihrem Gesang Klänge von großer Zärtlichkeit vernehmen, nur macht sie von ihrer Kopfstimme zu wenig Gebrauch. Tut sie es einmal, dann bringt sie ihre schönsten Töne hervor. Aber über weite Strecken stört da eben doch ein weniger schönes enges Vibrato.

Netrebkos Elsa war die beste
Unter all den Sopranen, die diese Rolle unter Thielemann in den vergangenen Jahren sangen, gefiel Anna Netrebko weiland in Dresden hinsichtlich ihrer lyrischen Qualitäten am besten. Ein bisschen wehmütig erinnere ich mich an diese Produktion, auch seitens der Inszenierung von Christine Mielitz für mich die schönste. Schade, dass der Plan, Netrebko zusammen mit Piotr Beczała nach Bayreuth zu holen, nicht aufging. Die Russin hätte für den Tenor, der jetzt noch einmal in dieser Rolle nach Bayreuth zurückkehrte, die ideale Partnerin sein können. Oder auch Elsa Dreisig, die im vergangenen Jahr als fulminante „Capriccio“-Gräfin in Salzburg bildschöne Pianotöne hören ließ. Ihr Debüt auf dem Grünen Hügel ist eigentlich überfällig.
Piotr Beczała glänzt mit großer Strahlkraft
Immerhin gibt Beczała, vom Publikum verdient unter den Sängern mit dem größten Beifall gewürdigt, eine festspielwürdige, erstklassige Vorstellung in der Titelrolle.
Sein großes Kapital liegt freilich in seiner enormen Strahlkraft in der Höhe, wo er Töne noch im Fortissimo mit großer Leuchtkraft abfeuert, und der Körperlichkeit seines Singens, das manche an Klaus Florian Vogt vermissten, der wiederum mit ätherischen Klängen auf seine Weise einmalig war.

Aber dieser magische Moment in der finalen Gralserzählung, wenn es da heißt „Alljährlich naht vom Himmel eine Taube“ wird auch bei Beczała zu einem ganz großen, so wie er auf einmal ganz leise in den zarten Farben des Orchesters singt.
Unheimliche Schauermusik
Manches war in der von mir besuchten zweiten Aufführung auf spannende Weise anders als ich es zuletzt von der österreichischen Koproduktion in Salzburg und Wien in Erinnerung habe: Da tönte das Vorspiel mit den dominierenden tiefen Streichern zum zweiten Aufzug – analog zu der von der Regie behaupteten herbeifantasierten Krimihandlung – herber, furchteinflößender und damit einhergehend lauter.
Das hätte zu Yuval Sharons poetischerer Inszenierung ganz in Blau und dem Wolkenprospekt zum Vorspiel vielleicht weniger gut gepasst. Zu erleben war jedenfalls diesmal, wie unheimlich diese Schauermusik tönen kann, wenn sie deutlich leiser gespielt wird. Und wie einem dann ein Basston, mit dem der tiefste Punkt auf der Skala der Töne erreicht ist, durch Mark und Bein geht.

Auf Miina-Liisa Väreläs Ortrud, die als Färberin in der „Frau ohne Schatten“ so fantastisch gesungen hatte, war ich sehr gespannt. Leider konnte sie an diesen Eindruck nicht ganz anknüpfen, aus denselben Gründen wie van den Heever. Auch bei ihr leidet die Tongebung an einem zu starken Vibrato.
Starke Männerstimmen
Die Männerstimmen gefielen durch die Bank deutlich besser, auch wenn Ólafur Sigurdarson als Elsas Widersacher Telramund in der Höhe bisweilen die Geschmeidigkeit fehlt. Immerhin imponiert Mika Kares als König Heinrich mit seinem mächtigen Bass und vorzüglicher Textverständlichkeit, wie überhaupt dank Thielemanns ausgeprägter Textarbeit bei den Proben die Verständlichkeit generell sehr gut ist.
Exzellenter Chor
Gar nichts zu auszusetzen habe ich an dem Festspielchor, dem man kaum anhört, dass er personell reduziert wurde. Thomas Eitler de Lint hat ihn prächtig in kurzer Zeit aufgestellt. Er singt mindestens so textverständlich wie die Solisten und beschert an den entsprechenden Stellen die gewohnte Fülle des Wohllauts.
Die hohen Maßstäbe, die diese Phalanx samt Festspielorchester unter Thielemann setzte, dürften noch auf absehbare Zeit unerreicht bleiben.
So durfte man beispielsweise zu alledem wieder einmal staunen, wie makellos die Hörner im zweiten Akt in der reinen Bühnenmusik tönen, wenn sie mit Echoeffekt ihre Fanfaren spielen. Und welch majestätischer Glanz den Saal zu den Choraufzügen im zweiten und dritten Akt füllt, wenn das Orchester im Rausch voll aufdreht. Wonniglich mutet das an, um mit Richard Wagner zu reden, der dieses veraltete Wort vielfach in seinen Libretti verwendete.
Letztlich war dies eine Aufführung der großen Euphorie eines jeden für jeden. Wie Thielemann Wagner liebt, liebt das Publikum den Dirigenten und feiert ihn wie einen Kaiser. „Lohengrin“ sei die begehrteste Vorstellung in dieser Festspielsaison, schrieb die FAZ. Stimmt. Ohne eine Karte für ihn hätte ich mich nach Bayreuth gar nicht aufgemacht.
Kirsten Liese, 5. August 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Lohengrin Bayreuther Festspiele 1. August 2025
Richard Wagner, Lohengrin, Christian Thielemann Wiener Staatsoper, 5. Mai 2024