Die Opéra Bastille enttäuscht mit „Rheingold“ als verwirrender Dystopie

Richard Wagner,  L’Or du Rhin (Rheingold)  Opéra National de Paris Bastille, 14. Februar 2025

L’OR DU RHIN / PROGRAM / Bastille / JANUARY / 2025

Zugegeben – Wagners „Ring“ lädt ein – ja verführt geradezu – seit Jahrzehnten namhafte Regisseure (und solche die sich dafürhalten) zu endlosen Varianten und Variationen in ihren Inszenierungen dieses fast bis zum Überdruss vertrauten und überinterpretierten Stoffes.

Manche spannend, manche intelligent – und manche grotesk, andere befremdlich und manche gar öd und fad. Die letzteren Kategorien treffen zu für die ambitionierte aber letztlich verwirrend orientierungslose Neuinszenierung des aus Kastilien stammenden Regisseurs Calixto Bieito.

Richard Wagner,  L’Or du Rhin (Rheingold)

Inszenierung:  Calixto Bieito
Dirigent:  Pablo Heras-Casado
Bühne:  Rebecca Ringst
Kostüme:  Ingo Krügler
Licht:  Michael Bauer

Orchestre de l’Opéra national de Paris

Opéra National de Paris Bastille, 14. Februar 2025

von Dr. Charles E. Ritterband

Es ist als ob der Fluch des Rings auch die pompöse Pariser Opéra Bastille mit voller Wucht getroffen hätte: hier begeisterte aber auch gar nichts; nicht die Sänger, kaum das Orchester und schon gar nicht die Inszenierung. Man erwartet ohne große Hoffnungen die restlichen drei Teile von Wagners Tetralogie.

Bieito stülpte der Handlung von Rheingold die dystopisch-düstere Vision einer von Künstlicher Intelligenz hervorgerufenen Macht- und Geldgier sowie einer zur totalen Sinnlosigkeit verkommenen Hyper-Technologie auf.

Alberich schleppt dicke, sinnlose, weil an nichts angeschlossenen Kabelbündel mit sich herum und konstruiert einen künstlichen Menschen aus der Retorte.

Wotan hat hier sein eines Auge nur im Text aber nicht in der Inszenierung eingebüßt und schleppt statt dem mit Runen versehenen Speer einen langen Aluminiumstab über die Bühne

Fricka verschmiert ihr schönes Antlitz aus Protest gegen den chronisch untreuen Gatten als Öko-Protest oder aus verständlicher Langeweile mit Erdöl und die drei Rheintöchter tauchen in adretten türkisfarbenen Taucheranzügen samt Sauerstoff-Flaschen und Taucherbrillen aus den Wogen.

Schmuddelig und sinnlos

Das übrige Personal hat sich mit Kostümen von beispielloser Schäbigkeit und Schmuddeligkeit zu begnügen – abgesehen vom Riesen Fafner, der aus unerfindlichen Gründen im perfekten Cowboy-Outfit aufzutreten hat, sein Kollege Fasolt hingegen im biederen Sonntagsanzug mit Krawatte und Froh, der als Hari-Krischna-Anhänger posiert.

Freia wirft (in Richtung Wotan) und verteilt großzügig jene (gewöhnlichen, nicht wie im Text goldenen) Äpfel, welche ihre Schwester ja zwecks ewiger Jugend züchtet.

Das Ganze findet vor einer überaus hässlichen, bühnenfüllenden Aluminiumwand statt, die man drei Stunden lang anzustarren hat, ohne dass klar wird, was sich dahinter verbergen soll – bis sich endlich (der einzige auch musikalisch erhebende Moment!) fast ganz am Ende eine gigantische Zugbrücke niedersenkt: Eingang nach Walhalla, endlich!

Alberich lässt seinen versklavten Bruder Mime in einer Art High Tech Schaltzentrale werken und selbst die beiden sonst so köstlichen Verwandlungen zum riesigen Drachen und zur winzigen Kröte sind hier verschenkt, das heißt witzlos.

Ziemlich fad

Überhaupt war das Ganze, mit kümmerlich-unentschlossener Personenführung, über weite Strecken öde und langweilig, vor allem in den ereignislosen Phasen, insbesondere wenn die gesamte Götterschaft untätig auf einem überdimensionierten Plastiksofa zu sitzen hatte – bis dieses hässliche Ikea-Möbel mit einer Schnur in die Kulisse gezogen wurde: Schülertheater, und zwar schlechtes.

Musikalisch wenig erfreulich

Stimmlich enttäuschte der kurzfristig eingesprungene John Lundgren als Wotan, vielleicht anfänglich etwas nervös und daher zurückhaltend steigerte er sich im Laufe des Abends zu erheblicher, sonorer Stimmstärke.

Harmonisch, melodisch und geradezu jubelnd die drei Rheintöchter, hervorragend und stimmlich rein die Erda.

Wenig glanzvoll, mit ungenauen Bläser-Einsätzen das Orchester der Nationaloper.

Bleibt nur zu hoffen, dass am 15. Februar die Aufführung von „Les Puritains“ mehr zu bieten hat.

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Bellinis Puritani – ein Höhenflug

I Puritani
Vincenzo Bellini


Opéra National de Paris Bastille, 15. Februar 2025

Glücklicherweise zeigte die Opéra Bastille am 15. Februar 2025, was sie tatsächlich kann: eine in jeder Beziehung – Stimmen, Orchester, Inszenierung  – spektakuläre Aufführung von Bellinis „Puritani“.

Die Elvira der kubanischen Sopranistin Lisette Oropesa mit ihrer herrlich strahlenden, leuchtenden Stimme und den ausdauernden, präzisen Koloraturen – zum Niederknien, Weltklasse.

Ebenbürtig ihr Partner, der fulminante amerikanische Belcanto-Tenor Lawrence Brownlee als Lord Arturo Talbot mit klaren, harmonisch ausgesungenen Höhen und einer herrlich samtig-warmen Tenorstimme.

Auch das Orchester unter Maestro Corrado Rovaris glänzte mit prachtvoller Bellini-Italianità…

Ein exquisites Klangerlebnis im ästhetisch perfekten, minimalistischen Bühnenbild mit seinen Metallstrukturen vor projiziertem, dramatischem Wolkenhimmel.

Charles E. Ritterband, 17. Februar 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Richard Strauss, Salome Opéra Bastille, Paris, 28. Mai 2024

Richard Strauss, Salome Opéra Bastille, Paris, 25. Mai 2024

Charles Gounod,  Faust, Aufführung vom 16. März 2021 Opéra Bastille, Paris., gesendet zeitversetzt am 26. März auf France 5

Ein Gedanke zu „Richard Wagner,  L’Or du Rhin (Rheingold)
Opéra National de Paris Bastille, 14. Februar 2025“

  1. Lieber Charles,

    schade, dass Bieito so eine absolute Enttäuschung hervorruft! Ähnliche Reaktionen konnte ich in Wien wahrnehmen, als Bieito sich aufgemacht hat, „Von der Liebe Tod“ in Szene zu setzen. Eine Idee von Bogdan Roščić, wenn ich nicht irre: Mahlers „Kindertotenlieder“ und „Das klagende Lied“ in einer „Oper“, zumindest in einer opernähnlichen Konstellation, auf die Bühne zu bringen.

    Meine Meinung: ein Clou, eine unheimlich kluge, subtile Deutung der Probleme, die uns heute wirklich beschäftigen. Künstliche Intelligenz, die Maschinen übernehmen die Welt. Blockbuster wie „Matrix“ oder „Terminator“ lassen grüßen. Nicht nur das: Auch ästhetisch war das alles andere als scheußlich. Im Gegensatz zu Serebrennikovs „Don Carlo“-Inszenierung standen Musik und Szene keinen Augenblick im Widerspruch. Keine großen Fragezeichen vor dem inneren Auge, kein „Was soll der Mist jetzt eigentlich?“. Alles ergibt sich schlüssig – solange man eine rege Fantasie mit ins Rennen führt.

    Diese „Rheingold“-Kritik lässt Ähnliches erahnen. Ich kann mich täuschen, vielleicht ist sie wirklich grässlich, aber nun bin ich neugierig. Wäre die Bastille nur nicht so ein unattraktives Haus, hätte ich mir eine Vorstellung gegönnt. Ich war ja vor Kurzem in Paris, um „Castor et Pollux“ mit Currentzis im Palais Garnier zu besuchen. „Das Rheingold“ lief zeitgleich, aber: ein dicht gedrängter Terminplan, leicht verstärkte Akustik und Kinoflair in der Oper haben mich abgehalten, alle Hebel in Bewegung zu setzen. Was ich allerdings aus der Kritik herausdeute, hat mich nun hellhörig gestimmt.

    Jürgen Pathy

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