"Parsifal" : Wie ein empörter Sonnengott schmettert Christian Gerhaher herrlich glänzende Lichtstrahlen aufs Parkett, denen der Regen unverzüglich zu weichen vermag – zauberhaft!

Richard Wagner, Parsifal, 8. Juli 2018,  Bayerische Staatsoper, München

München, Bayerische Staatsoper München, 8. Juli 2018
Richard Wagner, Parsifal

Von Raphael Eckardt

Erbarmen und Macht, theatralische Begierde und religiöse Reinheit – mit Wagners „Parsifal“ läuft in München derzeit bei den diesjährigen Opernfestspielen eine Produktion, die man guten Gewissens zu den hochkarätigsten und besten aller Zeiten zählen darf. Jonas Kaufmann, Christian Gerhaher, René Pape – das musikalische Nonplusultra der deutschen Opernszene auf einer Bühne vereint: Das verspricht nicht nur jede Menge Vorfreude auf eine ganz besondere Wagner-Sternstunde, sondern geht auch mit einer ordentlichen Portion Vorschusslorbeeren einher, mit denen an diesem Abend vor allem Bühnenbildner Georg Baselitz zu kämpfen hatte, der sich als „Opernausstatter“ bisher nicht unbedingt den ganz großen Ruf erarbeiten konnte.

Freilich, Baselitz ist ein großartiger, vielleicht sogar genialer Maler, berühmt, berüchtigt und begehrt. In den Auktionshäusern dieser Welt erreichen seine Bilder regelmäßig Spitzenpreise, unter den teuersten lebenden Malern belegt er seit geraumer Zeit konstant einen Platz unter den Top 5. Das Problem ist nur: Großes Künstlertum ersetzt selten fundiertes Regiehandwerk. Da hilft es dann erst recht nicht, dass man sich bei der Bayerischen Staatsoper im Vorfeld alle Mühe gab, den Malerfürsten beinahe trophäenartig anzupreisen und ihn so mit eben jener Menge an Vorschusslorbeeren auszustatten wusste, die ihm an diesem Abend zum Verhängnis werden sollten. Schade!

Dabei will man Pierre Audis Regie beinahe ein wenig in Schutz nehmen: Möglicherweise hatte der Franzose libanesischer Abstammung im Vorfeld geglaubt, spannendes Theater entstünde, wenn man Baselitz-Zeichnungen an eine Wand projiziert und dann zwei Protagonisten auftreten lässt, die synchron nebeneinander stehend ins Publikum singen. Es mag auf den ersten Blick vielleicht etwas wunderlich klingen, aber: Dass ein episches Theater auf diese Weise funktioniert, ist keinesfalls unmöglich. Minimalistische Wagnerinszenierungen haben auch beim kritischen Münchner Publikum in jüngerer Vergangenheit schon für Begeisterung sorgen können. Nur eben leider nicht mit Baselitz!

Die Bilder des deutschen Pinsel-Altmeisters kommen für eine Wagner-Inszenierung schlichtweg zu einfach daher. Dem abstrakten grauen Wald (mit einem surreal anmutenden Tierskelett) im ersten Akt dürfte der ein oder andere durchaus noch eine apokalyptische Note zuschreiben, als die Baselitzschen Bilderbäume im dritten Akt dann aber stiltypisch auf dem Kopf stehen, wirken die Protagonisten des Abends von einer durchweg schlampig ausgearbeiteten Regie völlig alleingelassen. Dass Christian Gerhaher beinahe zeitgleich als Amfortas, theatralisch am Krückstock leidend, über die Bühne wankt, kommt in Ansätzen gar zynisch daher. Mein lieber Freund, da hat man sich mit Paukenschlägen verkalkuliert im schönen München!

Musikalisch ist der Münchner „Parsifal“ dann Gott sei Dank das versprochen furiose Feuerwerk. Und das liegt neben fabulös auftrumpfenden Hauptdarstellern vor allem an Kirill Petrenko und einem phänomenal aufgelegten Bayerischen Staatsorchester, das an diesem Abend eine Leistung ablieferte, die man so jahrelang nicht hören durfte. Petrenkos Interpretation ist durchzogen von einer glänzenden Schönheit aus purem Gold. Immer wieder fließen sanft dahingleitende Streichermotive zu farbenfrohen Klangseen zusammen, die von so außergewöhnlich entzückendem Antlitz sind, dass sie den Zuhörer über knapp fünf Stunden hinweg durchgehend fesseln. Feine Flötenmotive verbinden sich in leichten Strudeln mit fanfarenartigen Blechbläserpassagen. Petrenkos „Parsifal“ lebt von unzähligen, feinmusikalischen Metamorphosen, die die Sänger des Abends auf Händen tragen. Das ist ganz, ganz große Klasse!

René Pape gibt einen Gurnemanz zum Besten, der von seiner emotionalen Tiefgründigkeit und einer beeindruckenden Bassautorität lebt. Kein Wagner-Gebell, kein Kratzen, Papes warmwohlige Bassstimme fügt sich nahtlos in die mystische Musiklandschaft Petrenkos ein. Alles scheint von einer glänzenden Aura umwoben zu sein, Spitzentöne werden da wie Leuchtraketen gen Nachthimmel geschossen. Immer wieder blitzen funkelnd grelle Farben auf, die anschließend im samten Grau der Nacht am Horizont verblassen. Pianissimo-Zauberei, Gänsehautmomente am Fließband und ein wunderbar dosierter Tempofluss heben Papes Performance an diesem Abend auf eine Stufe, die ihn nach einer furiosen Spielzeit unter Barenboim in Berlin wohl endgültig zum besten Gurnemanz unserer Zeit macht. Fabelhaft!

Nina Stemme, im Mai mit dem renommierten Birgit-Nilsson-Preis ausgezeichnet, brilliert als Kundry vor allem mit einer Strahlkraft, die man so bei Wagnerproduktionen lange nicht vernehmen konnte. Ihre gefährlichen Schreie schellen an diesem Abend furchteinflößend Richtung Publikum, in ihrer großen Szene „Ich sah das Kind an seiner Mutter Brust“ gibt sie sich als sagenumwobene Eos, die einen fürchterlichen Sopranorkan unbarmherzig durch die Herzen ihrer Zuhörer wirbeln lässt. Fantastisch! Auch in den tiefen und mittleren Registern weiß Stemme stimmlich vollends zu überzeugen: Mit beeindruckender Fülle und Substanz meistert sie auch die schwierigsten Passagen ihrer Kundry bravourös und authentisch.

Mit Jonas Kaufmann als Titelheld steht Stemme aktuell ein Parsifal zur Seite, der mittlerweile leider überwiegend von seinem Namen als von seiner stimmlichen Brillanz lebt. Vor einigen Jahren noch als Turridu und Bajazzo bei den Salzburger Festspielen für Furore sorgend, ist Kaufmann nur noch wenig vom stimmlichen Glanz vergangener Tage erhalten geblieben. Gerade in einem derart hochkarätig besetzten Ensemble wie an diesem Abend wirkt sein Tenor nur in Pianissimopassagen so berührend schön wie an vergangenen Tagen. Gerade in Wagneropern wirkt Kaufmann häufig an jenen Stellen fehl am Platz, wo aufbrausende Dramatik stimmliches Durchsetzungsvermögen, kombiniert mit musikalischem Nuancenreichtum, fordert. Freilich, das ist Jammern auf allerhöchstem Niveau, man muss sich aber dennoch die Frage stellen, ob Kaufmann in Zukunft bei Rossini- oder Mozartopern nicht besser aufgehoben wäre.

Das eigentliche Highlight des Abends ist dann aber wieder einmal Christian Gerhaher als Amfortas. Und das vielleicht noch größere Highlight ist dann, dass es eigentlich gar kein Highlight mehr ist, wenn Gerhaher seine Kollegen wieder einmal um Längen überragt und in den Schatten stellt. Phänomenal! Gerhahers Amfortas-Interpretation – eine Partie, von der viele dachten, sie passe gar nicht zu ihm – ist von einem musikalischen Nuancenreichtum geprägt, der schier unmenschlich perfektionierte Technik verlangt. Immer wieder schweben da herrlich melancholische Wolken aus sanftem Weißgrau über eine abwechslungsreiche Sommerlandschaft. Plötzlich beginnt es zu regnen, der Himmel färbt sich tiefgrau und tiefe Verzweiflung macht sich breit: Gerhahers Stimme beginnt fahl und bösartig zu klingen. Wie ein empörter Sonnengott schmettert er da herrlich glänzende Lichtstrahlen aufs Parkett, denen der Regen unverzüglich zu weichen vermag. Zauberhaft!

Es gibt wenige Sänger auf diesem Planeten, die in ihrer Breite so hochklassig aufgestellt sind wie Christian Gerhaher. Von famosen Schubertlied-Darbietungen bis hin zu eindrucksvollen Wagnerarien scheint dieser Mann alles zu können. Das benötigt nicht nur eine über Jahre hinweg konsequent erarbeitete technische Weltklasse, sondern auch eine ordentliche Portion Fleiß und Neugierde. Chapeau!

Wer Opern nicht nur anschaut, sondern vor allem anhört, muss diesen „Parsifal“ erleben. In dem, was Wagner hochtrabend als Gesamtkunstwerk bezeichnete, gibt in München letztlich vor allem die Musik den Ausschlag. Der „Parsifal“ ist vielleicht die Wagneroper mit den größten thematischen Gegensätzen: Die Bayerische Staatsoper nimmt sich diese Tatsache ein wenig unverhofft zu Herzen und kombiniert gähnende Bühnenlangeweile mit einem musikalischen Feuerwerk. Doch das ist fantastisch!

Raphael Eckardt, 9. Juli 2018, für
klassik-begeistert.de

Musikalische Leitung, Kirill Petrenko
Inszenierung, Pierre Audi
Bühne, Georg Baselitz
Dramaturgie, Benedikt Stampfli, Klaus Bertisch
Chöre, Sören Eckhoff
Kinderchor, Stellario Fagone
Amfortas, Christian Gerhaher
Titurel, Bálint Szabó
Gurnemanz, René Pape
Parsifal, Jonas Kaufmann
Klingsor, Wolfgang Koch
Kundry, Nina Stemme
Erster Gralsritter, Kevin Conners
Zweiter Gralsritter, Callum Thorpe
Stimme aus der Höhe, Rachael Wilson
Erster Knappe, Paula Iancic
Zweiter Knappe, Tara Erraught
Dritter Knappe, Manuel Günther
Vierter Knappe, Matthew Grills
Klingsors Zaubermädchen, Golda Schultz, Selene Zanetti, Tara Erraught, Noluvuyiso Mpofu, Paula Iancic, Rachael Wilson
Kinderchor der Bayerischen Staatsoper
Chor der Bayerischen Staatsoper
Bayerisches Staatsorchester

3 Gedanken zu „Richard Wagner, Parsifal, 8. Juli 2018,
Bayerische Staatsoper, München“

  1. „Wer Opern nicht nur anschaut, sondern vor allem anhört, …“

    Gibt es den Typus Opernbesucher tatsächlich, dessen Fokus der Optik gilt? Dann ist etwas aus dem Lot gelaufen. Denn nicht umsonst zählt Wagner konzertant zu den beliebtesten Aufnahmen.

    Der musikalischen Kritik stimme ich zu – außer bei Jonas Kaufmann. An der Wiener Staatsoper als Chénier fand ich ihn lahm, uninteressant, ein durchschnittlicher Tenor; als Lohengrin eine Fehlbesetzung – aber als Parsifal gestern fand ich ihn erste Sahne.

    Es sei erwähnt, dass ich mit Kopfhörer vor dem Livestream saß. Und erst ab dem 2. Akt dabei war.

    Jürgen Pathy

  2. Die Produktion habe ich zweimal live und als Stream erlebt.
    Bühnenbild und Inszenierung haben bei jedem Mal gewonnen.
    Gerhaher ist überkandidelt und gesanglich wie stimmlich schwach.
    Pape kann all seine Erfahrung mit der Rolle auf die Bühne bringen, ist aber sehr statisch.
    Stemme hat mir gut gefallen, vielleicht ein wenig zu „mütterlich“; es fehlt das Flirrende der Kundry.
    Kaufmann war einsame Klasse, beherrscht unschuldig im ersten Akt, explodierend nach dem Kuss und ein wahrer Köning im Verlaufe des dritten Aktes.
    Gebrülle – zum Glück – von keinem der Sänger.
    Über allem Petrenko, der das Werk zum Glänzen brachte.
    Waltraud Riegler

    1. Liebe KommentatorInnnen,

      wie jedes (!) journalistische Medium der Welt, behält sich auch klassik-begeistert.de vor,
      Kommentare zu kürzen oder nicht zu veröffentlichen – vor allem dann, wenn die
      VerfasserInnen Autoren pauschal verunglimpfen. Sachliche Kritik hingegen ist immer herzlich willkommen.

      Andreas Schmidt,
      Herausgeber

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