Foto: A. Declair (c)
Richard Wagner, Parsifal (Premiere)
Staatsoper Hamburg, 16. September 2017
Andreas Schager, Parsifal
Kwangchul Young, Gurnemanz
Claudia Mahnke, Kundry
Vladimir Baykov, Klingsor
Wolfgang Koch, Amfortas
Kent Nagano, Dirigent
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
von Leon Battran
Mit dieser Aufführung könnte die Staatsoper Hamburg zu neuen Ufern aufbrechen. Achim Freyers Inszenierung von Richard Wagners Parsifal setzt Maßstäbe. Die Bühne bietet ein optisches Festmahl, die Gesangsleistung ist durch die Bank weg fantastisch. Noch nie lagen Hamburg und Bayreuth so nah beieinander.
Nach genau vier Stunden und zehn Minuten Spielzeit lässt der Generalmusikdirektor Kent Nagano die Hand sinken. Die Klangwolke aus schimmerndem As-Dur verklingt und das Licht geht aus. Ein nicht enden wollender Applausstrom brandet durch die Staatsoper, wie man es lange nicht erlebt hat – das Hamburger Publikum nimmt seinen Parsifal mit ungebremster Begeisterung in Empfang.
In der Hamburgischen Staatsoper herrscht der Ausnahmezustand, der Norden zeigt Gefühle. Die Solisten werden dankbar bejubelt, und immer wieder schallen laute Bravorufe durch den Saal. Es gibt Standing Ovations und rhythmisches Klatschen für alle Beteiligten. Eine sportliche Viertelstunde hält der einhellige Begeisterungsstrom an, eine Wertschätzung, die sich diese Premiere redlich verdient hat. Das war die wohl beste und hochwertigste Hamburger Aufführung der letzten Jahre.
Diese Inszenierung ist unkonventionell, mutig und absolut sehenswert. Im Zusammenspiel von Bühnenbild, Kostümen, Maske und Licht kreiert Achim Freyer eine buchstäblich fantastische Atmosphäre. Seine Bilder sind traumhaft verklärt, makaber und berauschend. Alles ist aufeinander abgestimmt, vereinheitlicht ist nichts. Die Figuren muten wie lebendige Portraitgemälde an. Irgendwo hinter den Masken und Grimassen erahnt man Mensch und Menschlichkeit. Im Zusammenspiel mit Wagners Musik liefert die Inszenierung des 83 Jahre alten Malers und Theaterkünstlers eine ebenso unmittelbare wie symbolisch-abstrakte Ausdeutung des Bühnenweihfestspiels.
Die drei Akte bilden ein Gespann, aus dem jeder einzelne monolithisch hervorstrahlt. Den ersten Akt prägt die ehrfurchtsvoll stolze Atmosphäre um die Gralsgemeinschaft. Die Ritter tragen schwarze Kostümierungen und erinnern mit ihren spitzen Hüten ein bisschen an die Todesser aus Harry Potter. Amfortas, gequält und gebeutelt von einer niemals heilenden Wunde, gleicht einer Christusfigur am Kreuz. Kundry ist bis zum Boden von dichtem dickem schwarzem Haar bedeckt und gleicht so einem düster verkünstelten Spaghettimonster, während Parsifal als Harlekin stilisiert ist.
Der zweite Akt schließlich ein Tanz, ein Funkeln und ein Feuerwerk. Wir befinden uns in der rauschhaften Zauberwelt des ausgestoßenen Gralsritters Klingsor. Hier bezirzen obszöne Verführerinnen, leuchten Luftballons und Neondresses. Klingsor selbst erscheint wie eine unchristliche Paarung aus Gruselclown und Willy Wonka. Er trägt einen schimmernd grünen Anzug. Eine überdimensionierte rosafarbene Krawatte als Symbol seiner Männlichkeit rundet das Erscheinungsbild ab.
Trotz der spürbaren Todesnähe steckt in dieser Inszenierung, wie auch in Wagners überwältigender Komposition eine ganz ursprüngliche Lebenskraft. Die Musik scheint zu atmen, zu wachsen und wieder zu schwinden. Sie führt ihre Zuhörer hinab in kühnste harmonische Untiefen und überrascht dann wieder durch eine tröstliche Subdominante, wenn wir Gefahr laufen, uns zu verlieren. Wagners Musik berührt, erschüttert und weckt den Wunsch nach Harmonie und Frieden der menschlichen Seele mit der Welt. Die Suche nach dem Sinn gleicht dem Gang durch ein Labyrinth. Der unmittelbarste und womöglich wahrhaftigste Zugang ist die Musik.
Es ist noch hell im Saal, als die ersten Töne des Vorspiels sich sanft und behutsam in den Raum schleichen und ihn immer mehr mit Klang erfüllen, während das Licht langsam schwindet. Eine scheinbar unendliche Melodie, die unbeirrt voranstrebt, in warmem Unisono, von den Streichern getragen. Diese Melodie ist schwerelos. Sie ist gleichermaßen Schlaflied wie Erwachen. Sie saugt jeden tief hinein in diesen grotesken Traum von Licht und Finsternis, von Schuld und Schmerz, von Wahn und Sinn, von Sehnsucht, Hoffnung und Erlösung.
Kent Nagano findet am Pult den richtigen Weg zwischen minutiöser Kontrolle und entfesselter Emotion. Über die gesamte Spieldauer hinweg zeigt das Philharmonische Staatsorchester höchste Konzentration und ein sensibles klangliches Gespür. Man kann das Vertrauen des Orchesters in sich selbst und in die Musik spüren. Der Reichtum an Klangfacetten und –farben fesselt das Ohr. Mal schimmert die Instrumentation gülden und festlich, dann glitzert sie ätherisch wie Sternenglanz. Dem Generalmusikdirektor gebührt Hochachtung für dieses ausgesprochen feinfühlige und differenzierte Dirigat.
Das Sängerensemble bot an diesem Abend ein Spitzenniveau, eine Bayreuth-würdige Leistung, die ihresgleichen sucht. Die Rollen scheinen den Künstlern geradewegs auf den Leib geschrieben zu sein. Aber auch der Chor der Staatsoper konnte sich von seiner Schokoladenseite zeigen. Schien der Männerchor stellenweise nicht ganz aus einem Guss zu musizieren, gelang das Unisono zum Ende des ersten Aktes sehr fein und erhaben. Aus dem Off trat der Frauenchor mit solch zerbrechlicher Sublimität hinzu, dass man schier den Atem anhielt.
Kwangchul Youn glänzte als Gurnemanz in der Bass-Partie par excéllence. Auch im Deklamatorischen eine gewisse Kantabilität bewahrend meisterte der geborene Südkoreaner diese umfangreiche Partie, deren Ambitus er perfekt ausfüllte. Die Tiefen erklangen herrlich sonor und natürlich, die Höhen stellenweise atemraubend zart und vollkommen ohne Schwere. Das Hamburger Publikum honorierte diesen denkwürdigen Gurnemanz mit dem größten Einzelapplaus des Abends.
Vladimir Baykov gab sein Rollendebut als Klingsor und machte eine außerordentlich gute Figur. Energetisch, diabolisch, gefährlich – diese Darbietung sprühte vor Charisma. Ebenso stark, wenn auch als ganz und gar gebrochene, leidende Figur verkörperte Wolfgang Koch den Amfortas. Sein Bariton war im Vergleich weniger kraftvoll, aber dennoch gleichermaßen durchdringend. Eine sehr innige, feinfühlige und hingebungsvolle Darbietung, die die Rolle optimal nachempfand und so vielleicht am meisten zu fesseln vermochte.
Auch Claudia Mahnke bewies als Kundry pure schauspielerische Hingabe. Die Bayreuth-erfahrene Mezzosopranistin lotete jegliche Extrema dieser komplexesten aller Wagnerschen Frauenfiguren aus. An Hingabe und Intensität war diese Leistung nicht zu überbieten. Ihr Mezzosopran hat zudem eine angenehm satte Herznote und schwingt in einem distinguierten, aber weichen Vibrato.
Und schließlich Andreas Schager in der Titelpartie: Der reine Tor und Kraftprotz schien wie für ihn gemacht und brachte die kraftvolle Heldentenorstimme des Niederösterreichers perfekt zur Geltung. Dieser Parsifal hatte große Strahlkraft, die den Saal erfüllte. Dazu gesellten sich scheinbare Leichtigkeit, eine klare Aussprache und präzise intonatorische Kontur. Einzig die eher baritonalen Passagen standen in puncto Klarheit und Klangsüße ein klein wenig zurück.
An Substanz und Schmetterkraft mangelt es dem ehemaligen Operettensänger keineswegs. Wirklich unter die Haut gingen aber die feinen, sensiblen Passagen des dritten Aktes. Schager phrasierte einfühlsam und klangschön, so gelang der dritte Akt wirklich überragend und berührend. Bereits bei den Bayreuther Festspielen hatte der Tenor in diesem Sommer als Parsifal geglänzt. Auf klassik-begeistert.de ist soeben ein großes Interview mit ihm erschienen: „Einfach die Emotion machen lassen, vor allem bei Wagner“ https://klassik-begeistert.de/grosses-interview-mit-dem-heldentenor-andreas-schager-hamburgische-staatsoper-bayreuther-festspiele/
Christine und Klaus-Michael Kühne gehörten als Unterstützer der Stiftung zur Förderung der Hamburgischen Staatsoper zu den Ehrengästen der Premiere. Der Hamburger Milliardär Klaus-Michael Kühne, 80, ist Verwaltungsratsmitglied und Mehrheitseigner sowie größter Einzelaktionär des internationalen Logistikdienstleisters Kühne + Nagel und gemeinsam mit seinen Eltern Stifter der Kühne-Stiftung. Zudem ist er mit 17 Prozent Anteilseigner der HSV Fußball AG. Im Gespräch mit klassik-begeistert.de sagte Kühne: „Der erste Akt hat mich nicht so ganz überzeugt. Das Orchester und die Sänger sind sehr gut, die Inszenierung ist ein wenig gewöhnungsbedürftig.“
Christoph Lieben-Seutter, 53, Generalintendant der Laeiszhalle und Elbphilharmonie, war sehr angetan vom Auftakt im Haus an der Dammtorstraße: „Das ist ein wirklich toller Saisonauftakt. Die Musik ist großartig, das Casting ebenso. Das Orchester ist gut in Form und die Inszenierung sehr spannend“, sagte der gebürtige Wiener im Gespräch mit klassik-begeistert.de.
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, 59, kam gemeinsam mit seiner Ehefrau Britta Ernst, 56, der ehemaligen Bildungsministerin Schleswig-Holsteins zur Premiere. „Dieser Parsifal hat mir sehr gut gefallen“, sagte der Sozialdemokrat zu klassik-begeistert.de „Das Orchester und die Solisten waren sehr überzeugend.“
„Parsifal ist als Werk einer anderen Dimension zugehörig“, sagte Georges Delnon, 59, der Intendant der Staatsoper Hamburg bei der Premierenfeier. „Ich wünsche unserem Hamburger Parsifal ein langes Leben.“
Der Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner und Maler Achim Freier, 83, wurde nach der Aufführung und bei der Premierenfeier frenetisch bejubelt. „Dieser Parsifal in Hamburg hat mir wirklich sehr viel Freude bereitet“, sagte der gebürtige Berliner, der nahe der Hauptstadt und in der südlichen Toscana lebt. „Das war eine ganz wunderbare Zeit hier mit all den wunderbaren Menschen.“
Weitere Aufführungstermine:
Sonntag 24.09.2017, 17.00 Uhr
Mittwoch 27.09.2017, 17.00 Uhr
Samstag 30.09.2017, 17.00 Uhr
Dienstag 03.10.2017, 16.00 Uhr
Leon Battran, 17. September 2017, für
klassik-begeistert.de
Die Gespräche mit den Gästen führte Herausgeber Andreas Schmidt.
Eine wirklich gute und treffende Rezension, die auch die Stimmung und Atmosphäre des Abends hervorragend wiederspiegelt! Ich selbst war von der Aufführung ebenso in Bann gezogen und muss sagen, dass ich selten von einen Opernabend derartig begeistert war: Musik-Interpretation und künstlerische Darstellung waren eine stimmige Symbiose und vermochten gewaltige Emotionen freizusetzen – bei mir und offensichtlich auch bei den meisten der anderen Zuhörern! Sehr schöner Artikel?
Dr. Marc Voß