Siegfried © Brescia e Amisano Teatro alla Scala
Mit einem sensationellen Siegfried setzt Mailand einen spektakulären wie einzigartigen Ring-Zyklus fort. Allen voran Klaus Florian Vogts Siegfried und Camilla Nylunds Brünnhilde sorgten für ein spektakuläres Gesangsfeuerwerk. Da kann die Götterdämmerung nicht schnell genug kommen!
Siegfried
Musik und Libretto von Richard Wagner
Teatro alla Scala, Milano, 6. Juni 2025
von Johannes Karl Fischer
Sowas kriegt man auch nur in Mailand: Vor dem Aufgang in die Galleria noch ein kurzes prima-di-Siegfried-Gelato, beim Eingangsapplaus leuchteten Frieden fordernde Simon-Boccanegra-Zitate auf dem Vorhang. „E vo gridando: pace“ – „Ich schreie: Frieden!“. Politik ist in Italien auch unter fremden Sitznachbarn kein Tabuthema, dafür bräuchte ich dann wahrscheinlich doch erstmal eine kurze Einführung ins italienischsprachige Alltagsgeplauder. Aber auch in der dritten Episode ist der Scala-Ring eine einzigartige Mailänder Wagner-Experience!
Nylund singt Vogt an die Wand
Angereist ist man ohnehin für die Oper, alles andere ist ja nur nebenbei. Musikalisch wurde der Abend wieder einmal zu einem glorreichen Gesangsfeuerwerk. Klaus Florian Vogt in der Titelrolle hinterlegte einen souveränen stimmlichen Triumphzug. Völlig furchtlos stand er vor dem hier als Riesenskelett auftretenden Fafner-Drachen, ähnlich unbeeindruckt der schwindelerregenden Spitzentönen dieser Rolle ritt er mühelos durch die Melodien und schien daran regelrecht Spaß zu haben. Im Gegensatz zur eher dunklen, von leichter Brutalität gefärbten Inszenierung sang er die fünfstündig Hammerpartie schlagkräftig triumphierend aber stets stimmlich gewaltfrei runter und erntete dafür zurecht fulminanten Applaus!

Fast hätte man gedacht, nach vier Stunden völlig umhauender Wagner-Magie könnte es nicht mehr besser werden. Doch dann erhob sich auf einem der vielen Felsen Camilla Nylunds göttliche Leuchtkraftstimme. Wie ein allmächtiges stimmlich wütendes Weib zog Brünnhilde den ganzen Saal in ihren musikalischen Bann. Den bislang musikalisch siegreichen Tenor forderte sie nochmal ordentlich heraus, ähnlich wie schon in Zürich konnte Siegfried nur noch wie ein Zwerg dem Felsen entgegenstaunen. Doch auch diese Herausforderung meisterte Herr Vogt mir Bravour, mit ihren allmächtig thronenden Stimmen zündeten beide nochmal emotional fulminanten Wagner-Turbo und saugte das Publikum in die Fluten ihrer Liebe!
Volle räumt auch als Wanderer ab
Michael Volles kraftvolle, runde Stimme stemmte auch den mit schwerem Schritt voranschreitenden Wanderer souverän und klar textverständlich in den Saal. Jede Silbe ließ er glasklar und unangefochten mächtig wie der Schlag seines donnernden Speers über Bühne und Orchester thronen. Sein allherrschend mächtiger Bariton hielt selbst gegen Siegfrieds furchtlos schwingenden Schwert stand, sein Speer allerdings nicht.

Olafur Sigurdarsons Alberich kämpfte mit röhrendem Bariton bis zum bitteren Ende um seine Chance auf den Ring. Den hat er zwar in der Handlung schon längst verloren, doch wollten sich auch seine dämonischen „Hahaha“ Rufe weder seinem gerade ermordeten Bruder noch dem stets schauenden Wanderer musikalisch unterwerfen. Sein nächster und letzter Versuch um die ruhmlose Macht wird nun Hagen heißen…

Wolfgang Ablinger-Sperrhacke trug auch die scherzhaft-ironische Seite des als böser, rothaariger Clown verkleideter Mime bestens über die Bühne, souverän sprang sein Charaktertenor durch die äußerst zwiespältige Rolle.
Einen besonders starken Abend hatte Francesca Aspromonte als Stimme des Waldvogels, federleicht und flockig klar flatterten ihre Melodien Siegfried entgegen. Einzig Christa Mayer stürzte sich mit leicht übereifrigem Vibrato in die Rolle der Erda, irgendwie schien sie mir das volle, umschwärmende Potential ihrer Rolle nicht gänzlich auszusingen. Unterm Strich lieferte sie trotzdem eine solide Leistung, das reicht.
Simone Young verzaubert das Waldweben
Zu den vielen Highlights des Abends zählte indessen die Orchesterleistung unter der Leitung von Simone Young. Die Chefin am Pult zeigte klar den Weg durch die Partitur, vor allem die sehr zahlreichen langsamen Stellen ließen die ganze Magie dieser Musik tief in die musikalische Seele strahlen. Im Waldweben saugten die schwebenden Hörner das Publikum in die Melodien dieser Musik, Siegfried ist eben nicht nur laut und viel mehr als nur Speere stechend! Ein paar sehr vereinzelte und mir unerklärliche Buh-Rufe wurden zurecht durch einen eifrigen Jubel überschattet.
Die Götterdämmerung kann nicht schnell genug kommen
Sehr differenziert aufgenommen wurde auch die äußerst gelungene Inszenierung von David McVicar. Man kann sich darüber streiten, ob Siegfried nun in der Musik wirklich so brutal dargestellt wird wie hier in der Anfangsszene, wo er seinen Ziehvater beinahe von einem Bär hätte auffressen lassen. Doch überzeugte diese klassische und aussagekräftige Inszenierung wie in den vorherigen Episoden auf ganzer Linie. Zwischen einer stets intakte Felsenlandschaft samt Schmiedhöhle und finsteren Waldbäumen schlüpften immer wieder clevere, die Handlung erklärende Einfälle herbei. Mit scharfem Messer stand Mime vor seinem Amboss, die tyrannischen Mordphantasien an Siegfried versteckte die Regie nicht im Libretto.
Mit einem sensationellen Siegfried setzt die Scala ihren triumphalen Ring-Zyklus fort. Leider muss die Mailänder Wagner-Community sich nun noch fast ein dreiviertel Jahr bis zur Götterdämmerung gedulden. Die Zeit ist eben ein sonderbar Ding…
Johannes Karl Fischer, 7. Juni 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Die Walküre Teatro alla Scala, Milano, 9. Februar 2025
Giuseppe Verdi, Falstaff Teatro alla Scala, Milano, 7. Februar 2025
Giuseppe Verdi, La forza del destino Teatro alla Scala, Milano, 7. Dezember 2024 Inaugurazione
Sängerisch wirklich großartig, Dirigat leider viel zu laut. Wer jemals Thielemann gehört hat, weiß, wie man unter dessen Absage leidet. Die Inszenierung bringt m.E. keine Verbesserung zum Cassirer-Ring. Wer weiß, welche Rolle die Regie bei Thielemanns Absage gespielt hat.
Clandt