Foto © Marco Borggreve
Richard Wagner, Tannhäuser
Musikalische Leitung Kirill Petrenko
Inszenierung, Bühne, Kostüme, Licht Romeo Castellucci
Hermann, Landgraf von Thüringen Georg Zeppenfeld
Tannhäuser Klaus Florian Vogt
Wolfram von Eschenbach Christian Gerhaher
Walther von der Vogelweide Dean Power
Biterolf Peter Lobert
Heinrich der Schreiber Ulrich Reß
Reinmar von Zweter Ralf Lukas
Elisabeth, Nichte des Landgrafen Anja Harteros
Venus Elena Pankratova
Ein junger Hirt Elsa Benoit
Vier Edelknaben
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
Bayerische Staatsoper, 8. Juni 2017
von Raphael Eckardt
„Es wird kein definiertes Ambiente geben, das man zeitlich oder räumlich verorten kann. Es werden Seelen-Landschaften sein.“
Mit dieser Aussage hat der italienische Regisseur Romeo Castellucci bereits im Programmheft der Neuinszenierung von Richard Wagners „Tannhäuser“ an der Bayerischen Staatsoper eine Schaustellung angekündigt, die in Fachkreisen mit Spannung erwartet wurde. Und da gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht: Die schlechte Nachricht ist, dass Casteluccis Seelen-Landschaft augenscheinlich einem kahlen Wüstengemälde irgendwo mitten im tristen, endlosen Nevada gleicht. Wüste und Wagner – das mag gut klingen, gut passen tut es leider nicht! Die gute Nachricht ist, dass Kirill Petrenko ein phantastischer Wagner-Interpret ist. Petrenko kann vieles – und vieles kann Petrenko sehr gut. Da weint man in der Kulturstadt München freilich bitterlich, wenn man daran denkt, dass dieser Mann ab 2018 nicht mehr im Süden Deutschlands, sondern in Berlin für große Momente sorgen wird: mit den Berliner Philharmonikern.
Musikalisch ist dieser „Tannhäuser“ wohl einer der besten aller Zeiten: Der Tenor Klaus Florian Vogt gilt als einer der besten Wagner-Interpreten unserer Zeit. An diesem Abend brilliert er als stimmgewaltiger Sänger Tannhäuser, der zusammen mit der großartigen Sopranistin Anja Harteros (Elisabeth) für Gänsehautmomente sorgt, die es so in München lange nicht gegeben hat.
Und dann ist da noch der Alleskönner Christian Gerhaher als Wolfram von Eschenbach. Der Bariton Gerhaher – was kann dieser Mann eigentlich nicht? Von famosen Schubertlieder-Darbietungen bis hin zu großartigem, unfassbar fein intoniertem und ausdrucksstarkem Operngesang. Dieser Mann ist die personifizierte Champions-League des deutschen Gesangs!
Anja Harteros verleiht Elisabeth an diesem Abend ein emotionales Momentum, das einzigartig ist. Da ziehen sich feine, goldfarbene Luftschlangen durch den Raum. Plötzlich winden sie sich zu einem Bündel, ja beinahe einer goldfarbenen Säule zusammen. Der Phönix hebt sich elegant umherschwingend aus der Asche empor. Harteros weiß, wie man Wagneropern Dramatik verleiht. Ihre jubelnden, präzise intonierten Höhen sind von unwahrscheinlich scharf glänzender Dramatik. Der Phönix bleibt seiner Gestalt nicht treu. Im auffallend langsamen Gebet der Elisabeth wird er wieder zu Staub und Asche – zu Goldstaub, der sich im Saal verteilt und langsam von der Empore regnet. Eine zauberhafte Sphäre macht sich da in der Oper breit. Ein glühendes, emotional geladenes Profil bleibt der Figur Elisabeth im Tannhäuser oft verwehrt. Harteros gelingt eine beeindruckende musikalische Charakterprofilierung. Da tut sich die Sängerin als Sternschnuppe des Abends hervor. Stets wandernd, mal verglühend, aber immer hervorstechend. Chapeau!
Klaus Florian Vogt wurde bei der Premiere anfängliche Nervosität vorgeworfen. An diesem Abend ist davon nichts zu hören! Bereits zu Beginn schmettert er einen gewaltigen, souveränen Tannhäuser hin. Mit ungeheurer Kondition vermag es Vogt in der gesamten Oper wie kein Zweiter, einzelnen Phrasen dezenten Nachdruck zu verleihen. Ja, da wird ein Katz- und Mausspiel auf der Bühne kreiert, das nur vom Gesang lebt. Vom Gesang einer Person! Phantastisch! Vogt ist der Marathonläufer unter den Wagnerinterpreten. Bis zum letzten Ton ist da eine durchdringende Energie im Saal, die wie eine Sonne über der Bayerischen Staatsoper schwebt. Alles glänzt, alles strahlt, im Himmel lacht der Komponist selbst. So gut hat er seinen Tannhäuser wohl all die Jahre nur selten gehört. Beim majestätischen „Erbarm dich mein“ hat man beinah den Eindruck, der himmlisch durchdringende Klang Vogts erfüllt ganz München mit engelsgleicher Atmosphäre.
Christian Gerhaher vollendet die musikalische Sternstunde dieses Abends durch eine fast unmenschliche Glanzleistung. Das „O du, mein holder Abendstern“ sticht besonders hervor. Das Kunstlied ist Gerhahers Paradedisziplin, und dabei deklassiert er alle anderen Musiker an diesem Abend. Da ist wieder der Romantiker zu spüren, der in Gerhaher schlummert, und der seine Schubertinterpretationen so fantastisch macht. Auf einer weißen Wolke schwebend kreiert er einen bunten Regenbogen, der jeden einzelnen Zuhörer in seinem tiefsten Inneren packt und ihn zu Tränen rührt. Das Publikum zückt kollektiv das Taschentuch, Gerhaher hat sich in den Herzen aller seinen eigenen Palast gebaut.
Im Finale glänzt er dann durch ein unerwartet großes Stimmvolumen, das sich als letztes, fehlendes Puzzlestück in die Darbietung von Harteros und Vogt einfügt. Sind die anderen Sänger an diesem Abend die Sterne, so ist Gerhaher der Kosmos. Er tut sich als der vielleicht beste Wolfram von Eschenbach aller Zeiten hervor. Grandios!
Nicht ganz so grandios ist leider die Inszenierung von Romeo Castellucci. Freilich, es ist erst seine zweite Wagner-Inszenierung, aber von einem Mann, der in Italiens Kulturhochburg Bologna Bühnenbild und Malerei studiert hat, hätte man doch ein wenig mehr erwartet. An diesem Abend spielt er mit großen Bildkompositionen. Viel Schwarz, viel Weiß, dazwischen ein wenig Blutrot. Beinahe teuflisch! Ja, da muss man sich über die zu Beginn aufgegriffene Aussage Castelluccis wundern. Eine seelenlose Seelen-Landschaft, eine steinige Wüste. Keine Emotionen, verbissene Trockenheit – das mag bei Castelluccis Inszenierung bei der Ruhrtriennale 2014 glänzend funktioniert haben. Nur stand da Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ auf dem Programm – und keine Wagneroper!
Die Venusgrotte Castelluccis mutet ein wenig teuflisch an. Da hat man beinahe das Gefühl, der Teufel und die Hölle hätten den letzten Funken visueller Schönheit an diesem Abend hungrig aufgefressen. Elena Pankratova sitzt als Venus auf einem Berg aus gammligen Eingeweiden. In sozialen Netzwerken kursierte unlängst ein Video, das einen im Schutzanzug eingekleideten Asiaten zeigt, der mit einem Speer auf einen toten Wal einsticht. Der Wal platzt, die Organe sprudeln heraus. Schauderhaft, ekelhaft, konturlos, verwaschen! Und jetzt stelle man sich vor, eine zauberhafte Sängerin sitzt auf diesem Haufen aus verwesenden Walorganen und streut goldfarbenen Puderstaub auf selbigen, um dessen grauenvolle Gestalt zu verdecken. Schadensbegrenzung! Aber Pankratova gelingt mehr als das. Ihre glasklare Engelsstimme siegt über das grässliche Schaubild. Auf einmal ist diese Schönheit zurück. Klare, explodierende und kunterbunte Klangfäden durchweben die Staatsoper. Wirklich, musikalisch ist dieser Abend ein Feuerwerk unter Sternenhimmel. Mein lieber Freund, sind diese Sänger gut!
Da mag es durchaus manchen Opernbesucher geben, der Castelluccis Inszenierung als innovativ bezeichnet. Weil der Italiener konsequent das Gegenteil von dem macht, was andere Regisseure vor ihm gezeichnet haben. Auf ein feingezeichnetes Gemälde von Franz Marc klebt Castellucci mit Tesafilm einen Siebdruck Andy Warhols. Warhol und Wagner klingt zwar wieder gut – passt aber wieder nicht. Beinahe satirisch wirkt Castelluccis Inszenierung. Das ist zwar lustig, nimmt Wagner aber seinen emotionalen Tiefgang. Und das ist gerade bei diesen brillanten Sängern so unfassbar schade!
Der „Tannhäuser“ lebt von emotionalen Wettstreiten. Aber wie soll eine Inszenierung emotional wirken, die seelenlos ist? Castelluccis Darstellung ist an diesem Abend zu steril. Dabei hat der Italiener noch großes Glück: Etliche Sänger wären in dieser staubtrockenen Atmosphäre an diesem Abend trotz Klasse verloren gewesen. Vogt, Harteros und Gerhaher sind es nicht! Weil ihre Darbietung keine Klasse hat, sondern Weltklasse!
Der Grad zwischen durchdachter Ironie und unfreiwilliger Komik ist schmal. Castellucci wandelt konsequent auf diesem Seil – um alle zwei Meter ungeschickt hinunterzufallen. Ein Beispiel: Der Tod ist bei seiner Inszenierung allgegenwärtig. Während der famos auftrumpfende Vogt als Tannhäuser dem brillanten Gerhaher als Wolfram von Eschenbach also von seiner Reise nach Rom erzählt, sind zwei Särge zu sehen. Im Hintergrund setzt sich ein Prozess der Verwesung in Gang. Gut gespielt, gut inszeniert. Ja, da können sie schon was in München! Aber was tut es zur Sache, dass auf den Särgen die Namen „Anja“ und „Klaus“ geschrieben stehen? Das ist keine gute Ironie. An dieser Stelle hätte sich Castellucci womöglich sogar retten können. Mit den Namen „Romeo“ und „Castellucci“ auf den Sarkophagen hätte man ein ironisches Momentum kreieren können, das einige Zuschauer von anschließenden „Buh“-Rufen eventuell hätte abhalten können.
Trotz alledem bleibt eine „Tannhäuser“-Darbietung in Erinnerung, die von außergewöhnlicher musikalischer Klasse war. Anja Harteros, Christian Gerhaher und Klaus Florian Vogt sorgen für eine musikalische Sternstunde in der Bayerischen Staatsoper! Nein, Sternstunde ist da noch untertrieben. An diesem Abend wurde ein neuer musikalischer Kosmos erschaffen, der Wagner in nie da gewesenem Licht glänzen ließ.
Raphael Eckardt, 9. Juni 2017 für
klassik-begeistert.de