Im Gegensatz zum Lohengrin, Parsifal oder Siegmund ist Tannhäuser kein unbefleckter Held, Vogts knabenhelles Timbre irritiert daher vor allem im Zusammenklang mit dem üppigen, sinnlichen und expansiven Mezzo von Tanja Ariane Baumgartner. Seine Stimme liegt aber immer sicher über dem Orchester, und nach dem seelischen Zusammenbruch gegen Ende des zweiten Aufzugs passt der helle Klang auch besser zum kindlich-reuigen Sünder.
Der sich verbeugende Klaus Florian Vogt (Tannhäuser) im Palmenhain (Foto: RW (c))
Staatsoper Hamburg, 24. April 2022 PREMIERE
Richard Wagner, Tannhäuser
von Dr. Ralf Wegner
Im Programmheft werden die Schwierigkeiten erwähnt, den Part des Tannhäuser zu singen. Der dort gelobte Hans Beirer (1969) verfügte zwar immer über die notwendige Kraft für diese Rolle, sein Gesang war aber stets von einem starken Tremolo beeinträchtigt. Ernst Kozub (1971) überwand nie seine hölzerne Darstellungsart, Günther Neumann (1994-96) beeindruckte weniger mit gesanglichem Wohlklang als mit außergewöhnlich überzeugender Darstellungskunst. John Treleaven (2002/07) sang gut, ebenso Peter Seiffert (2019 in Berlin), besser noch Stephen Gould (2007), während Lance Ryan 2014 gnadenlos unterging. Im Programmheft wird bezüglich des heutigen Tannhäuser Klaus Florian Vogt bereits eingeschränkt, dass er „mit seiner hellen, manchmal beinahe ins Knabenhaft changierenden Stimme nicht den üblichen Klangerwartungen an Wagners schwere Helden“ entspreche.
Denn im Gegensatz zum Lohengrin, Parsifal oder Siegmund ist Tannhäuser kein unbefleckter Held, Vogts knabenhelles Timbre irritiert daher vor allem im Zusammenklang mit dem üppigen, sinnlichen und expansiven Mezzo von Tanja Ariane Baumgartner. Vogts Stimme liegt aber immer sicher über dem Orchester, und nach dem seelischen Zusammenbruch gegen Ende des zweiten Aufzugs passt der helle Klang auch besser zum kindlich-reuigen Sünder. Tannhäusers Erbarme Dich mein-Rufe habe ich so deutlich und überzeugend noch nie gehört.
Georg Zeppenfeld sang, nach anfänglicher Höhenschwierigkeit, einen sonoren, balsamischen Landgrafen Hermann. Jennifer Holloway schien mir mit der Rolle der Elisabeth an ihre Grenzen gelangt zu sein. Ihr wenig farbreicher Sopran entwickelte in der Hallenarie kaum Strahlkraft, ihr Schlussgebet Allmächt’ge Jungfrau wurde von einem störenden Vibrato getrübt, auch fehlte es dem Vortrag an der notwendigen stimmlichen Wärme. Der Bariton Christoph Pohl sang einen ordentlichen Wolfram, mehr aber auch nicht. Beim Lied an den Abendstern fehlte es ihm an dem bei Rollenvorgängern an diesem Hause erlebten Schmelz in der Stimme.
Vorn das Inszenierungsteam, dahinter u.a. Georg Zeppenfeld (Landgraf Hermann), Jennifer Holloway (Elisabeth), Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Christoph Pohl (Wolfram von Eschenbach) und Tanja Ariane Baumgartner (Venus) (Foto: RW)
Was sagt uns der Tannhäuserstoff heute noch? Weder wird die sexuelle Lust tabuisiert, noch erwartet man Gnade aus Rom für irgendetwas Sündiges. Wie sollte also der Stoff in Szene gesetzt werden? Man kann eigentlich nur scheitern. Kornel Mundruczos Venusberg ist ein Aussteigercamp in einem üppigen Palmenhain; Monika Pormale schuf ihm ein beeindruckendes, grün überwuchertes Bühnenbild. Tannhäuser scheint mit Venus eine Familie gegründet zu haben, jedenfalls ist das Camp von mehreren Kindern und Jugendlichen bevölkert, die offensichtlich an ihrem Vater bzw. auch Stiefvater hängen. Tannhäuser hat sich offenbar um seine Familie verdient gemacht; Venus möchte den beliebten männlichen Part in ihrem Umfeld nicht verlieren. Dass Tannhäuser einem solchen Familienidyll entfliehen will, gehört wohl zu den unschönen, aber dennoch oft gehörten Verläufen einer Beziehung.
Wie passt das aber mit der älteren Elisabeth-Romanze zusammen? Was will Tannhäuser eigentlich von ihr? Und wieso hat sie auf ihn überhaupt so lange, gemessen an dem Alter der Kinder der Venus, gewartet? Es dürften wohl mehr als 10 Jahre vergangen sein. Hier gibt es einen gedanklichen Bruch in der Inszenierung; Tannhäuser wird auf der Wartburg zu Recht ausgegrenzt, denn er hat ja schon eine Familie; niemand duldet einen Bigamisten. Was bereut also Tannhäuser als Ausgegrenzter? Warum kehrt er nicht friedlich in sein trautes Palmencamp zurück? Zumal es dort schöner aussieht als in der Burg des Landgrafen, dessen Sitz nicht mal über eine richtige Halle, sondern allenfalls über ein größeres Zimmer verfügt.
Der technische Wandel vom Urwaldcamp zur Aue ist beeindruckend, die Schlingpflanzen werden in den Bühnenhimmel gezogen, der palmenbestandene Bühnenboden teilt und schiebt sich in die Seitenbühnen und gibt für das zweite Bild des ersten Aufzugs einer turmartigen Felsenlandschaft mit kleinem Wasserfall Raum. Für eine Halle war zwischen den Seitenbühnen-blockierenden Palmen und der offenbar auf der Hinterbühne untergebrachten Felslandschaft kein Platz mehr.
Der noch in der Vorgängerinszenierung von Harry Kupfer so eindrucksvolle Einzug der Gäste in eine große verspiegelte Halle verpuffte denn auch in dieser neuen Inszenierung mangels genügend Platz in dem mäßig großen Zimmer. Auch fiel der Gesangswettbewerb wegen des allgemeinen Gedränges fast nicht weiter auf. Später kommt hinter einem fallenden Wandbehang das Urwaldcamp zum Vorschein und Tannhäuser schwebt zeitweilig, hinten von einem Seil gehalten, etwas unmotiviert nach oben.
Der dritte Aufzug zeigt wieder den Felsen, der sich später nach hinten schiebt und die palmenbestandenen Seitenbühnen in die Bühnenmitte rücken lässt. An einer dieser Palmen stirbt Tannhäuser, seine Kinder schauen noch einmal nach ihm. Über dem Sterbenden erleuchtet die Palme, ihre Palmwedel senken sich und geben einen gelbglühenden Kolben frei, offenbar ein Symbol für den bei Wagner beschriebenen ergrünenden Priesterstab. Währenddessen betreten die männlichen Chorsänger den Zuschauerraum und verteilen sich in den Parkettseitengängen. Sie intonieren von dort aus beeindruckend stereophon den Schlussgesang. Das Ganze endete somit hochemotional, wohl auch gewollt nahe am Kitsch. Aber schön war dieses Ende doch.
Es gab großen Jubel für alle Protagonisten, vor allem für den Chor, einzelne Buhs für Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester, und zahlreiche Buhs für das inszenatorische Team. Warum eigentlich? Das wüsste ich gern. Denn nichts an dieser Aufführung war hässlich, ekelerregend oder anzüglich, und das will heute etwas heißen.
Dr. Ralf Wegner, 25. April 2022, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Richard Wagner, Tannhäuser, Staatsoper Hamburg, 24. April 2022 PREMIERE
Richard Wagner, Tannhäuser Bayreuther Festspiele, 27. Juli 2021
Richard Wagner, Tannhäuser, Bayerische Staatsoper, München, 5. Mai 2019
Man wird nicht zum Heldentenor, weil man Heldenpartien singt. Vogt, immer wieder als Heldentenor bezeichnet, ist mir, was die Stimmdisponenten und Besetzungschefs betrifft, ein Rätsel. Er klingt wie Magermilch, wenn auch klare.
Vogt ein Tannhäuser und in ähnlichen Rollen: für mich schmerzhaft, denn da
ist Wagner nicht mehr vorhanden.
Robert Forst