Foto: © Reinhard Winkler
Grandiose Neuinszenierung der Verdi-Oper im Musiktheater Linz
Musiktheater Linz, Großer Saal, 4. November 2017
Giuseppe Verdi, Rigoletto
Der Herzog von Mantua, Hyojong Kim
Rigoletto, sein Hofnarr, Federico Longhi
Gilda, dessen Tochter, Julia Sitkovetsky
Sparafucile, ein Bravo, Dominik Nekel
Maddalena, seine Schwester, Jessica Eccleston
Musikalische Leitung, Martin Braun
Inszenierung, Andreas Baesler
von Charles E. Ritterband
Der Herzog von Mantua (feinsinniger Tenor, wunderschöne Stimme: Hyonjong Kim) war, dank Perücke, unschwer zu identifizieren: Das war kein anderer als der amerikanische Präsident Donald Trump (beziehungsweise dessen Karikatur). Die strohblonde Trump-Perücke muss ein nachträglicher Regieeinfall („on second thought“ ) gewesen sein – im Programmheft jedenfalls trägt sie der Herzog noch nicht, vielleicht hat sie die Kostümwerkstatt auch nicht rechtzeitig fertiggestellt.
Konsequent versetzte Bühnenbildner Harald B. Thor die kühn aktualisierte Handlung von Giuseppe Verdis „Rigoletto“ im Musiktheater Linz in den New Yorker Trump Tower – ein überwältigend geschmackloser Raum mit bronzefarbenen Spiegeln und barocken Goldsesseln im Versailles-Look. Hervorragend durchdacht, klug detailreich und bisweilen hyperrealistisch die Regie von Andreas Baesler; präzise Personenführung und konsequente Einfälle – wie etwa Rigolettos verzweifelter Ausruf „Vendetta“, nachdem er seine geschändete Tochter (großer Blutfleck im Schritt) im Herzogspalast aufgefunden hatte: nicht einfach ins Publikum, sondern ins Telefon – als konkreter Auftrag an Sparafucile (ein Mann zum Fürchten, gruselig, stimmlich und schauspielerisch hervorragend).
Historische Ironie: Schauplatz des literarischen Vorbilds von Giuseppe Verdis „Rigoletto“, Victor Hugos „Le Roi s’amuse“, befand sich im „richtigen“ Paris im Louvre. Von da wanderte die Handlung ins italienische Mantua, in den (auch heute noch zu besichtigenden) gewaltigen Herzogspalast – und im Linzer Theater nach New York, an die 5th Avenue Nummer 725, in den 1983 fertiggestellten Trump Tower: „Symbol des amerikanischen Kommerzes“, wie das Programmheft erläutert.
Und nicht zufällig tragen im letzten Akt die Choristen goldene Masken: Gold regiert Amerika, Gold regiert die Welt, der Milliardär Trump hat die Macht ergriffen – und die Goldmasken machen blind für alles andere als Geld und Macht. Übrigens: Der vom Chor gesungene Sturm als Teil des Gewitters ist einer der großartigsten Ideen die je ein Opernkomponist hatte – und es ist eine meiner Lieblingsstellen jeglicher Oper. Dass dann die Choristen allerdings gleichsam als Statisten (oder vielleicht wie der Chor im Griechischen Theater) im Hintergrund die Garnitur machen während der so überaus intimen Szene zwischen dem entsetzten Rigoletto und der sterbenden Gilda, ist völlig überflüssig. Diese letzte Szene der Oper muss so überaus ergreifend bleiben wie sie vom Komponisten und dem Librettisten Francesco Maria Piave konzipiert war – sie verträgt nicht mehr als zwei Personen auf der Bühne, alles andere ist nur störend und irritiert.
Die Handlung spielt sich – hier kommt die alte Theaterregel „Einheit der Zeit und des Ortes“ zum Einsatz – ausschließlich im symbolreichen Trump Tower, dieser globalen Machtzentrale einer globalisierten Welt ab. Die Ballszene im 67. Stock, wie neben dem Lift in großen Lettern zu lesen ist – der Regisseur hat natürlich gut recherchiert, den 67. Stock gibt es im lediglich 58 Stockwerke hohen Trump Tower gar nicht, das war reine Prahlerei des Donald Trump, der seinem Turm mehr Stockwerke andichtete als er in Wirklichkeit hat. Aber es stimmt: Dort befinden sich Trumps Privatgemächer und dort feiert der Herzog seine wilden Sex-Exzesse. Kritik: Die Bühnenmusik bei dieser Szene war ganz eindeutig zu schwach, vor allem wenn man sich vorstellt, welche Lautstärkenpegel bei derartigen New Yorker High Society Parties die Norm sein müssen.
Hochintelligent auch Rigolettos Wohnung: Ein vom Boden bis zur Decke vergitterter Käfig, wie ein großer Tierzwinger, wo er Gilda (gesanglich wunderschön: Julia Sitkovetsky) mit einem Riesenhaufen schmuddeliger Plüschtiere eingesperrt hat – wie ein unmündiges Kleinkind oder, eben, ein Tier. Sparafucile, in dieser intelligenten Inszenierung nicht ein freischaffender Mörder, sondern der Hausmechaniker im Trump Tower (der als sadistisch anmutendes Mordinstrument einen kleinen Elektrobohrer produziert) und dingbarer Mörder quasi im Nebenberuf sowie dessen Schwester Maddalena (virtuos als Schauspielerin und Sängerin Jessica Eccleston), die im Trump-Tower als Putzfrau wirkt und sich als Prostituierte nebenberuflich ein Zugeld verdient: dieses Geschwisterpaar haust in der Tiefgarage des Trump Tower, Stockwerk Minus 1, gemeinsam mit einem Autowrack, das samt bunt blinkenden Disco-Lampen rhythmisch auf- und abspringt, wenn es zwischen Maddalena und dem Herzog zur Sache geht.
Diese letzte Szene, bei der uns leider die Blitze zu der von Verdi so phänomenal komponierten Gewittermusik zwangsläufig vorenthalten bleiben, weil sich das Ganze unterirdisch abspielt, ist vom Bühnenbild und der dichten, dramatischen Atmosphäre her überhaupt die allerbeste in dieser äußerst bemerkenswerten Inszenierung. Dass Gilda, die in diese Unterwelt eindringt, um dem geliebten Herzog das Leben zu retten, im Lift in den oberen Stock und ihrem mörderischen Ende entgegenfährt, ist nicht nur konsequent, sondern gleichzeitig in seinem Hyperrealismus grauenerregend und im Timing der Regieführung (in Koordination mit der dramatischen Musik Verdis zu diesem entsetzlichsten aller Opernmorde) absolut perfekt.
In diesem überaus anspruchsvollen Rahmen einer ebenso gewagt aktualisierten wie präzisen Inszenierung mit einem gewaltigen und dennoch alle Feinheiten zelebrierenden Orchester (Leitung: Martin Braun) behauptete sich der „Rigoletto“ von Federico Longhi als bewegende, stimmlich überragende Figur tadellos.
Der Journalist Dr. Charles E. Ritterband schreibt exklusiv für klassik-begeistert.at. Er war für die renommierte Neue Zürcher Zeitung (NZZ) Korrespondent in Jerusalem, London, Washington D.C. und Buenos Aires. Der gebürtige Schweizer lebt seit 2001 in Wien und war dort 12 Jahre lang Korrespondent für Österreich und Ungarn. Ritterband geht mit seinem Pudel Nando für die TV-Sendung „Des Pudels Kern“ auf dem Kultursender ORF III den Wiener Eigenheiten auf den Grund.
Danke für die anschauliche und Lust auf einen Besuch machende Besprechung. Andreas Baesler hat mich noch nie enttäuscht. Immer überraschend und intelligent unterhaltsam wie berührend!
Guido Müller
Ja, das ist wahr. Er hat hier in Linz zahlreiche spannende, unkonventionelle, aber immer das Werk erhellende Inszenierungen präsentiert. Unvergesslich sein „Falco“-„Don Giovanni“. Bin gespannt auf den neuen „Rigoletto“.
Email von „Leporello“ aus Ungarn