Rising Stars 59: Alexandra Dovgan, Klavier – ein Wunderkind verwandelt künstlerische Energie verlustfrei in musikalischen Ausdruck

Rising Stars 59: Alexandra Dovgan, Klavier  klassik-begeistert.de, 22. Mai 2025

Alexandra Dovgan © Vladimir Volkov

Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.

von Dr. Lorenz Kerscher

Schon seit einigen Jahren lese ich immer wieder begeisterte Rezensionen von Konzerten der inzwischen 17-jährigen russischen Pianistin Alexandra Dovgan. So war mir bald klar, dass man sie als Rising Star auf dem Radar haben muss. In ihrem Agenturprofil erfährt man, dass sie als Tochter zweier Berufsmusiker ab dem Alter von vier Jahren Klavierunterricht erhielt, als Fünfjährige die sehr selektive Aufnahmeprüfung der Academic Central Music School in Moskau bestand und dort bei Mira Marchenko studierte.
Bereits als 10-Jährige konnte sie fünf erste Preise bei internationalen Wettbewerben vorweisen. Es lassen sich bedeutende Konzertsäle aufzählen, in denen sie schon auftrat, und prominente Künstler und Orchester, mit denen sie schon zusammenwirkte. Aktuell lebt sie mit ihrer Familie in Málaga und studiert dort am Ateneo de Música y Danza.

Es ist auch eher nicht zu erwarten, dass sich über ein fleißiges Wunderkind eine detailreiche Biografie schreiben lässt. Vor allem gilt es also, ihre künstlerische Leistung auf sich wirken zu lassen, um sie angemessen würdigen zu können. Einen ersten Zugang und Beleg des außerordentlichen und vielseitigen Könnens von Alexandra Dovgan bietet das reichlich in YouTube verfügbare Material. Da kann man beispielsweise schon die Neunjährige für ihr technisch makelloses, filigranes, hochmusikalisches, stilsicheres und vor allem ausdrucksvolles Spiel bewundern.

Alexandra Dovgan (9 y.o.) 23.04.2017 „Astana piano passion 2017“ Semifinal, junior group

So beeindruckend ein wunderbar Klavier spielendes Kind im Video auch ist, brauchte ich doch eine konkretere Erfahrung, um den Wert dieser Nachwuchskünstlerin beschreiben zu können. Und diese bot sich mir am 14. Mai 2025 im nicht ganz ausverkauften Münchner Prinzregententheater, wo sie vor etwa 600 Besuchern ein Solokonzert gab. In einem einfach, aber elegant geschnittenen, hochgeschlossenen und ärmellosen Kleid kam sie auf die Bühne, die Haare wie auf dem oben gezeigten Bild glatt nach hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Es ist nichts an ihr, was irgendwie auf äußeren Effekt abzielt: kein Hairstyle, kein Makeup, kein knappes Glitzerkleid, in dem eine prominente Kollegin gerne viel Haut zeigt.

Die schlanke junge Frau nimmt hochkonzentriert am Klavier Platz, hält kurz inne und intoniert unaufdringlich die ersten Takte von Beethovens vorletzter Klaviersonate op. 110 in As-Dur. Mit leisen, differenzierten Tönen eröffnet sie das anspruchsvolle Werk. Im weiteren Verlauf bilden technisch höchst anspruchsvolle und makellos bewältigte Läufe und Arpeggien keinen Anlass für virtuose Selbstdarstellung, sondern den Hintergrund für Themen und rhythmische Elemente, die klar und transparent herausgearbeitet werden. Sehr deutlich kommt diese Tugend in der abschließenden Fuge zum Tragen, in der es die junge Künstlerin, wo angemessen, auch an kraftvollen Akzenten nicht fehlen lässt. Und am Ende bleibt der Eindruck, dass ihre Interpretation auch der Gesamtarchitektur des Werks sehr gut gerecht wird.

Auch von Robert Schumanns Sonate Nr. 2 nimmt der Zuhörer denselben Eindruck in die Pause mit, nachdem auch hier das dichte Gewebe atemberaubender Läufe kein Selbstzweck, sondern Beiwerk kühner musikalischer Entwicklung war. Zwischendurch bildete das Andante als ein „Lied ohne Worte“ einen reizvollen Ruhepol, dem sie innige Wirkung verlieh, bevor dann der Sturm im schnellsten Tempo weiterfegte.

Wiederum ein sehr gehaltvolles Werk stand dann mit César Francks Prélude, Choral und Fuge auf dem Programm und wieder agierte die technische Brillanz im Hintergrund und der Fokus lag auf der musikalischen Substanz. Alexandra Dovgan dosiert sehr genau die Mittel, die sie einsetzt, um die Musik zur Wirkung zu bringen. Sie braucht für eindrucksvolle musikalische Gestaltung keine Lautstärke und gewinnt auch dem Piano unendlich viele Nuancen ab. Umso unverbrauchter wirken dann die Steigerungen und kraftvollen Passagen, zu denen sich dieses emotionsgeladene Werk in seinem weiteren Verlauf aufschwingt.

Eine nochmals ganz anders gelagerte Aufgabe stellte sich die junge Künstlerin mit Sergej Prokofjews Sonate Nr. 2 op. 14. Es ist ein Werk voller plötzliches Wechsel und Kontraste zwischen kraftvoll treibenden und leisen, filigranen Passagen. Wieder gelingt es ihr, dies alles zu einer in sich stimmigen Gesamtarchitektur zusammenzufassen. Und wieder ist man beglückt, dass das ganz ohne beiläufige Theatralik gelingt, in einer ganz funktionalen aufrechten oder je nach Krafteinsatz auch leicht vorgebeugten Körperhaltung. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst und konzentriert, aber entspannt, da ist nicht die leiseste Koketterie zu bemerken. Doch diese hat sie auch nicht nötig, denn ihrer Kernkompetenz entsprechend bietet sie ehrliche musikalische Substanz. Und genau das wird am Ende des Konzerts mit Standing Ovations honoriert, die sie mit zurückhaltendem, fast schüchternem Lächeln entgegennimmt. Am Ende erklatscht das begeisterte Publikum drei Zugaben, die nochmals ihrem Sinn für die Lyrik filigraner Klanggewebe entgegenkommen: der Finalsatz von Beethovens Sturmsonate und (wenn ich richtig rate) ein Walzer sowie eine Mazurka von Chopin.

Am Ende ertappe ich mich bei dem Gedanken, dass ich noch selten eine so erwachsene Interpretin erlebt habe. Ich würde sagen, sie erfasst alles, was an Substanz in den interpretierten Werken steckt und verwandelt es zu 100 % in Klang, weil sie keinerlei Verluste durch Showeffekte zulässt. In Videos von Konzerten mit Orchester sieht man sie nicht ganz so introvertiert, da kommuniziert sie konzentriert und ganz im Sinne des bestmöglichen Zusammenspiels mit dem Dirigenten und den Musikern. Aber auch das ist Handwerk und keine Selbstdarstellung.

E. Grieg, Piano concerto a-moll, op. 16, Alexandra Dovgan, Gábor Takács-Nagy, Verbier, 03.08.2024

So komme ich also zu dem Fazit, dass der gute Ruf, der diesem Nachwuchstalent voraneilt, wirklich auf einer sehr soliden Basis steht. Und das ist neben Talent und Fleiß vor allem die Ehrlichkeit des Strebens, den dargebotenen Werken eine in allen Aspekten vollkommene Gestalt zu geben. Damit erscheint mir diese 17-Jährige um einiges reifer als so manche Erwachsene, die sich auf den Konzertpodien dieser Welt in Szene setzen. Sie weiß schon in so jungen Jahren, wie sie ihre Energie verlustfrei in die richtigen Bahnen lenkt!

Dr. Lorenz Kerscher, 22. Mai 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Dr. Lorenz Kerscher
„Musik ist Beziehungssache,“ so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“

Weiterführende Information:

Youtubekanal von Alexandra Dovgan

Agenturprofil bei Artists Management Company

Alexandra Dovgan in Wikipedia

Rising Stars 58: Serafina Starke, Sopran klassik-begeistert.de, 13. März 2025

Rising Stars 57: Anastasia Kobekina, Violoncello klassik-begeistert.de, 27. Februar 2025

Rising Stars 56: Nombulelo Yende, Sopran – von der großen Schwester inspiriert, findet sie ihren eigenen Weg klassik-begeistert.de, 22. August 2024

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert