Friederike Meinke © Dirk Weber
Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei Klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge SängerInnen, DirigentInnen und MusikerInnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
von Dr. Lorenz Kerscher
Auf vielversprechende Rising Stars werde ich meist aufmerksam, wenn ich sie live in Oper oder Konzert erlebe, oftmals auch durch vielfältig im Internet vorhandenes Videomaterial. Tipps von Freunden oder gemeinsame Auftritte mit mir schon bekannten Künstlerinnen und Künstlern spielen ebenfalls eine Rolle.
Dass eine hitzige Debatte über Bodyshaming mein Interesse weckt, ist dagegen ein bisher einmaliger Vorgang. Doch kürzlich verbreitete sich in meinem Facebook-Freundeskreis die Kunde, dass sich ein Rezensent abwertend zur körperlichen Erscheinung einer jungen Sopranistin geäußert hatte und dem Herausgeber der Internetplattform das Verfechten journalistischer Freiheit wichtiger war als ein versöhnlicher Ausgang der Diskussion, die inzwischen weite Kreise gezogen hatte.
Anstatt diese befremdliche Angelegenheit weiter zu vertiefen, möchte ich darauf verweisen, dass man sich darüber bei BR Klassik informieren kann.
Auch wenn heute der Zeitgeist ein magersüchtiges Schönheitsideal verherrlicht und manche Regisseure für die Umsetzung ihrer Ideen lieber Turnerinnen als Sängerinnen engagieren würden, sollte doch nicht der Body Mass Index, sondern die Qualität der Gesangskunst das entscheidende Kriterium bei der Bewertung künstlerischer Leistung und bei der Besetzung großer Rollen in Oper und Operette sein.
Dass man Friederike Meinke an der Musikalischen Komödie Leipzig die Eurydike in Offenbachs Orpheus in der Unterwelt anvertraute, war also ziemlich sicher ihrem Können geschuldet, zumal sie in zahlreichen Rezensionen auch großes Lob für ihren Gesang und ihr Spiel erhielt. Also wollte ich mir eine eigene Meinung bilden. Ich fand im Internet nicht allzu viel Material, es waren überwiegend Bewerbungsvideos, die ihren Start in die Solokarriere vorbereitet hatten.
Ihr Grundkapital ist eine durch alle Register substanzreiche Stimme mit angenehmem Timbre, die ebenso Kraft entfalten wie auch schwindelerregende Koloraturen mit großer Leichtigkeit zaubern kann. Sie intoniert sehr präzise und lässt es an deutlicher Artikulation der Konsonanten nicht fehlen.
Die von Bernsteins Bravourarie geforderten nahtlosen Übergänge zu Sprechgesang oder Klagelauten gelingen ihr ganz selbstverständlich, und mit Charme und überzeugender Ausstrahlung kann sie jedes Wechselspiel der Gefühle beglaubigen. Um dies zu bekräftigen, weist sie nach, dass sie auch die Koloraturen der Königin der Nacht energiegeladen in den Raum schleudern kann und damit die Wut dieser Bühnengestalt geradezu furchteinflößend wirken lässt.
Geboren wurde Friederike Meinke 1993 in Halberstadt als Tochter einer Opernchorsängerin und eines Posaunisten. Seit dem Alter von fünf Jahren trat sie mit dem Kinderchor der heimatlichen Bühne auf und wirkte später im Extrachor mit. Bereits mit 16 Jahren stellte sie am Nordharzer Städtebundtheater die Barbarina in Le nozze di Figaro dar. Nach ihrem Abitur studierte sie ab 2012 in Dresden Gesang, wechselte 2014 nach Leipzig in die Gesangsklasse von Roland Schubert und wirkte dort 2018 bei einer Hochschulproduktion als Eliza in My Fair Lady mit.
Von 2016 bis 2023 hatte sie ein festes Engagement im Opernchor der Komischen Oper Berlin und trat dabei auch in kleinen Rollen solistisch auf. Ganz in den Fußstapfen Ihrer Mutter hatte sie damit ein sicheres Auskommen in einem Wirkungskreis, in dem das Erscheinungsbild der Mitwirkenden nicht so sehr zur Diskussion steht. Doch in der Vorahnung, dass sich noch andere Möglichkeiten eröffnen würden, nahm sie 2022 am Bundeswettbewerb Gesang teil und gewann mit einer fulminanten Darbietung den dritten Preis.
Vielleicht war es dieser Erfolg, der sie motivierte, ihre Chancen auf ein Soloengagement auszuloten. Dazu schrieb sie in Instagram:
„2023 habe ich es gewagt und mein Leben komplett geändert. Bin durch ganz Deutschland (und Österreich) gefahren, habe an Theatern vorgesungen, um mir einen kleinen (großen) Traum zu erfüllen. Habe dann meinen sicheren Job gekündigt, bin in eine neue Stadt gezogen und habe ganz neu angefangen.“
Seit Jahresbeginn 2014 ist sie nun Solistin an der als Sparte für Operette und Musical zur Oper Leipzig gehörenden Musikalischen Komödie. Und schon mit ihrem Einstand als Rosalinde in der Fledermaus begeisterte sie viele Zuschauer und Rezensenten. So lässt der Bericht in Das Opernmagazin verlauten: „Meinkes Darbietung von Rosalindes Csárdás im zweiten Akt („Klänge der Heimat“), als ungarische Gräfin verkleidet, wurde mit tosendem Ovationen bedacht.“ Dass es ihr an Bühnenpräsenz wahrlich nicht fehlt, lassen auch die Videoschnipsel des von der Musikalischen Komödie veröffentlichten Probeneinblicks deutlich erkennen. Letztendlich kann sie auf ihrer Homepage ein halbes Dutzend überschwänglich lobender Kritikerstimmen alleine zu diesem Debüt zitieren.
Auch ihre im Mai 2025 zum Bühnenleben erweckte Eurydike erfuhr nicht nur die eingangs erwähnte Abwertung, sondern vor allem positive Resonanz. Die Rezension in concerti würdigt ihre Leistung bei aller journalistischen Freiheit mit angemessener Wortwahl: „… Schnell wird klar, dass Friederike Meinke als Eurydike hier in Wahrheit die erste Geige spielt. […] Sie ist eine Frau mit Selbstbewusstsein, voll im Saft ihrer besten Jahre, eine, die sich kein Schlankheitsideal einreden lässt, sondern stolz jedes einzelne Pfund ihrer Figur zu seinem Recht kommen lässt. Das funktioniert auf Erden und in der Hölle ganz fabelhaft. Meinke ist aber nicht nur mit ihrer barocken Präsenz, sondern auch vokal eine Stütze dieses durchweg äußerst spielfreudigen Ensembles.“ Diese vom Kostüm überbetonte Art des Auftretens war vom Regiekonzept beabsichtigt und kann der Darstellerin deshalb auch nicht angelastet werden!
So hat Friederike Meinke in gerade eineinhalb Jahren solistischen Wirkens schon gezeigt, wie sich ihre hervorragenden stimmlichen Möglichkeiten mit einer authentischen, über die Kleinlichkeit des Zeitgeistes triumphierenden Präsenz verbinden lassen. Zahlreiche Fans, die sich während der gerade überstandenen Bodyshamingdebatte auf ihre Seite geschlagen haben, freuen sich schon auf kommende Debüts an der Musikalischen Komödie, etwa als Sylva in Kálmáns Czárdásfürstin oder Marie in Lortzings Waffenschmied.
Sie kann ohne weiteres als eine schöne Erscheinung auf die Bühne treten – sofern Regiekonzept und Kostümbildner das so wollen. Weiterhin ist mein Eindruck, dass ihre Stimme Potential für ein breites Repertoire vom lyrischen Fach bis hin zum dramatischen Koloratursopran hat und damit auch für anderen Häuser und Festivals interessant sein sollte. Nicht alle Bühnencharaktere müssen an Schwindsucht sterben, der Zuschauer erfreut sich auch gerne an standfesten Persönlichkeiten. So wage ich die Prognose, dass der Wirkungskreis von „Leipzigs neuem Sopranwunder“, wie sie ein Rezensent nannte, sich stetig erweitern wird.
Dr. Lorenz Kerscher, 12. Juni 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Weiterführende Information:
YouTube-Kanal von Friederike Meinke
Friederike Meinke in Wikipedia
Rising Stars 59: Alexandra Dovgan, Klavier klassik-begeistert.de, 22. Mai 2025
Rising Stars 58: Serafina Starke, Sopran klassik-begeistert.de, 13. März 2025
Rising Stars 57: Anastasia Kobekina, Violoncello klassik-begeistert.de, 27. Februar 2025