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Die Entwicklung und Karriere vielversprechender NachwuchskünstlerInnen übt eine unvergleichliche Faszination aus. Es lohnt sich dabei zu sein, wenn herausragende Talente die Leiter Stufe um Stufe hochsteigen, sich weiterentwickeln und ihr Publikum immer wieder von neuem mit Sternstunden überraschen. Wir stellen Ihnen bei klassik-begeistert jeden zweiten Donnerstag diese Rising Stars vor: junge Sängerinnen, Dirigentinnen und Musikerinnen mit sehr großen Begabungen, außergewöhnlichem Potenzial und ganz viel Herzblut sowie Charisma.
von Dr. Lorenz Kerscher
Beim ARD-Musikwettbewerbs 2024 beeindruckte mich im Finale Gesang vor allem die noch sehr jugendlich wirkende russische Sopranistin Mira Alkhovik durch eine substanzreiche Stimme und ein vielseitiges Ausdrucksspektrum. Einem Artikel über sie in der Cyclopedia, dem von westlichen Einflüssen abgeschotteten russischen Konkurrenzprojekt zur Wikipedia, entnehme ich, dass sie da gerade 27 Jahre alt war. Da sie erst seit kurzer Zeit in der Öffentlichkeit auftritt, war sie mir noch völlig unbekannt. Doch allein schon ihre Arie der Leila aus Bizets Perlenfischern zeigte mir, dass sie wirklich alles hat, was man sich im lyrischen Sopranfach nur wünschen kann.
ARD Competition – Mira Alkhovik, G. Bizet “Me voilà seule… Comme autrefois”
Mit ihrem vollen und eher dunklen Timbre gefällt mir die Stimme sehr gut, sie wirkt im gesamten Tonumfang mühelos und kann Kraft entfalten, ohne schrill zu werden. Ihr dezenter, mädchenhafter Charme passt gut zu dieser Arie voller Liebessehnsucht. Intonation wie auch Rhythmus sind sehr präzise, der französische Text ist gut verständlich, die Melodie bringt sie in schönstem Legato zur Geltung. Schließlich beeindruckt auch ihre ausgesprochen substanzreiche und gut tragende tiefe Lage, wie man sie bei einer so jungen Sopranistin nicht unbedingt voraussetzen kann. So konnte sie im Wettbewerb auch Dido’s Lament aus Purcells Dido and Aeneas, das sonst meist von Mezzosopranen vorgetragen wird, sehr ausdrucksstark darbieten.
ARD Competition – Mira Alkhovik, H. Purcell “When I am laid in earth”
Die im Wettbewerb geforderte Vielseitigkeit wies sie Opernarien aus vier Jahrhunderten und daneben auch mit den in der Zwischenrunde geforderten Liedinterpretationen nach. Dass sie ein Jahr vorher in einer Meisterklasse mit Thomas Hampson an einem Lied von Anton Webern gearbeitet hatte, kam ihr dabei sicherlich zu Gute. Tatsächlich ist ihr das klassische Lied ein so wichtiges Anliegen, dass sie mit Falling for Love (2023) and Catalan melodies (2024) schon zwei Lied-CDs veröffentlicht hat (Links sind zum Nachhören in YouTube). So hat sie in diesem Genre schon ein hohes Niveau erreicht und achtet dabei auch in besonderem Maße auf Textverständlichkeit.
ARD Competition – Mira Alkhovik – F. Schubert “Suleika”
Die Jury des ARD-Musikwettbewerbs sprach ihr am Ende den 3. Preis und den Sonderpreis für zeitgenössische Liedinterpretation zu, und man kann sicher davon ausgehen, dass sie mit diesem Ergebnis von Besetzungsbüros und Veranstaltern wahrgenommen wurde. Auch war dies nicht ihr einziger Wettbewerbserfolg, ihre Homepage listet ein halbes Dutzend Preise auf, die sie seit 2021 errungen hat.
Geboren wurde Mira Vladimirovna Alkhovik 1997 in Sankt Petersburg und lernte seit dem Alter von sechs Jahren Geige. Als Elfjährige stand sie erstmals als Mitwirkende im Kinderchor auf der Opernbühne. Mit ihrem Eintritt in das Konservatorium ihrer Heimatstadt in 2017 rückte dann der Gesang in den Mittelpunkt. Doch auch der Geige blieb sie treu und nahm sie gelegentlich auch zu ihren Gesangsauftritten mit. Im fünften Jahr ihres Studiums gastierte sie ein Semester lang an der Kunstuniversität Graz und arbeitete mit Elena Pankratova. Anschließend studierte sie Operngesang an der Hochschule der Künste Bern bei Malin Hartelius und erlangte 2024 den Mastertitel mit Auszeichnung. Durch die Mitwirkung in dem dieser Akademie angeschlossenen Schweizer Opernstudio kam sie dann auch zu Auftritten an Spielstätten im Umland. Pamina in der Zauberflöte, Amor in Orpheus und Eurydice, Anna in Nabucco und Donna Anna in Don Giovanni waren die ersten attraktiven Aufgaben.
2024 markierte auch den Beginn ihres internationalen Wirkens. Sogleich führte sie ein weiter Sprung über den „großen Teich“ als Mimì in La Bohème nach Montevideo ins Teatro Solís. Anschließend wurde sie Mitglied im Opernstudio der Wiener Volksoper. Mit dem Taumännchen in Hänsel und Gretel, Yvette in La Rondine, Barbarina in Don Giovanni und Micaëla in Carmen brachte sie seither Rollen von zunehmender Bedeutung auf die Bühne. Für nächstes Jahr stehen dort noch die Gretel und das anspruchsvolle Debüt als Vitellia in La clemenza di Tito auf dem Spielplan.
Mit welcher Energie Mira Alkhovik jetzt aus den Startlöchern kommt, hat sie im August 2025 auch mit ihrem Debüt als Tatjana in Eugen Onegin beim Verbier-Festival gezeigt. Da erlebte man sie mit überzeugender Bühnenpräsenz und einzigartigen stimmlichen Möglichkeiten, die der anspruchsvollen Rolle voll und ganz gerecht wurden.
Mira Alkhovik, Anton Beliaev – Final Scene from Eugene Onegin by Tchaikovsky
Ich denke, dieser Erfolg verheißt das Beste für die Zukunft der jungen Künstlerin, die ich als ein außergewöhnliches Talent mit vielfältigen Entwicklungsmöglichkeiten einschätze. Ich glaube daran, dass sie in den nächsten Jahren an bedeutenden Häusern Engagements erhalten wird, an denen sie weiter wachsen kann. Und ich freue mich sehr darauf, diese Entwicklung mitzuerleben!
Dr. Lorenz Kerscher, 9. November 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Dr. Lorenz Kerscher
„Musik ist Beziehungssache,“ so lautet mein Credo. Deshalb bin ich auch als Chorsänger aktiv und treffe mich gerne mit Freunden zur Hausmusik. Eine neue Dimension der Gemeinsamkeit eröffnet sich durch die Präsenz vieler, vor allem junger Künstler im Internet, wo man Interessantes über ihre Entwicklung erfährt, Anregungen zur Entdeckung von musikalischem Neuland bekommt und auch in persönlichen Kontakt treten kann. Man ist dann kein Fremder mehr, wenn man ihnen als Autogrammjäger begegnet oder sie sogar bei einem Konzertbesuch im Publikum trifft. Das ist eine schöne Basis, um mit Begeisterung die Karrieren vielversprechender Nachwuchskünstler mitzuerleben und bei Gelegenheit auch durch Publikationen zu unterstützen.“
Weiterführende Information:
Youtube-Kanal von Mira Alkhovik
Rising Stars 60: Friederike Meinke, Sopran klassik-begeistert.de, 12. Juni 2025
Rising Stars 59: Alexandra Dovgan, Klavier klassik-begeistert.de, 22. Mai 2025
Rising Stars 58: Serafina Starke, Sopran klassik-begeistert.de, 13. März 2025