Tobias Kratzer zündet den Hamburger Opernjubel

Robert Schumann, Das Paradies und die Peri  Hamburgische Staatsoper,  27. September 2025, PREMIERE

HSO Das Paradies und die Peri – Kai Kluge, Ivan Borodulin, Vera Lotte Boecker © Monika Rittershaus

Das Paradies und die Peri
Musik von Robert Schumann

Libretto von Emil Flechsig nach Thomas Moore

Hamburgische Staatsoper,  27. September 2025, PREMIERE

Zu Beginn seiner Hamburg-Ära stellt Tobias Kratzer mit einer genialen und wegweisenden Oratoriumsinszenierung samt rein inszenierten Buh-Rufen die Opernwelt auf dem Kopf! Auch die musikalischen Leistungen des Abends rechtfertigen die stehenden Ovationen. 

von Johannes Karl Fischer

Kaum war der letzte Akkord im Graben verklungen, schossen die ersten Zuschauer wie eine Mondrakete aus ihren Sitzen und eröffneten so die stehenden Ovationen für die erste Aufführung der Hamburgischen Staatsoper unter ihrem neuen Intendanten Tobias Kratzer.

Lange Zeit hielt ich das hiesige Publikum nicht zu solchen begeisterten Jubelstürmen fähig – Anekdoten aus der Hochzeit dieses Hauses schienen meinen Verdacht zu bestätigen. Und dann stand heute mit Robert Schumanns „Das Paradies und die Peri“ auch nun wirklich nicht das spannendste Werk der Opern- – Entschuldigung, Oratoriumsgeschichte – auf dem Programm.

Zugegeben, auch diese genialste und wegweisend publikumskritischste aller Kratzer-Regien erhob Schumanns kompositorisch eher mittelmäßiges Werk kaum aus dem Schatten einer Strauss- oder Schostakowitsch-Oper. Die brauchte Herr Kratzer aber auch nicht. Allein schon die auf die Bühne projizierten Live-Zuschauerblicke, noch bevor das Orchester zu spielen begann, waren bei weitem aussagekräftiger als viele Inszenierungen dieses Hauses im Verlauf einer mehrstündigen Oper. Die Bühne blickt zurück, das gilt umso mehr mit den Worten „Heilig’ ist das Blut.“ Na, wer im Publikum weiß denn, was hier gesungen wird?

HSO Das Paradies und die Peri, Vera Lotte Boecker © Monika Rittershaus

Buh-Ruferin als Teil der Inszenierung

Der wohl genialste Moment des Abends entfaltete sich, als im ersten Teil mitten im Parkett eine Frau sich aus ihrem Sitz erhob und laut zu buhen begann. „Sowas gehört nicht in die Oper!“ Polternd stürmte sie aus dem Saal. Hat’s die konservative Fraktion des Hamburger Publikums vielleicht schon satt? Nein, die Kamera folgte natürlich jedem Handumdrehen dieser Publikumsstörerin, alles Teil der Inszenierung. Die Oper lebt, die Oper bebt, als würde man hier eine Neuauflage des Wiener Watschenkonzerts 1913 miterleben!

Auf der sehr weißen Bühne selbst passierte nicht viel, die Verlegung der Oratoriumshandlung ins Pandemie-Zeitalter wird wahrscheinlich kaum für Diskussionsstoff sorgen. Umso spektakulärer war das konstante durchbrechen der vierten Wand. Herr Kratzers Regie gibt dem Musiktheater neuen Sinn, hier werden nicht die gleichen alten Handlungen zum was-weiß-ich-wie-viel-tausendsten Mal wieder erzählt, stattdessen das Publikum mit lebendigen Theaterthemen und unbequemen Fragen konfrontiert!

HSO Das Paradies und die Peri Kinderkomparse, Vera Lotte Boecker © Monika Rittershaus

Kai Kluge mit heldenhafter Tenor-Leistung

Musikalisch trug vor allem der Tenor Kai Kluge den Abend auf seinen Schultern. Mit klarer, heldenhafter Stimme kämpfte er souverän für jede seiner Noten und setzte seine Melodien punktpräzise in den Saal. Sein Gesang strahlte mühelos doch kraftvoll in alle Ecken des Hauses, dieser Tenor wäre sicherlich ein starker Kandidat für größere Partien.

HSO Das Paradies und die Peri Kai Kluge, Christoph Pohl, Vera Lotte Boecker, Lunga Eric Hallam © Monika Rittershaus

Vera-Lotte Boecker sang die Titelpartie der Peri ausdrucksvoll und ergriff mit emotionaler Stimme die Ohren und Herzen des Publikums. Ihre Melodien segelten sanft und mit viel Liebe zur Musik über das Orchester, im blutbeschmierten Kostüm singend verkörperte sie mit innigem Sopran die ganzen Gefühle dieser mitleidenswerten Figur.

HSO Das Paradies und die Peri, E. Boom, K. Evanyshyn, Ch. Pohl, K. Kluge, Vera Lotte Boecker, I. Borodulin, A. Schlicht, L. Hallam © Monika Rittershaus

Auch Christoph Pohl sang einen glanzvollen Bariton mit der expressiven Lyrik seiner Oratorienrolle, allerdings resonierte bei ihm stets ein leicht raues Dauervibrato in der Stimme… vielleicht liegt ihm die eine oder andere Opernrolle ein wenig besser.

In der Engelpartie hatte man den Coutertenor Ivan Borodulin eingesetzt, all meiner Skepsis gegenüber dieser Stimmlage zu Trotz brachte er seine Melodien mühelos und souverän zum Klingen und schwebte stimmlich wie schwerelos in den musikalischen Höhen.

Kady Evanyshyn und Annika Schlicht fügten sich mit äußerst farbenfrohem Mezzo bestens in das harmonisch singende Solisten-Ensemble hinein. Insgesamt waren die Gesangsbesetzungen für das Werk zwar mehr denn ausreichend, so wirklich umgehauen haben sie einen jetzt aber auch nicht wirklich. Fraglich allerdings, ob in diesem Oratorium wirklich so viel mehr drin gewesen wäre.

Wellber lässt die Schumann-Partitur leben

Ein besonderes Lob des Abends ging indessen an den neuen Generalmusikdirektor des Hauses, Omer Meir Wellber. Vom ersten Takt an zauberte er einen satten, seelisch schwingenden Orchesterklang aus dem Graben und ließ die Schumann’sche Begleitung mit seinen fast über die Grabenbrüstung durch die Partitur rührenden Händen souverän durch den Saal schreiten. Auch der Chor lieferte eine mindestens solide Leistung und ließ insbesondere den Schlusschor prachtvoll durch den Saal schallen.

Mit diesem regietechnischen Paradies-und-die-Peri-Paukenschlag startet Tobias Kratzer seine Hamburg-Ära und legt gleich zu Beginn deutlich seine eigene Handschrift auf dieses Haus. Jetzt wird’s spannend… können diese Publikumsblicke auch beim zweiten, beim dritten und beim vierundzwanzigsten Mal für genauso viel Begeisterung sorgen wie bei der Premiere? Tritt die Buh-Ruferin überhaupt ein zweites Mal auf?

Johannes Karl Fischer, 27. September 2025 für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Robert Schumann Das Paradies und die Peri Hamburgischen Staatsoper, 27. September 2025 Premiere

Robert Schumann, Das Paradies und die Peri Musikverein, Wien, 30. Mai 2025

Robert Schumann, Das Paradies und die Peri, ensemble reflektor, Chor St. Michaelis Elbphilharmonie Hamburg, 10. Juni 2024

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