Foto: Thomas Egli (c)
Staatsoper Hamburg, 28. Oktober 2018, Premiere
Robert Schumann (Musik), Johann Wolfgang von Goethe (Text), Szenen aus Goethes Faust
Wunderbar, Yes, Ja! Klassik-begeistert.de empfiehlt nach der Premiere der „Szenen aus Goethes Faust“: Schauen und vor allem hören Sie sich diese Oper unbedingt an – im Haus an der Dammtorstraße!
Es gab keine Buhs – für niemanden. Es gab höflichen, hanseatischen Applaus für alle Beteiligten. Nichts Besonderes, eher ein bisschen lau, recht reserviert. Aber positiv, freundlich, wohlwollend.
Klassik-begeistert.de sieht dieses Werk deutlich euphorischer als der Großteil des Premierenpublikums: Die Musik von Robert Schumann ist göttlich, die Vorspiele sind eine Offenbarung, die Instrumentierung immer wieder zauberhaft und stets hochromantisch.
Und dann die Solopartien, die Chorpassagen. Das ist hinreißende, packende, traumhaft schöne Musik, die einen vollkommen im Hier und Jetzt des etwas biederen Runds der Staatsoper Hamburg sein lässt.
Ja, und dann waren dort drei Sänger, die in dieser Masse und Güte eher selten im Haus an der Dammtorstraße auftreten.
Number one: Der beste auf Deutsch singende Bariton der Welt, Christian Gerhaher. Was er als Faust an Gefühl, an Hingabe, an Devotion, an Facettenreichtum, an Fülle und klanglicher Breite darbot, war zum Niederknien schön. Das war wunderbar, Herr Gerhaher! Sie sind ein wahrer Künstler, Sie vermögen es auch noch im Liegen voll, plastisch und mit feinstem Timbre zu singen. Dass Sie in der schönsten Arie des Stücks zum Schluss ein wenig schwächelten, vor allem im höheren Register, war menschlich und gedenk der famosen, gefühlvoll-vereinnehmenden Leistung zuvor kein Minus auf ihrem Sängerkonto. Weltklasse!
Ein ganz bezauberndes Timbre, eine knisternde Strahlkraft und ganz viel Wohlfühlgefühl verbreitete der wunderbare Sopran der Niederösterreicherin Christina Gansch als Gretchen. Diese Sängerin hat mit ihren 28 Jahren schon jetzt ein frauliches Appeal in ihrer Stimme, nach dem andere Sängerinnen noch viele Jahre suchen. Christina Gansch gehört die Zukunft – von ihr werden wir noch viel Schönes hören. Weltklasse.
„Sehr gut mit Stern“ war der Mephisto des deutschen Basses Franz-Josef Selig, 56. Das war wirklich sehr schön profund, viril und männlich-diabolisch, was der aus Mayen stammende Sänger darbot. So hört sich ein guter Teufel an.
Sonst gab es aber auch Mittelmaß – wie so oft – im Haus an der Dammtorstraße: Viele Stimmen waren solide, aber nicht gut und schon gar nicht sehr gut besetzt. Der Chor der Staatsoper Hamburg bot eine passable, aber keine der Musik angemessene packende Leistung. Der Stimmenoutput dieses Klangkörpers ist viel zu gering – vergleicht man ihn etwa mit dem viel kleineren Arnold Schönberg Chor in Wien, wo 25 Sänger meist das abliefern, was 70 Hamburg-Opernsänger zu leisten vermögen. Die gedämpfte Chor-Performance bei der Premiere könnte aber auch durch einen von der Inszenierung vorgeschriebenen Vorhang verstärkt worden sein, hinter dem der Chor – viel zu weit vom Bühnenrand entfernt – singen musste.
Ja, und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg war einmal wieder solide, in weiten Passagen gut – aber nicht zwingend packend oder gar einnehmend. Man hat bei diesem Klangkörper immer wieder das Gefühl, viele Musiker spielten mit angezogener Handbremse. Und überprobt hatte Generalmusikdirektor Kent Nagano das Stück sicher nicht . Davon zeugten – wie so oft – zahlreiche Individualfehler der Musiker. Vor allem einige Hörner spielten nicht immer auf den Punkt genau.
Mr. Nagano, Sie sollten mit Ihrem Orchester und vor allem Ihren Hörnern einmal einen Betriebsausflug in die Elbphilharmonie machen. Dort konnte man zum Beispiel am Montagabend deutlich hören, dass die jungen (20 – 24 Jahre alten) Musiker des I,CULTURE Orchestra – sie stammen aus sieben osteuropäischen Ländern – weniger Fehler machen und mit VIEL mehr Hingabe musizieren als die gut bezahlten, nach Gewerkschaftsvorgaben musizierenden Musiker des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg – und das bei technisch viel anspruchsvolleren Werken wie Le Sacre du Printemps von Igor Strawinsky. Mr. Nagano, Sie hätten sicher auch gehört, dass in diesem jungen Klangkörper deutlich bessere Hornisten musizieren als im Klangkörper der Staatsoper der zweitgrößten deutschen Stadt. Für klassik-begeistert.de ist dies ein nicht hinnehmbarer Zustand – immer wieder werden Opern und Konzerte von einigen Ihrer Hornisten verschandelt – vor allem wenn die 2. und 3. Formation spielt.
Und dann müssen wir leider noch einen TOTALausfall vermerken. Was der österreichische Tenor Norbert Ernst, 40, ablieferte, glich dem stimmlichen Elaborat aus einem Falschtonkabinett. Der Wiener sang als Ensemblemitglied der großartigen Wiener Staatsoper unzählige Töne daneben und schräg an – manche Töne erklangen mehr als einen Ton daneben. Kannte der Sänger sein übersichtliches Stück nicht? Hatte er zu wenig geprobt? War er an diesem Tag VOLLKOMMEN außer Form? Es klang für geübte Hörer eher so, dass dieser Sänger immense Probleme hat, die Töne zu halten und richtig anzusingen – vor allem dann, wenn er nicht im Tutti singt. Vom Timbre wollen wir gar nicht sprechen: Es war brüchig, alt, unrund und klang unangenehm im Ohr. Schloss man die Augen, dachte man, da singe ein 75 Jahre alter Tenor. Placido Domino ist älter und singt – als Bariton mittlerweile – um Galaxien besser.
Liebe Verantworliche der Staatsoper Hamburg: Wie kann so ein Sänger zu so einer Premiere eingeladen werden? Ist er vorher nicht gecastet worden? Wer hört sich solche Sänger an in Ihrem Hause? Haben Ihre „Experten“ die Expertise, schöne und interessante Stimmen zu erkennen? Sind Sie in der Lage, Abweichungen von einem halben und einem viertel Ton zu spüren und wahrzunehmen – und daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen?
Ja, dieser Sänger trübte den Abend an der Dammtorstraße wirklich immens – mit seiner Leistung wäre er in keinen anständigen Hamburger Laienchor aufgenommen worden. Die Inszenierung von Achim Freyer war hingegen ansprechend, ästhetisch hochwertig und durchdacht.
Andreas Schmidt, 30. Oktober 2018, für
klassik-begeistert.de
Also ich habe Herrn Gernhaher sehr genossen, allerdings war seine Indisposition im 3.Teil wirklich nicht zu überhören. Da war ordentlich Schleim auf den Stimmbändern.
Aber noch schlimmer: „Der beste auf Deutsch singende Bassbariton der Welt“. Das ist ein saublöder Satz…
Stefan Treddel
Leider stimmt folgender Satz nicht: „Es gab keine Buhs – für niemanden.“
Bei Achim Freyer und Team waren die Buhrufe nicht gerade leise…
Stefan Treddel
Lieber Herr Treddel,
von „nicht gerade leisen Buhrufen“ bei der Hamburger Premiere der „Faust-Szenen“ für Achim Freyer
und sein Regie-Team kann wirklich nicht die Rede sein – im Parkett, Reihe 12, Platz 5 und 6, rechts, waren
keinerlei Buhs zu hören.
Ihr Ohrenmensch
Andreas Schmidt, Herausgeber
klassik-begeistert.de