Foto: © Kai Bienert
Kölner Philharmonie, 12. Februar 2020
Robin Ticciati, Dirigent
Jan Lisiecki, Klavier
Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Sergej Rachmaninow – Die Toteninsel op. 29 (1909) – Sinfonische Dichtung für Orchester nach Arnold Böcklin
Frédéric Chopin – Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 f-Moll op. 21 (1829/30)
Igor Strawinsky – L’Oiseau de feu/der Feuervogel (1909-10) – Ballett in zwei Bildern für Orchester. Szenario von Michail Fokin nach einem russischen Volksmärchen
von Daniel Janz
Als eines der größten Orchester Berlins zählt das Deutsche Symphonie-Orchester zu den Aushängeschildern der Musikszene jener Stadt. Dazu trägt auch die Wahl ihres herausfordernden Repertoires bei, mit dem sie unter ihrem Chefdirigenten Robin Ticciati (37) immer wieder große Erfolge feiern können. Es ist also schon etwas Besonderes, diese Gäste und ihr Programm in Köln begrüßen zu dürfen.
Mit einem musikalischen Gemälde beginnen sie ihr Spiel. Rachmaninow komponierte diese Tondichtung in Dresden über das gleichnamige Gemälde von Arnold Böcklin und beschreibt darin eine innere Reise zu der so genannten Toteninsel. Geprägt ist dieses gut zwanzigminütige Meisterwerk russischer Spätromantik vom steten Aufwallen und Abschwellen der reichen Instrumentation. Eine konsequent düstere Grundstimmung getragen auf dem Dies-irae-Motiv droht zwar auf Dauer anzustrengen, stellt aber gleichzeitig auch ein atemberaubendes Erlebnis dar.
Besonders die Klasse des Orchesters überzeugt hier. Die reichen Effekte und der durchgängig geforderte volle Klang verlangen den Interpreten besondere Umsicht bei der Akzentuierung ab – zu schnell können wesentliche Details eines solchen Klangbades sonst verloren gehen. Tatsächlich beweist sich besonders der Londoner Dirigent Ticciati mit italienischen Wurzeln als Künstler im Detail. Mit wahnsinniger Präzision kitzelt er aus dem ohnehin schon hochkarätigen Orchester nahezu jede Kleinigkeit in einer Klarheit heraus, als wäre es selbstverständlich. Auch einzelne Akteure, wie die erste Geige und das Horn setzen klare Akzente. Ein großes Kunststück, das entsprechend viel Vergnügen bereitet.
Im Gegensatz zu Rachmaninows Werk präsentiert sich das von Frédéric Chopin als abgespeckte, fast schon minimalistische Komposition. Die Bläser sind hier auf einfache Fanfarensignale reduziert, Schlagzeug ist – bis auf die Pauke – gar nicht vorhanden. Auch musikalisch stellt dieses hier eher rar aufgeführte Solowerk einen extremen Kontrast dar, ist das Stück doch arm an spannungsgebenden Momenten oder Akzenten. Da hilft auch die nach wie vor herausragende Arbeit von Orchester – in diesem Fall besonders der mal schillernde, mal fein gezupfte Streicherapparat – und Dirigent nichts. Es ist einfach zu wenig Material, mit dem sie arbeiten dürfen.
Gerettet wird das Werk vom Starpianisten Jan Lisiecki (24) aus Kanada. In seiner Interpretation von Chopin lässt sich ein unvergleichlich weicher Ansatz sowie ausgeprägter Hang zur Klarheit des Klanges feststellen. Das ist auch bitternötig, wird diese formlos fließende, fast schon kitschige Kunstmusik ansonsten doch allzu schnell langweilig.
Dass er diesen Fluss perfekt entfaltet, zeigt ein verhaltener Zwischenapplaus nach dem ersten Satz. Auch der zweite Satz, in dem das Orchester vor allem durch die Zurücknahme der Lautstärke brilliert, bewegt. Im dritten darf Lisiecki dann auch noch einmal demonstrieren, welches Fingerspitzengefühl er nach solch elegischen Passagen in sein Instrument legen kann. All das beschert ihm und dem Orchester einen überschwänglichen Abschlussapplaus und motiviert ihn zu einer kleinen Zugabe. Was als Fazit bleibt, ist die Feststellung, dass Chopin wohl ein Komponist ist, den man liebgewonnen haben muss, um seine Musik schätzen zu können. Dem Publikum ist das heute gelungen.
Strawinskys Feuervogel besticht stattdessen durch eine klar vorgegebene Handlung. In diesem ursprünglich als Ballett komponierten Werk sucht der russische Held Iwan nach jenem namensgebenden Vogel, der ihm schließlich als Dank für seine Freilassung eine magische Feder überlässt. Diese setzt Iwan ein, als er die schöne Zarewna aus den Fängen des Zauberers Kastschej retten möchte. Der Feuervogel versetzt den Zauberer und dessen Gefolgschaft zunächst in Schlaf und hilft Iwan anschließend, das Riesenei zu zerstören, in dem der Magier seine Seele aufbewahrt hat. Kastschej stirbt und Iwan kann seine Zarewna befreien.
Obwohl die Musik inklusive Tanz noch mehr Spannung entfaltet, ist auch diese rein orchestrale Aufführung alleine immer einen Besuch wert. Beim mystischen Einstieg wissen die tiefen Streicher und die große Trommel bereits zu ergreifen. Klavier, Celesta und drei Harfen können durch schillernde Klangfarben faszinieren und bereichern einen ohnehin schon hochkarätigen, zu Anfang aber doch stark eingesparten Orchesterapparat.
Dass Strawinsky aber auch ein Meister des vollen Orchesters war, beweist sich im zweiten Teil der Komposition. Mit drei im Raum verteilten Trompeten wird das Signal gegeben, dass der Zauberer Kastschej auf dem Weg ist. Die anschließenden aufbrausenden, teilweise furiosen Passagen, mal rhythmisch bewegt, mal düster dramatisch, hauchen dem ganzen Orchester Leben ein, auch wenn sie stellenweise noch rasanter hätten sein können. Hier den Überblick über jede Einzelstimme zu behalten, stellt aber gerade bei den vollen Bläserpassagen eine hohe Kunst dar und spricht erneut dafür, dass mit Ticciati der richtige Mann den Taktstab schwingt.
Leider ist das Blech gerade an den vollen Stellen nicht immer einheitlich sauber, was einer ansonsten guten Aufführung Dämpfer verschafft. Ausgeglichen wird das von den durchgängig herausragenden Soli – erste Geige, Flöte, Oboe und auch das Fagott seien gesondert erwähnt – und einem schillernden Finale, das der ganzen Aufführung noch einmal die Krone aufsetzt. Den abschließenden furiosen Applaus haben sich alle Künstler jedenfalls redlich verdient.
Daniel Janz, 14. Februar 2020, für
klassik-begeistert.de