Mit jugendlichem Elan und intensiver Leidenschaft getanzt, wird Romeo und Julia zu einem Ballettereignis

Romeo und Julia, Ballett, John Neumeier  Hamburg Ballett,  Staatsoper Hamburg, 9. November 2023

Azul Ardizzone (Julia) und Louis Musin (Romeo) (Foto RW)

Vor allem Ardizzone verkörperte das nervenfiebrige, nicht alles durchschauende, dem Liebesglück rettungslos ausgelieferte der Partie der Julia. Und sie ist ja auch erst 16, also noch knapp in dem Alter der Julia Shakespeares.

Romeo und Julia
Ballett in drei Teilen nach Shakespeares Tragödie

Choreographie und Inszenierung John Neumeier

Bühnenbild und Kostüme von Jürgen Rose
Musik von Serge Prokofieff

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Leitung Simon Hewett

Hamburg Ballett,  Staatsoper Hamburg, 9. November 2023

von Dr. Ralf Wegner

Eigentlich hatten bei dieser Vorstellung Emiliano Torres und Ana Torrequebrada die beiden Hauptpartien tanzen sollen, und mit ihnen auch andere junge Tänzerinnen und Tänzer des Hamburger Ensembles. Aber John Neumeier entschied sich offenbar dazu, die Alternativbesetzung nicht auftreten zu lassen, sondern Louis Musin und die noch in der Ballettschule lernende Azul Ardizzone sowie die bereits erprobten Tänzerinnen und Tänzer dieser Serie erneut einzusetzen. Schade, man hätte gern auch eine Alternativbesetzung gesehen; eigentlich müssten angesichts der Qualität des Hamburger Ensembles sogar mehr als zwei Besetzungen möglich sein.

Das spricht nicht gegen Louis Musin und Azul Ardizzone, die eine Traumbesetzung für dieses ungestüme Jugendstück (Zitat: Jörn Rieckhoff) sind. Vor allem Ardizzone verkörpert das nervenfiebrige, nicht alles durchschauende, dem Liebesglück rettungslos ausgelieferte der Partie der Julia. Und sie ist ja auch erst 16, also noch knapp in dem Alter der Julia Shakespeares. Im großen Pas de deux (Schlafzimmerszene) übertrug sich dieses zittrig-nervöse noch auf den Fluss der Linien; aber das passt zur Jugendlichkeit, die Neumeier mit gerade dieser Besetzung angestrebt hatte.

Ich erinnere mich noch an Hélène Bouchet, die noch gegen Ende ihrer Karriere die Julia tanzte, grandios in ihren langgliedrigen Bewegungen und perfekt im Zusammenspiel mit Alexandr Trusch als Romeo. Besser ging es tänzerisch und darstellerisch nicht. Aber etwas fehlte, das lodernde Feuer der Jugend, das nervenfiebrige der ersten Liebe, der fast noch kindlich-unverfälschte Wille, sich dem Anderen ahnungs- und wohl auch bedenkenlos hinzugeben.

Vorn Louis Musin (Romeo) und Azul Ardizzone (Julia), dahinter Matias Oberlin (Graf Capulet), Priscilla Tselikova (Gräfin Capulet), Artem Prokopchuk (Tybalt), Lizhong Wang (Valentin), Alessandro Frola (Mercutio) (Foto RW)

Welches Schicksal hätte Julia getroffen, wäre sie schwanger geworden. Man hätte sie in ein Kloster gesteckt. Sie hätte dort das Kind zur Welt gebracht und wohl abgeben müssen (Puccini hat sich dieser Thematik in seinem Einakter Suor Angelica gewidmet). Außerdem, hätte Bruder Lorenzo nicht etwas schneller laufen können als Julias Amme? Dann hätte Romeo von dem nur todesähnlichen Schlaf erfahren und sie wären, möglicherweise, beide glücklich geworden.

Andererseits hat der Tod des jungen Liebespaares etwas Kathartisches. Das Bühnenspiel lehrt  bei unseren eigenen Kindern anders zu handeln als die Montagues und Capulets. Eigentlich ist die Amme ja schuld, sie verhindert nicht den kirchlichen Segen Bruder Lorenzos, der dazu vermutlich nicht einmal die Priesterlizenz hatte. Möglicherweise wusste die von Niurka Moredo sehr überzeugend gespielte Amme, dass dieser Segen der Heirat mit Paris nicht im Wege stehen würde. Hätte Julia nicht Paris heiraten und sich später, wie ihre Mutter ihren Neffen Tybalt, Romeo als Geliebten nehmen sollen? Nur Julia durchschaute dieses Spiel nicht, sie war von Anfang an rettungslos verloren.

Das Ensemble tanzte insgesamt vorzüglich, wohl jeder der Auftretenden wäre in der Lage gewesen, die Rolle des oder der anderen zu übernehmen. So stimmig tanzten alle, wenngleich manche Sprünge aus dem Stand koordinierter hätten sein können. Francesco Cortese (Benvolio) und Alessandro Frola (Mercutio) passten sich gut in das Ensemble ein, Frolas Schlusssolo überzeugte mit einer individuellen, den nahen Tod mit Leichtigkeit und fast wie nebenbei annehmend; Artem Prokopchuk zeigte als aufbrausender Tybalt herausragende solistische Qualitäten.

Manchmal beeindruckten Kleinigkeiten, etwa die Art, wie der frühere Erste Solist Ivan Urban bei seinem Kurzauftritt als Romeos Vater, mit Laura Cazzaniga als Gräfin Montague, seinem Sohn mit väterlichem Stolz übers Haar streicht oder auch der Kurzauftritt von Ida Stempelmann als Bianca (Hure in Mantua). Caspar Sasse überzeugte mit der notwendigen Sprungkraft als jugendlicher Held der Schauspieltruppe und Emilie Mazoń als seine Geliebte mit Eleganz, hohem Stehvermögen und starkem Ausdruck. Warum sie seit langem nur noch in der zweiten Reihe tanzt, erschließt sich wahrlich nicht.

Die Schauspieltruppe: Hayley Page (Lavinia), Hinata Shimabukuro (Sebastian), Yun-Su Park (Isabella), Lizhong Wang (Valentin), Emilie Mazoń (Luciana), Caspar Sasse (Antonio) (Foto RW)

Insgesamt standen an diesem Abend 51 namentlich benannte Tänzerinnen und Tänzer auf der Bühne, darunter noch u.a. Florian Pohl als Paris, Matias Oberlin und Priscilla Tselikova als Graf und Gräfin Capulet, sowie zusätzlich unbenannte Lakaien, Wächter, Mönche, Markthändler, Blumenmädchen, Senatoren und Bürger von Verona. Man sieht den personellen Aufwand und wundert sich am Schluss nur, wie in all dem Gewusel auf der ja nicht sehr großen Bühne der Hamburgischen Oper niemand ins Straucheln gerät und alles so schlüssig und leicht erscheint. Der Jubel des Publikums war immens, Blumen gab es für das Protagonistenpaar sowie für Francesco Cortese.

Dr. Ralf Wegner, 11. November 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Romeo und Julia, Choreographie und Inszenierung von John Neumeier Staatsoper Hamburg, Wiederaufnahme am 11. Juni 2023

Romeo und Julia Ballett von Jean-Christophe Maillot, Musik von Sergej Prokofjew Ballett Dortmund, Theater Dortmund, 20. November 2022

Romeo und Julia, Ballett von John Cranko, Stuttgarter Ballett Arte, 14. Februar 2021

Sergei Prokofjew, Romeo und Julia, Staatsoper Berlin, 5. Mai 2018

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