Pesaro brilliert mit Rossini-Opern der Weltklasse

Rossini Opera Festival 2023  Pesaro, 17. Juli – 23. August 2023

Composer Rossini G 1865 by Carjat

Rossini Opera Festival 2023

Pesaro, 17. Juli – 23. August 2023

von Dr. Charles Ritterband

Keine Frage – Rossini-Opern, vor allem die berühmteren, angefangen beim „Barbiere“, werden in sehr vielen Opernhäusern der Welt aufgeführt, oft spritzig und in musikalischer Spitzenklasse. Doch der gediegene italienische Badeort Pesaro könnte sich mit Fug und Recht als „Mekka der Rossini-Opern“ rühmen – die Stadt, in welche Jahr für Jahr die Rossini-Aficionados aus aller Welt in Scharen pilgern, um sich vom zweifellos vielfältigsten Spektrum bekannter, weniger bekannter und weitgehend unbekannter Rossini-Opern begeistern zu lassen: ein Feuerwerk des besten Belcanto.
Dies in aufwendigen, höchst originellen Inszenierungen in der modernen „Vitrifrigo Arena“ am Stadtrand und (provisorisch, bis zur Renovierung des barocken Teatro Gioacchino Rossini – 1637 neu eröffnet 1818 – im Stadtzentrum) im „Teatro Sperimentale“. Ein reiches Rahmenprogramm mit Rossini-Konzerten, Vorträgen und Symposien ergänzt die Opern-Aufführungen. In der Regel reichen drei bis vier Tage, um nachmittags und Abends in den Genuss der wichtigsten angebotenen Rossini-Opern und Konzerte zu gelangen.

© Photo by Studio Amati Bacciardi

„Aureliano in Palmira“ als Steinbruch

Als erstes sahen wir „Aureliano in Palmira“, ein Werk das Rossini 1813 mit nur mässigem Erfolg für die Mailänder Scala komponiert hatte. Die Handlung basiert auf historischen Tatsachen und spielt an exotischen Schauplätzen: Die Eroberung von Teilen des Nahen Ostens durch den römischen Kaiser Aurelian und seinen Krieg gegen Königin Zenobia. Die Oper hat das erotische Dreieck zwischen dem Kaiser, der schönen  Zenobia und dem Heerführer Arsace, welcher die Stadt Palmira gegen die heranrückenden Römer verteidigte, zum Inhalt. Arsace, eine mit einer Mezzosopranistin besetzte Rolle, war übrigens der einzige Part, den Rossini je für einen Castrato geschrieben hatte (Giovanni Battista Velluti).

Diese Opera seria benutzte Rossini – zweifellos wegen ihres ursprünglichen Misserfolgs – gleichsam als Steinbruch, den er stückweise für andere, ungleich bekanntere und erfolgreichere Werke plünderte: So vor allem die Ouvertüre und die Serenade, die er eins zu eins für den „Barbiere di Siviglia“ übernahm und die große Szene des Arsace im zweiten Akt, welche dann in völlig identischer Fassung als Cavatina der Rosina herhalten musste.

Sara Blanch brillierte mit schier atemberaubenden Belcanto-Koloraturen als Zenobia und ihre Duette mit dem Arsace der Mezzosopranistin Raffaella Lupinacci gehören zum Schönsten, was in Pesaro zu hören war. Großartig als subtil-weicher Belcanto-Tenor mit reinsten Höhen der Aureliano des Alexey Tatarintsev. Das Rossini-Symphonieorchester unter der Stabführung von George Petrou spielte präzise und temperamentvoll, trat respektvoll und subtil hinter den virtuosen Gesangskünsten der Protagonistinnen und des Protagonisten zurück. Die Regie (Mario Martone) bot eine exotisch anmutende Inszenierung mit attraktiven, farbenfrohen Kostümen (Ursula Patzak); das Spiel mit halbtransparenten, sich gelegentlich hebenden Jute-Leinwänden war allerdings nicht völlig überzeugend. Freude machten die drei munteren Ziegen, die von Hirten über die Bühne getrieben wurden und die angesichts der dort großzügig ausgestreuten Leckerbissen das Rampenlicht gar nicht mehr verlassen mochten.

(c) privat

George Petrou leitete das Orchestra Sinfonica G. Rossini mit Autorität und stellte seine Barock-Spezialisierung mit brüsken, aber dezidierten Wechseln in Dynamik und Tempi unter Beweis. In der Ouvertüre lief die Sache allerdings etwas schief, als im ersten Crescendo die Tschinellen zu spät agierten und einige Takte ihren Rhythmus nicht fanden, während Petrou sichtlich bemüht war, dies zu korrigieren und gleichzeitig die Streicher drohten, ebenfalls aus dem Takt zu fallen. Da es sich bei dieser (im „Barbier“ recyclierten!) Ouvertüre um eine der bekanntesten Musikstücke überhaupt handelt, war diese kleine Unregelmäßigkeit leicht zu orten…

Adelaide di Borgogna mit prachtvollen Bühnenbildern

Spielt sich „Aureliano“ im altrömischen und im orientalischen Ambiente ab, so führt uns Adelaide di Borgogna ins Mittelalter, ums Jahr 950 herum. Eine vertrackte, komplizierte Handlung um Otto den Großen mit romantischen Nebenwirkungen. Das Ganze in prachtvollen, altmodisch bemalten Bühnenprospekten, die aufgezogen und dann wieder herabgelassen wurden, mit ebenso altmodischen Kostümen. Das Ganze hätte sehr schnell langweilig und andererseits lächerlich wirken können, hätte sich nicht die Regie (Arnaud Bernard) einen allerdings nicht ganz neuen Gag einfallen lassen, der sich – teils witzig, teils eher etwas bemüht – durch die ganze Inszenierung zog: Theater im Theater.

Während sich die Oper in einer fiktiven Probe abspielte, agierte die Regie plus Regieassistenz auf der Bühne und griff regelmäßig in das Geschehen ein – und wurde ebenso regelmäßig von den Akteuren ignoriert, die bisweilen das Gegenteil von dem zu tun schienen, was die Regie wollte: was, gewollt oder ungewollt, groteske Folgen hatte. Parallel zur Oper spielten sich die „realen“ Interaktionen zwischen Sängerinnen und Sängern ab: Die Sopranistin erwischt ihren Partner, den Tenor, bei einem Techtelmechtel mit einer leicht geschürzten Tänzerin und reagiert entsprechend wütend, die Mezzosopranistin versucht sie zu trösten und beschwichtigen – mit der Folge, dass sich Sopran und Mezzo ineinander verlieben und ihre Liebesduette der Oper dadurch gleichzeitig „real“ werden.

Der Bassist bringt seine letzten weiblichen Eroberungen auf die Probe und erregt die Eifersucht der zweiten Mezzosopranistin.  Der zweite Tenor eilt chronisch verspätet auf die Probe und die Mezzosopranistin verweigert es, sich in eine lächerliche und zudem enge Rüstung zu zwängen. Derweilen bedienen sich die Statisten an einer Kaffeemaschine, machen Handy-Fotos und gehen auf sichtbar am Rand der Bühne aufgebaute Toilette. Ziemlich witzig, das Ganze, wenngleich etwas repetitiv – und doch unter den imposanten Kulissen.

Adelaide Schlussapplaus © Dr. Charles Ritterband

Olga Peretyako sang die Adelaide mit melodiösen Höhen, virtuosen Koloraturen und großer Eleganz; Varduhl Abrahamyan verkörperte den Ottone mit spektakulär präzisen und fantastischen Koloraturlinien, einem herrlich patinierten Timbre. Ihr Zusammenspiel – Mezzo und Sopran in höchster stimmlicher Qualität – war einfach hinreißend. Als technisch perfekter Belcanto-Tenor mit bestechend schönen Höhen erwies sich René Barbera in der Rolle des Adelberto. Dies um nur einige der großartigen Sängerinnen und Sänger dieses sehr besonderen Abends zu nennen. Das Orchester wurde exzellent von Francesco Lanzillotta geleitet.

Eduardo e Cristina

Eine in Pesaro erstmals gespielte Rarität, von Rossini 1819 für Venedig komponiert, allerdings unter großzügiger Verwendung von Musikstücken, Melodien und Ideen der „Adelaide“, „Ermione“, „Riccardo e Zoraide“ sowie „Mosè in Egitto“. Aufgeführt hier in Pesaro mit äußerst bemerkenswertem Aufwand – ein als eindrückliches Gesamtkunstwerk wirkendes Bühnenbild, eine riesige Kunstinstallation als fiktiver, von der Handlung losgelöster Raum mit unglaublich akrobatisch agierenden, äußerst originell choreographierten Tänzerinnen und Tänzern (Regie, Bühnenbild, Kostüme, Licht und Choreographie: Stefano Poda). Das Nationale Orchester der italienischen Rundfunkgesellschaft RAI dirigierte Jader Bignamini.

Eduardo © Dr. Charles Ritterband

Als Eduardo brillierte in ihren beiden großen Arien Daniela Barcellona; Anastasia Bartoli absolvierte ihr Pesaro-Debut als Cristina mit präzise gestalteten Koloraturen; im mittleren Register kraftvoll, in den Höhen zumeist treffsicher wenngleich manchmal etwas hart gesetzt. Als Belcanto-Tenor mit sprühenden, technisch perfekten Koloraturen glänzte Enea Scala als schwedischer König Carlo – darstellerisch überzeugend, gefangen zwischen Wahnsinn und Verzweiflung. Grigory Shkarupa gab den Giacomo mit vornehmer Würde und dennoch Leidenschaft.

Dr. Charles Ritterband, 21. August 2023, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Gioachino Rossini, Il barbiere di Siviglia o L’inutile precauzione  Garsington Opera, 7. Juli 2023

CD-Rezension: Gioacchino Rossini, Wind Quartets, Consortium Classicum klassik-begeistert.de, 27. Juni 2023

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