Die Mitglieder des RSO Wien mit der Moderatorin Eva Teimel (links) und Jeremy Lubkin, einem Urenkel von Egon Wellesz (Mitte). Foto: Arnold Schönberg Center.
“Dann lernte ich bei Schönberg etwas, was heute gar nicht mehr richtig verstanden wird: Redlichkeit in der Musik, Verantwortlichkeit in der Musik und das Fehlen von jeder Angeberei…” (Hanns Eisler)
Gesprächskonzert im Arnold Schönberg Center, Montag, 17. Juni 2024
Mitglieder des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien
Stephanie Timoschek-Gumpinger, Klavier
Eva Teimel, Moderation
von Dr. Rudi Frühwirth
Das Genre des Bläserquintetts in der klassischen Besetzung mit Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott erfreute sich im 18. Jahrhundert großer Beliebtheit. Im 19. Jahrhundert trat es gegenüber den großen symphonischen Werken etwas in den Hintergrund, erlebte aber im 20. Jahrhundert eine neuerliche Blüte.
Der erste Teil des Gesprächskonzerts brachte Werke von Arnold Schönberg und zwei seiner Schüler. Den Beginn machte das Divertimento für Bläserquintett op. 4 von Hanns Eisler aus dem Jahr 1923. Eisler war 1919 Schönbergs Schüler geworden und blieb es bis zum Jahr 1923, also zu der Zeit, in der Schönbergs erste echte Zwölftonkompositionen entstanden. Das Divertimento ist allerdings nicht streng dodekaphonisch angelegt, sondern eine leichtfüßige, ironisch-humoristische Angelegenheit. Die Mitglieder des ORF Radio-Symphonieorchesters Wien sorgten für eine spritzige Interpretation.
Auszüge aus Schönbergs Bläserquintett op. 26 aus dem Jahr 1924 hätten perfekt in das Programm gepasst; aus mir nicht ganz verständlichen Gründen hörten wir stattdessen drei Sätze aus der Suite für Klavier op. 25: Gavotte & Musette, Intermezzo und Gigue. Die Suite vereint die Zwölftonmethode mit traditionellen Formen, die in der Barockmusik und daher auch bei Bach oft anzutreffen sind. Nicht ohne Grund bezeichnete Willi Reich in seiner Biographie Schönberg als den “konservativen Revolutionär”. Die Pianistin Stephanie Timoschek-Gumpinger überzeugte mit einer tänzerischen, rhythmisch schwungvollen Darbietung.
Auch Egon Wellesz war Schönbergs Schüler, allerdings lange bevor die Zwölftonmethode zu einem umfassenden Kompositionsprinzip heranreifte. Seine Suite op. 73 aus dem Jahr 1954 lässt auch nicht so sehr den Einfluss Schönbergs, als vielmehr den Bruckners und Mahlers hören. Der Aufbau ist durchaus symphonisch gehalten – energisch der erste Satz, melancholisch der zweite, scherzohaft der dritte.
Die Überleitung zum zweiten Teil war das Divertissement op. 6 von Albert Roussel aus dem Jahr 1906, gesetzt für Bläserquintett und Klavier. Es ist ein originelles, unbeschwertes Werk, harmonisch hörbar Debussy verpflichtet. Es ließ vor meinen Augen spontan das Bild eines Gartens mit spielenden Kindern im Sonnenschein entstehen.
Leoš Janáček hörte das Divertissement im Jahr 1923 in Salzburg bei der Tagung der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. Er ließ sich davon zu einem Bläsersextett inspirieren, dem er den Titel “Mládí”, zu deutsch “Jugend”, gab. Er fügte zur klassischen Besetzung noch eine Bassklarinette hinzu, was dem Klang eine schwermütige Grundierung gibt. Offenbar hatte Janáček nicht nur rosige Erinnerungen an seine Jugendzeit.
“Mládí” entstand etwa zur gleichen Zeit wie Schönbergs opera 25 und 26; sonst gibt es kaum Gemeinsamkeiten zwischen den Werken der beiden großen Komponisten. Janáčeks Haltung zu Schönberg war respektvolle Distanz. Die konsequent von einem tonalen Zentrum losgelöste Kompositionsweise der Wiener Schule lehnte er ab. Dennoch ist seine Musik durch und durch modern, die klassische Tonalität nicht aufgehoben, aber ungemein bereichert durch intuitive, der dramatischen Situation und der Sprachmelodie geschuldete Erweiterungen und Kombinationen mit Pentatonik und Kirchentonarten. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einen höchst aufschlussreichen Artikel des Philosophen Roger Scruton in seinem Buch “Understanding Music” hinweisen. Er enthält eine tiefschürfende Analyse und Gegenüberstellung von Janáček und Schönberg hinsichtlich ihrer Persönlichkeit, ihrer kompositorischen Methoden und ihres soziokulturellen Hintergrunds.
Das Konzert endete mit dem Bläserquintett op. 10 von Pavel Haas, enstanden 1929. Haas studierte von 1920 bis 1922 Komposition in der Meisterklasse Janáčeks und war wohl sein bedeutendster Schüler. Das Quintett ist ein wirkungsvolles, abwechslungsreiches Werk, dessen zweiter Satz “Preghiera” (Gebet) Anklänge an jüdische Gesänge in der Synagoge hören lässt. Die jüdische Herkunft wurde Haas schließlich zum Verhängnis – er wurde Ende 1941 nach Theresienstadt deportiert und im Oktober 1944 von den nationalsozialistischen Barbaren in Auschwitz ermordet.
Die Moderatorin Eva Teimel führte sachkundig durch das Programm; die Mitglieder des ORF Radio-Symphonieorchesters begeisterten das Publikum mit glänzender Technik und ausdrucksvollem Zusammenspiel.
Dr. Rudi Frühwirth, 20. Juni 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at
Ausführende:
Raimund Weichenberger, Flöte
Katharina Kratochwil, Oboe
Pedro Afonso Minhava Reis, Klarinette
Martin Fluch, Bassklarinette
Alexandru Cosma, Fagott
Jakob Hutterer, Horn
Stephanie Timoschek-Gumpinger, Klavier
Eva Teimel, Moderation