Michail Glinkas Zauberoper „Ruslan und Ljudmila“ überzeugt musikalisch, szenisch ist die Aufführung überfrachtet

Michail Glinka, Ruslan und Ljudmila  Hamburgische Staatsoper, 9. November 2025, PREMIERE

Alexander Roslavets (Swetosar), Alexei Botnarciuc (Farlaf), Nicky Spence (Bajan / Finn), Barno Ismatullaeva (Ljudmila), Ilia Kazakov (Ruslan), Artem Krutko (Ratmir); rechts hinter Ismatullaeva die Chorleiterin Alice Meregaglia (Foto: RW)

Der junge Bass Ilia Kazakov sang einen bewunderungswürdigen Ruslan. Mit balsamischem Timbre, vollem Klang in der Tiefe und Kraft in der Höhe sowie unbedingtem Gestaltungswillen geriet seine Arie O Pole Pole im zweiten Akt  zum gesanglichen Höhepunkt des Abends.

Ruslan und Ljudmila
Große Zauberoper in 5 Akten von Michail Glinka

Handlung nach dem Poem von Alexander Puschkin

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Azim Karimov, musikalische Leitung

Solovioline: Konradin Seitzer

Inszenierung, Bühne und Kostüme: Alexandra Szemerédy und Magdolna Parditka

Hamburgische Staatsoper, 9.11.2025, Premiere

von Dr. Ralf Wegner

Ich kannte diese Oper bis auf die Ouvertüre bisher nicht und las in Opernbüchern und bei Wikipedia nach, hörte mir außerdem auf YouTube Ljudmilas große Arie im ersten Akt mit Olga Peretyatko an. Die verworrene Handlung muss man mindestens dreimal rekapitulieren, um einen auch nur ungefähren Durchblick zu erhalten.

Die Märchenhandlung ist nichts weniger als sperrig

Eine Prinzessin (Ljudmila) wird während der Hochzeit mit dem Krieger Ruslan von einer unbekannten Macht entführt. Ruslan, sein Freund Ratmir sowie der ebenfalls in Ljudmila verliebte Farlaf machen sich auf Drängen des Großfürsten Swetosar auf die Suche nach der Prinzessin. Der gute Zauberer Finn, der sich die böse Zauberin Naina zur Feindin gemacht hat, schickt Ruslan auf die Wanderschaft nach Ljudmila. In Nainas Zauberschloss vergessen Ruslan seine Braut und Ratmir seine Freundin Gorislawa. Ljudmila wird derweil in dem Zaubergarten Tschernomors, eines weiteren bösen Zauberers, gefangen gehalten. Tschernomor wird besiegt, Ruslan kann Ljudmila aber nicht erwecken. Letztere wird wieder von Naina entführt und in Swetosars Festsaal verbracht. Dort kann Ruslan sie mittels eines Zauberrings endlich erlösen. Alle sind glücklich.

Die von den Regisseurinnen umgedeutete Handlung überzeugt psychologisch

Diese sperrige, nahezu undurchsichtige Handlung wurde von den Regisseurinnen psychologisch tiefengedeutet und leichter verständlich gekürzt. Ljudmila will nicht heiraten, Ruslan ist eher seinem Freund Ratmir zugetan. Die Suche nach Ljudmila ist hindernisreich. In Nainas Zaubergarten, einem Schwulen- und Transvestitentreff, fühlt sich Ruslan von seinem in Strapsen auftretenden Freund Ratmir angezogen. Der Zauberer Finn löst den Bann.  Ljudmila ist depressiv, sie schneidet sich die Pulsadern auf. Alle trauern um die Prinzessin. Freundlicherweise wieder zum Leben (und zum Singen) erweckt, begibt sie sich mit Ruslan und Ratmir auf Reisen, eine Ménage a trois andeutend.

Die Szenerie ist überfrachtet mit hässlichen Details

Psychologisch ist das, bis auf den Schluss (eigentlich hätte es mit der toten Ljudmila enden können), schlüssig, szenisch allerdings hässlich überfrachtet. Entsprechend dem Programmheft sollte die Inszenierung das (hier mit dem Großfürsten Swetosar gleichgesetzte) aktuelle russische autokratische System symbolisieren. So werden die Hochzeitsgäste beispielsweise von der Polizei bewacht oder die Schwulenbar ausgehoben und die dortigen Gäste zusammengeknüppelt.

Warum aber der Festsaal des Großfürsten bis auf zwei lange Tische keine nennenswerten Requisiten aufweist und sich nahezu die gesamte weitere Handlung in Metroschächten bzw. auf einer verwanzt-versifften Metrostation abspielt, erschließt sich weder inhaltlich noch entspricht das den baulich-optischen Verhältnissen in der Moskauer Metro oder jener in Kiew.

Die Pavillons der bühnentechnisch durchaus eindrucksvolle Metrohalle sind völlig verdreckt mit Graffiti besprüht. Nach der Regisseurin Magdolna Parditka seien Graffiti als „eine Form des stillen Widerstands“ mit „gesellschaftlichem Protestcharakter“ zu sehen, dienten „zum Nachdenken“ und stellen eine „Projektionsfläche der Sehnsüchte der Protagonist:innen“ dar. Darauf muss man erst einmal kommen.

Das Inszenierungsteam Magdolna Parditka und Alexandra Szemerédy, Bernd Gallasch (Licht) und Janic Bebi (Video) (Foto: RW)

Musikalisch gelingt die Aufführung gut bis sehr gut

Wir saßen in der 23. Reihe unter dem Überhang. Möglicherweise lag es daran, dass ich die an sich spritzige, an Rossini erinnernde Ouvertüre als ausgesprochen versumpft empfand. Anders als vermutet hat Glinka in seiner Zauberoper nahezu alle Protagonisten mit liedähnlichen Weisen, Arien oder Monologen bedacht. Der schottische Tenor Nicky Spence hatte zwei Partien zu singen, den Bänkelsänger Bajan und den guten Zauberer Finn. Für den Bajan hätte ich mir einen noch etwas schöneren Klang gewünscht, wie etwa von dem Hamburger Ensemblemitglied Dovlet Nurgeldiyev.

Die lyrisch-dramatische Sopranistin Barno Ismatullaeva sang quasi mit zwei Stimmtypen, eine war stahlhart-blau schimmernd von dramatischem Klang, der besonders dem Beginn der ersten Arie und Teilen des vierten und fünften Aktes Ausdruck verlieh, daneben mit einer aufgehellten, weniger breiten und kaum abgerundeten, etwas höher liegenden Stimme, mit der die Koloraturen des zweiten Teils der ersten Arie in die Nähe des Grellen gerieten, ohne dort allerdings anzuschleifen.

Der 33-jährige kasachische Bass Ilia Kazakov sang einen bewunderungswürdigen Ruslan. Ein balsamisches Timbre, voller Klang in der Tiefe und Kraft in der Höhe sowie unbedingter Gestaltungswillen machten seine Arie O Pole Pole im zweiten Akt zum gesanglichen Höhepunkt des Abends. Wie schön, dass dieser Sänger jetzt zum Hamburger Ensemble zählt.

Ruslans Freund Ratmir wurde von dem russischen Countertenor Artem Krutko gesungen, Farlaf von dem moldawischen Bass Alexei Botnarciuc, der für seine  immer schneller werdende, wieder an Rossini erinnernden Arie viel Beifall erhielt. Rollendeckend gestalteten und sangen die zum Hamburger Ensemble gehörende Mezzosopranistin Kristina Stanek die böse Zauberin Naina sowie die moldawische Sopranistin Natalia Tanasii die Rolle der Gorislawa.

Die Oper verlangt wegen der zahlreichen musikalischen Schön- und Besonderheiten einen weiteren Besuch. Man sollte sich von der Szenerie nicht abschrecken lassen. Zumindest ist diese technisch eindrucksvoll und aufwendig.

Dr. Ralf Wegner, 10. November 2025, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

Michail Glinka, Ruslan und Ljudmila Hamburgische Staatsoper, 9. November 2025 PREMIERE

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